Vor einem Jahr platzte der Skandal um das Flughafen-Terminal Skylink

Affäre. Seither ruhen die Bauarbeiten

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Geschichten kursieren zumeist in mehreren Versionen. Schließlich kommt es immer darauf an, wer sie erzählt. Die Geschichte des Terminalprojekts Skylink am Flughafen Wien-Schwechat zum Beispiel. Die Flughafen Wien AG, eine der bedeutenderen börsennotierten Gesellschaften des Landes, hat im Internet eine eigene Skylink-Seite aufgesetzt. Da lässt sich allerlei Wissenswertes über das Bauwerk in Erfahrung bringen. So etwa, dass in der zehn Hektar großen Baufl äche 17 Fußballfelder Platz fänden; dass die 450 Bohrpfähle, die Skylink tragen, das Gewicht von 3750 Elefanten haben; dass die Glasfl äche der Fassade jener von 600.000 Sonnenbrillen entspricht; und dass man entlang der verlegten Sanitärleitungen locker die doppelte Marathon- Distanz laufen könnte. Das sind fraglos essenzielle Informationen – wenn man von der Tatsache absieht, dass Skylink nach wie vor nur eine Baustelle ist. Denn eigentlich sollte das Terminal ja längst in Betrieb sein. Aber das ist eben die andere Version der Geschichte. Und die sucht man in den offi ziellen Statements des Flughafens vergeblich. Skylink ist bis heute nicht viel mehr als eine 720 Meter lange Glashülle ohne Innenleben. Seit Baubeginn Mitte 2005 musste das Management Bauzeit und Kosten immer wieder revidieren. Aus zunächst 400 Millionen Euro wurden im Laufe der Jahre 425 Millionen, dann 512 Millionen, dann 657 Millionen – derzeit ist von 830 Millionen Euro die Rede, einschließlich aller Nebengeräusche (ein Teil der Kosten etwa für Möblierung, Passagierleitsysteme und Sicherheit wurde vorsorglich schon in einer frühen Phase ausgelagert) dürfte das Terminal damit fast eine Milliarde Euro teuer werden. Und die genannten Fertigstellungstermine füllen überhaupt Kalenderspalten: Juni 2008, Oktober 2008, März 2009, Juni 2009, Oktober 2009, Dezember 2011 – derzeit ist leicht unscharf vom „ersten Halbjahr“ 2012 die Rede. Skylink ist längst so etwas wie ein Mahnmal beispielloser Misswirtschaft, die den Flughafen in die wohl schwerste Krise seiner Geschichte gestürzt hat.

profil war daran nicht ganz unbeteiligt.
Fast auf den Tag genau vor einem Jahr, am 15. Juni 2009, veröffentlichte dieses Magazin die bis dahin wohlweislich unter Verschluss gehaltenen Sitzungsprotokolle des so genannten Skylink-Lenkungsausschusses (Ausgabe Nr. 25/09). Das – mittlerweile aufgelöste – „Steering Committee“ war auf Vorstandsebene eingerichtet worden, um die Zusammenarbeit mit Dutzenden Architekten, Projektmanagern, Professionisten, Bauunternehmen und sonstigen „Beratern“ abzustimmen. Tatsächlich wurde in den insgesamt 37 Meetings zwischen 2001 und 2009 in erster Linie der Schrecken verwaltet – und penibel dokumentiert: Planungsfehler, Konstruktionsmängel, Koordinationsprobleme, exzessive Konsulentenhonorare, nebulose Abrechnungen. All das verschärft durch ein in jeder Phase indisponiertes Management, welches nach innen hilflos agierte, die dramatischen Entwicklungen auf der Baustelle öffentlich aber gleichzeitig kleinzureden versuchte. Und das, obwohl die damals zuständigen Vorstandsdirektoren Herbert Kaufmann, Gerhard Schmid und Christian Domany von der hauseigenen Flughafen-Revision bereits ab 2004 immer wieder eindringlich vor manifesten Kosten- und Terminproblemen gewarnt worden waren (profil berichtete ausführlich).

Die Folgen des Debakels: Der ÖVP-nahe Christian Domany, auf Vorstandsebene für Skylink zuständig, musste auf Druck des Aufsichtsrats am 1. März des Vorjahres, sieben Monate vor Ablauf seines Vertrags, abdanken; wenn auch unter Wahrung aller Gehalts-, Abfertigungs- und Pensionsansprüche. Auf ihn folgte – ohne jede Ausschreibung – der frühere niederösterreichische ÖVPWirtschaftslandesrat Ernest Gabmann, welcher die weitere Bautätigkeit erst einmal auf unbestimmte Zeit sistierte. Unabhängig davon nahm die Staatsanwaltschaft Korneuburg Ermittlungen gegen Kaufmann, Schmid, Domany und andere involvierte Personen wegen des Verdachts des Betrugs und der Untreue auf, der Rechnungshof ließ eine hochnotpeinliche Prüfung anlaufen, der entsprechende Rohbericht könnte demnächst vorliegen.

