Banken. Die Raiffeisen Zentralbank hat sich in eine missliche Lage manövriert

RZB: Fusion mit der Ost-Tochter RI soll das Auslandsgeschäft retten

Jetzt soll eine Fusion mit der Ost-Tochter RI die Kontrolle über das Auslandsgeschäft retten

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Falls es in der Wiener Konzernzentrale der Raiffeisen Zentralbank AG (RZB) einen Masterplan gegeben hat, dann sicher nicht diesen: Freitag, 26. Februar 2009, 9.00 Uhr. RZB-Chef Walter Rothensteiner und Vorstandskollege Herbert Stepic eröffnen eine erst wenige Stunden zuvor fixierte Pressekonferenz. Die Ereignisse der vorangegangenen Tage und Nächte haben sichtlich Tribut gefordert. Rothensteiner wirkt erschöpft, Stepic ringt obendrein immer wieder mit der Contenance. Und die anwesenden Journalisten werden in der dar­auf folgenden Stunde mehr Fragen stellen, als sie Antworten bekommen.

Eigentlich hätte nichts von all dem passieren dürfen, schon gar nicht so.
Die RZB und ihre wichtigste Konzernbeteiligung Raiffeisen International-Bank Holding AG (RI), der Herbert Stepic vorsteht, haben zu diesem Zeitpunkt eine rabenschwarze Woche hinter sich. Schon am Montag haben wilde Spekulationen um die Verfasstheit des Raiffeisen-Geldsektors die Runde gemacht, an der Börse verlieren die RI-Aktien daraufhin vorübergehend mehr als 15 Prozent ihres Werts. Bis Freitagvormittag sind damit rein rechnerisch rund 800 Millionen an Börsenwert vernichtet worden.

Und das nur deshalb, weil irgendwer sich verplappert hat. Seit einem halben Jahr laufen im Hause Am Stadtpark Nummer 9 unter strengster Geheimhaltung die Vorbereitungen zu einem Projekt, das vorderhand keinen rechten Sinn ergibt. Die Giebelkreuzler wollen die erst 2005 vollzogene Abspaltung des RZB-Osteuropageschäfts gleichsam rückgängig machen. Noch vor Ablauf des Jahres sollen große Teile der RZB – allen voran der Bereich Kommerzkunden, das für die Liquiditätssteuerung zuständige Treasury, das Wertpapier- und Interbankengeschäft sowie die Operationen in Asien – in der börsennotierten Raiffeisen International aufgehen. Im Gegenzug soll die im Einflussbereich von acht Raiffeisenlandesbanken stehende RZB auf eine Art Beteiligungsgesellschaft mit „Sektorfunktionen“ reduziert werden.

Das klingt zunächst mäßig aufregend, jedenfalls nicht aufregend genug, um Anleger in Scharen aus RI-Papieren zu treiben. „Wir sind uns bewusst, dass es relativ schnell gegangen ist“, konstatierte Rothensteiner. „Jetzt werden wir dafür bestraft, dass wir über die Zukunft nachdenken.“
So kann man es natürlich sehen.

Kapitale Probleme.
Was Rothensteiner und Stepic an diesem Freitagvormittag wohlweislich nicht sagten: Die über Jahre aggressive Auslandsexpansion von Raiffeisen International ist zu einem handfesten Problem für deren Hauptaktionärin RZB geworden. Und damit für den gesamten Raiffeisen-­Sektor.

Die RZB
– sie kontrolliert 72,8 Prozent von Raiffeisen International, 27,2 Prozent werden von privaten und institutionellen Anlegern aus dem In- und Ausland gehalten – hat zunehmend Mühe, den Kapitalbedarf zu stemmen. Sie läuft Gefahr, eher früher als später die Kontrolle über das eigene Auslandsgeschäft zu verlieren.

Das hat hauptsächlich mit dem Aufbau der Raiffeisen-Organisation zu tun. 541 genossenschaftlich organisierte Raiffeisenbanken und -kassen quer durch Österreich kontrollieren acht Landesbanken (Niederösterreich und Wien bilden eine Einheit), die wiederum die Raiffeisen Zentralbank kontrollieren, die ihrerseits Raiffeisen International beherrscht. Und an dieser Holding, die selbst keine Bank ist, hängen mittlerweile Finanzbeteiligungen in 17 osteuropäischen Ländern, 59.000 Mitarbeiter und 15 Millionen Kunden – womit Raiffeisen einer der bedeutendsten Player der Region ist.

