Occupy Orban

Ungarn. Hungerstreik gegen den Rechtspopulismus

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Wie ein Vogelnest schmiegt sich das winzige Camp an den riesigen Glaspalast in der Budapester Kunigunda-Straße, in dem das öffentlich-rechtliche ungarische Fernsehen (MTV) residiert. Ein eisiger Wind weht, ein paar Streikende sitzen, in Schlafsäcke eingewickelt, vor einem blauen Zelt. Eine Aktivistin der „Ungarischen Solidarität“ reicht dampfenden Tee herum.

„27“ stand am vergangenen Donnerstag an der Frontseite des Zelts: 27 Tage zuvor hatten die Fernsehjournalisten und Gewerkschafter Balazs Navarro Nagy und Aranka Szavuly ihren Hungerstreik begonnen. Ihr Protest richtet sich gegen die ständige Manipulation der Nachrichtensendungen des ungarischen Fernsehens. Das vor einem Jahr in Kraft getretene Mediengesetz hat die Anstalt vollends der politischen Macht der rechtspopulistischen Regierung von Viktor Orban unterworfen. Vertrauensleute der Regierung entlassen seither „politisch unzuverlässige“ Journalisten, zensieren kritische Berichte, retuschieren und fälschen die Fernsehbilder.

„Als Anfang Dezember der Ex-Präsident des Obersten Gerichtshofs, Zoltan Lom­nici, in einem Fernsehbericht überpixelt wurde, war für mich das Maß voll“, erzählt ­Navarro Nagy, ein groß gewachsener Mann mit Graubart. Lomnici hatte bei den Fernsehbossen auf einer geheimen „schwarzen Liste“ von Personen gestanden, die „nicht im Bild gezeigt werden dürfen“. Bei einem Interview mit dem Orban-treuen Siebenbürger Bischof Laszlo Tökes am Rande ­einer Konferenz war Lomnici im Hintergrund durch das Bild gehuscht. Auf Weisung ihrer Vorgesetzten mussten die Cutter das Gesicht des ehemaligen Höchstrichters überpixeln.

Internetportale machten den Skandal öffentlich.
Als dann die Cutter und Redakteure Disziplinarverweise erhielten, waren Navarro Nagy, 44, und seine Kollegin Szavuly, 32, empört. Mit einem Hungerstreik wollte er erzwingen, dass die Verantwortlichen entlassen werden. Szavuly, wie er Vorstandsmitglied der Unabhängigen Gewerkschaft der Fernseh- und Filmmacher, schloss sich ihm an. „Ich dachte, wenn Balazs dabei nicht allein bleibt, dann wirkt das viel ernsthafter“, schildert die Frau ihre Beweggründe.

Bald fuhren die TV-Granden härtere Geschütze gegen sie auf. Tagelang wurde das kleine Camp mit lauter Weihnachtsmusik beschallt und mit grellem Licht geflutet. Kurz vor der Jahreswende wurden Navarro Nagy und Szavuly entlassen, obwohl sie als Gewerkschafter Kündigungsschutz genießen. Was gibt ihnen die Kraft, all das auszuhalten? „Ich bin religiös“, sagt Szavuly. „Und ich weiß, dass ich hier für eine gute Sache kämpfe.“ Navarro Nagy, der als außenpolitischer Reporter viel in Asien und Lateinamerika herumgekommen ist, meint: „Ich muss immer daran denken, dass anderswo Menschen ihr Leben für die Bürgerrechte riskieren. Ich riskierte nur meinen Job.“

Die Verweigerung der Nahrungsaufnahme beendeten die beiden am Silvestertag. Seitdem lösen sie sich mit neu dazu­gestoßenen Gewerkschaftern und Freiwilligen beim Hungerstreik ab. Ein Hauch von „Occupy Kunigunda Street“ liegt über dem kleinen Camp vor dem Fernsehgebäude. Navarro Nagy hatte sich allerdings mehr Engagement von Journalistenkollegen erhofft: „Immerhin kämpfen wir auch für ihre Freiheit.“ Weil der Streik in dieser Form nicht ewig dauern kann, gründeten er und Szavuly die Bewegung „Saubere Hände“. Damit wollen sie künftig die Korruption beim Fernsehen und anderswo im Land bekämpfen.

Vergangene Woche bekamen sie Besuch von einem prominenten Kollegen. György Bolgar ist der Moderator einer beliebten Sendung bei Klubradio, dem einzigen oppositionellen Sender im Land. Nach einem fragwürdigen Ausschreibungsverfahren der Orban-hörigen Medienbehörde wird Klubradio allerdings bald die Sendefrequenz verlieren. „Wenn wir irgendwann so weit sind, dass wir dieses völlig absurde, bedrohliche politische System abschaffen können“, sagte Bolgar zu den beiden, „dann wird euer Beispiel auf viele andere Menschen ausstrahlen.“