Stillgestanden.
Skylink selbst: Auch heute, zwölf Monate nach dem von profil ausgelösten medialen Orkan, wird vor Ort nicht wirklich gebaut. So hatte der Flughafen zwar bereits im Februar vollmundig die Wiederaufnahme der Bautätigkeit verkündet. Tatsächlich war bis auf die Beseitigung bestehender Mängel bisher aber kein echter Fortschritt zu verzeichnen. Nach profil-Recherchen verirrten sich an starken Tagen zuletzt kaum mehr als 100 Arbeiter auf den 150.000 Quadratmetern, eigentlich sollten es gut und gern 1000 Leute sein. Das monatliche Bauvolumen soll im Frühjahr gerade einmal drei bis fünf Millionen Euro betragen haben, eigentlich hätten zu diesem Zeitpunkt bereits 15 bis 20 Millionen Euro verbaut werden sollen. „Wir sind sowohl bei den Kosten als auch bei den Terminen absolut im Soll“, verspricht Vorstand Ernest Gabmann.

Spätestens im November werde die Bauleistung wie geplant voll hochgefahren. „Da ist wohl etwas schlecht kommuniziert worden.“ Und das offensichtlich nicht nur nach außen. So soll es bei der jüngsten Aufsichtsratssitzung am 20. Mai zu durchaus leidenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Vorstand und dem nun vom Wiener Rechtsanwalt Christoph Herbst geführten Präsidium gekommen sein. Die Flughafen Wien AG steht zu jeweils 20 Prozent im Einflussbereich der Länder Wien und Niederösterreich, zehn Prozent werden von einer Stiftung der Flughafen-Mitarbeiter gehalten, 50 Prozent sind in Händen privater und institutioneller Anleger aus dem In- und Ausland. Das Kontrollgremium ist folglich mit Vertrauten der Landeshauptleute Michael Häupl und Erwin Pröll durchsetzt – und muss sich seinerseits den Vorwurf gefallen lassen, dem Treiben im Vorstand viel zu lange untätig zugesehen zu haben. Ein Mitglied des Aufsichtsrats, das namentlich nicht genannt werden will, formuliert es so: „Das wirklich Unbefriedigende ist, dass der Vorstand sich auch jetzt nur dann bewegt, wenn er vom Aufsichtsrat einen Tritt in den Hintern bekommt. Da geht es zu wie im Klassenzimmer.“ Für Manager eines börsennotierten Konzerns sei das „kein adäquates Verhalten“. Ob die nunmehr angepeilte Inbetriebnahme Mitte 2012 halten wird? „Das werden wir noch sehen.“ Gabmann lässt das naturgemäß nicht unwidersprochen. „Es trifft zu, dass der Aufsichtsrat in der Sache sehr engagiert ist. Aber Sie können davon ausgehen, dass der gesamte Vorstand sich sehr ernsthaft mit Skylink auseinandersetzt. Es wäre ja geradezu grotesk, dies nicht zu tun.“ Das kann man so glauben oder nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass das notorisch frostige Gesprächsklima innerhalb des Vorstands sich auch nach Domanys Abgang kaum gewandelt hat. Vor allem Vorstandssprecher Herbert Kaufmann, er wurde wie sein Kollege Gerhard Schmid in der SPÖ domestiziert, soll sich längst in eine Art innere Emigration geflüchtet haben. Zuvor war er über Monate hauptsächlich damit beschäftigt, Christian Domany die Alleinverantwortung für das Skylink-Debakel umzuhängen. Wider besseres Wissen. Längst steht auch Kaufmanns Zukunft auf der Kippe. Dass es bisher nicht zum Rauswurf kam, verdankt er weniger den eigenen Talenten als vielmehr einer aus seiner Sicht glücklichen Koinzidenz: Die Verträge der drei amtierenden Vorstände wurden erst im März des Vorjahres auf jeweils fünf Jahre, also bis 2014, verlängert. Noch auf Betreiben des in jeder Hinsicht überforderten früheren Aufsichtsratschefs Johannes Coreth (er wurde zwischenzeitlich zum einfachen Aufsichtsratsmitglied degradiert). Bei einer vorzeitigen Auflösung von Kaufmanns Vertrag – er kassiert wie seine Kollegen jährlich 430.000 Euro plus allfällige Boni – hätte ihm der Flughafen wohl eine Stange Geld nachwerfen müssen. Und das ausgerechnet vor den Wiener Gemeinderatswahlen am 10. Oktober dieses Jahres. Am Beispiel Christian Domany: Der heute 58-Jährige erhielt im Gefolge seines erzwungenen Abgangs sieben weitere Monate die volle Gage in der Höhe von insgesamt 148.000 Euro, die gesetzliche Abfertigung über rund 60.000 Euro, er durfte in dieser Zeit auch den vom Flughafen gestellten Dienst-Mercedes der R-Klasse nutzen – und hat mit Erreichen des 61. Lebensjahres auch noch Anspruch auf eine Firmenpension. Nur der von Domany beanspruchte Bonus für das Jahr 2009 wurde bisher nicht ausbezahlt. Bereits Ende des Vorjahres hatte der Vorstand ein gefälliges Gutachten des Grazer Zivilrechtlers Waldemar Jud anfertigen lassen. Laut Jud hat das Management beim Projekt Skylink stets „situationsadäquat“ agiert und ist seiner Verantwortung „nachgekommen“. Im Rückblick erhebt sich dann allerdings die Frage, warum Domany überhaupt retirieren musste. Wirklich schwer zu verdauen ist aber die Tatsache, dass es eines weiteren Jahres bedurfte, um das organisatorische Chaos auf der Baustelle zumindest ansatzweise zu beseitigen. So wurde die Anzahl der involvierten Planer und Konsulenten von zuvor rund 150 auf 40 reduziert, Schlüsselfunktionen wie Projektmanagement und Bauaufsicht restrukturiert, Verträge mit Professionisten neu verhandelt – intern rechnet man nun mit Einsparungen in der Höhe von 30 bis 40 Millionen Euro. In der Flughafen-Direktion wurde obendrein eine bis dahin nicht existierende eigene Skylink-Abteilung geschaffen, die Gabmanns engem Vertrauten Norbert Steiner untersteht.