Um die schiere Not der Banker zu verdeutlichen, muss man die Kaskade gedanklich umdrehen. RI notiert an der Börse, kann also bei Bedarf den Kapitalmarkt anzapfen. Um den Einfluss auf das Auslandsgeschäft zu sichern, müsste die RZB in diesem Fall mitziehen. Da sie aber selbst nicht an der Börse notiert, sind deren Möglichkeiten limitiert. Neben der eigentlichen Finanzierung von Kapitalmaßnahmen müssen Beteiligungen stets auch mit Eigenmitteln unterlegt werden, so will es das Bankwesengesetz. Dafür bräuchte es die Unterstützung der Landesbanken, die ihrerseits auf die „Basis“ angewiesen sind.

Genau dieses Dilemma hat die Finanzkrise schonungslos offengelegt. Raiffeisen International wird in den kommenden Jahren wohl oder übel Geld in die Hand nehmen müssen, um die manifesten Probleme in Osteuropa zu bewältigen. Die lokalen Tochterbanken, allen voran in Ungarn und der Ukraine, sind nach 2008 arg durchgeschüttelt worden. Bei der erst 2005 um umgerechnet rund eine Milliarde Dollar erworbenen Kiewer Aval Bank – in Relation zur Größe und Ertragskraft des Instituts musste Raiffeisen damals einen Rekordpreis zahlen – halten sich bis heute hartnäckig Gerüchte, die Bank sei nicht mehr zu sanieren, was RI-Chef Stepic vehement bestreitet. Zur Höhe des tatsächlichen Kapitalbedarfs der kommenden Jahre schwieg er am vergangenen Freitag selbst auf mehrfache Nachfrage. Er gab aber immerhin zu, dass die „Kapitalaufnahme in der neuen Struktur“ vereinfacht würde.

So oder so:
Allein für 2009 musste RI die so genannten Risikovorsorgen für faule Kredite mehr als verdoppeln, von 780 Millionen Euro 2008 auf insgesamt 1,7 Milliarden Euro – es ist zwar nicht davon auszugehen, dass die Belastungen tatsächlich in dieser Höhe schlagend werden, das heißt umgekehrt aber auch nicht, dass sie einfach ignoriert werden können. Die Wertberichtigungen schlugen sich konsequenterweise auch im Jahresergebnis nieder. Der RI-Gewinn vor Steuern fiel von zuvor 1,43 Milliarden Euro auf 368 Millionen Euro.

Für die Hauptaktionärin RZB
, die naturgemäß maßgeblich auf die Gewinne der Tochter angewiesen ist, kommt erschwerend hinzu, dass sie bereits im Vorjahr hart an die Grenzen des Machbaren gegangen ist. Zwecks Kapitalstärkung zog die RZB aus dem staatlichen Bankenpaket 1,75 Milliarden Euro an so genanntem Partizipationskapital, nachdem sie sich zuvor schon 750 Millionen Euro bei den Landesbanken besorgt hatte – macht in Summe 2,5 Milliarden Euro. Diese müssen einerseits jährlich mit acht Prozent oder 200 Millionen verzinst werden, andererseits sollte das Kapital ab 2014 wieder zurückfließen. Sollte die Bank aus den laufenden Erträgen aber keine zusätzlichen Reserven bilden können, müsste sie wieder mit deutlich weniger Kapital auskommen. Das wäre mehr als nur ein kleiner Betriebsunfall. Auf europäischer Ebene wird derzeit eine drastische Verschärfung der Eigenmittelvorschriften für Banken diskutiert. Wiewohl noch niemand weiß, wie weit die Reise am Ende tatsächlich geht, so scheint mittlerweile klar, dass alle Marktteilnehmer in naher Zukunft deutlich mehr Kapital vorhalten werden müssen.

Raiffeisen wäre freilich nicht Raiffeisen, würde nicht auch noch eine starke zwischenmenschliche Note hineinwirken. Sosehr die Repräsentanten des Sektors nach außen hin Geschlossenheit demonstrieren, so sehr rumort es im Innern. Die Finanzkrise hat jahrzehntealte Rivalitäten zwischen Wien und dem Rest des Landes aufbrechen lassen. Wiewohl alle im selben Boot sitzen, darf nicht jeder an die Ruder. Tatsächlich wird die RZB und mit ihr auch das Auslandsgeschäft – Föderalismus hin oder her – von der Raiffeisenlandesbank (RLB) Niederösterreich-Wien dominiert. Sie hält direkt und indirekt knapp mehr als 31 Prozent am Spitzeninstitut und durchgerechnet immer noch fast 23 Prozent an Raiffeisen International. Die beiden nächstgrößeren Miteigentümer RLB Oberösterreich und RLB Steiermark kommen auf jeweils 15 Prozent – und sind damit anteilsmäßig auch zusammengerechnet kleiner als die Kollegen. Von Tirol, Salzburg, Kärnten (jeweils knapp unter sechs Prozent), Burgenland und Vorarlberg mit jeweils rund fünf Prozent ganz zu schweigen.

Im Aufsichtsrat der RZB, in dem alle acht Landesbanken vertreten sind, soll es in jüngerer Vergangenheit zu durchaus leidenschaftlichen Auseinandersetzungen gekommen sein. Dem Vernehmen nach monieren die Landesfürsten, angeführt von dem für seine emanzipatorische Geisteshaltung berühmten Oberösterreicher Ludwig Scharinger, dass sie bei der RZB materiell zunehmend ins Risiko gingen, ohne wirklich mitreden zu dürfen. Scharinger wollte das gegenüber profil nicht kommentieren. Wie auch die übrigen Funktionäre sich derzeit nicht aus der Deckung wagen.

Wertfragen.
Dass die Fusionspläne zwischen RZB und RI durch eine Indiskretion ruchbar wurden, macht die Sache nur noch schwieriger. Denn weder Gremien noch die Hauptversammlungen beider Gesellschaften haben der Transaktion zugestimmt – sie wurden damit formell noch gar nicht befasst. Das mag auch erklären, warum die Verantwortlichen bisher wesentliche Details schuldig blieben. So ist beispielsweise unklar, wie die eingeschalteten Wirtschaftsprüfer von BDO und Deloitte die Raiffeisen Zentralbank und Raiffeisen International tatsächlich bewerten werden. Dies wird aber dar­über entscheiden, wer fortan wie viel an dem neuen börsennotierten Konstrukt hält. Rothensteiner und Stepic verwiesen am vergangenen Freitag nur unscharf darauf, dass die „Interessen der Minderheitsaktionäre berücksichtigt“ würden. Der Hinweis kam nicht von ungefähr. Fälle wie dieser ziehen vor allem Hedgefonds magisch an. Die Finanzartisten kaufen sich mittlerweile nachgerade gewerbsmäßig in Gesellschaften ein, die beispielsweise vor einer Fusion stehen – nur um die Bewertungen anschließend vor Gericht anzufechten. Mit Sicherheit lässt sich vorerst nur sagen, dass der Raiffeisen-Sektor an der um das Österreich-Geschäft erweiterten RI eine klare Mehrheit halten wird – derzeit sind es, wie gesagt, 72,8 Prozent.

Wirklich gelöst wären die Probleme damit allerdings nicht, sie werden nur vertagt. Die neue „Raiffeisenbank International AG“ (so der nicht unwahrscheinliche neue Firmenname) soll zwar als vollwertige Bank operieren. Um an für den laufenden Geschäftsbetrieb benötigte Liquidität zu gelangen, kann sie sich Geld bei anderen Banken leihen oder auch Anleihen platzieren (das konnte bisher nur die RZB). Vollwertiges Eigenkapital wird die neue Bank aber eben nur über die Börse bekommen. Wer dann auf Raiffeisen-Seite nicht mitkann oder will, riskiert unverändert, die Kontrolle zu verlieren.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.