„Wir haben jetzt klare Verantwortlichkeiten und verlässliche Ausführungs- und Planungsterminpläne“, sagt Steiner. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Fünf Jahre nach Baubeginn verfügt der Flughafen nunmehr endlich über jene Strukturen und Pläne, welche die Fertigstellung von Skylink überhaupt erst ermöglichen. Oder anders gesagt: Als die ersten Bagger 2005 auffuhren, ließ der Vorstand in Ermangelung konkreter Vorgaben schlicht ins Ungewisse bauen. Wie ausführlich berichtet, war vor allem die ursprünglich dem Wiener Planungsbüro FEG übertragene Haustechnik-Planung (Heizung, Klima, Lüftung) vom ersten Tag an eine Großbaustelle. Das wurde dem Vorstand in den Sitzungen des Lenkungsausschusses ab Sommer 2006 auch gebetsmühlenartig kommuniziert – Konsequenzen ließen dennoch monatelang auf sich warten. Wie es derzeit wirklich um eine der größten Baustellen des Landes steht, dürfte erst eine für 28. Juni angesetzte weitere Aufsichtsratssitzung zeigen. An diesem Tag müssen Gabmann und Kollegen dem Kontrollgremium die neuen Planungen und Bauschritte detailliert darlegen. Diese Sitzung habe gleichsam „erzieherischen Charakter“, wie ein Aufsichtsrat spitz bemerkt. Wohl auch deshalb, weil bis dahin der mit Spannung erwartete Rohbericht des Rechnungshofs (RH) zu Skylink vorliegen könnte. Freitag vergangener Woche wurde die fast einjährige Prüfungsarbeit im Rahmen der so genannten Schlussbesprechung mit dem Flughafen-Vorstand formell beendet. Alles andere als eine vernichtende RH-Kritik wäre jedenfalls eine Riesenüberraschung. Es liegt auf der Hand, dass der Aufsichtsrat sich auch damit auseinandersetzen wird müssen. Wann immer Skylink letztlich den Betrieb aufnehmen wird: Eine Hoffnung können Freunde der zivilen Aviation in jedem Fall begraben. Der neue Superjumbo Airbus A380 wird den Flughafen Wien-Schwechat wohl nie im Linienbetrieb ansteuern. Als das Terminal 2001 konzipiert wurde, existierte der Riesenvogel nur auf dem Papier. Der Skylink-Pier wird im Endausbau zwar über neue 17 Fluggastbrücken verfügen. Diese sind jedoch auf konventionelle Flugzeuge ausgelegt – der zweistöckige A380 ist dafür schlicht zu hoch.

Mitarbeit: Martina Lettner

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.