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Staatsdruckerei. Die Republik schanzte dem privaten Unternehmen Aufträge zu – ohne Ausschreibung

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Kein Rekord für die Ewigkeit. In der letzten Juniwoche des Jahres 2008 liefen in den Hallen der Österreichischen Staatsdruckerei die Arbeiten zu einem Projekt an, welches dem Unternehmen Eingang ins „Guinness-Buch der Rekorde“ sichern sollte: die schnellste Herstellung einer Briefmarke. In zwei Stunden und fünf Minuten war es der Staatsdruckerei gelungen, eine Sonderbriefmarke zum Finale der Fußball-Europameisterschaft zwischen Deutschland und Spanien (Endstand 0:1) herzustellen.

Weltrekord. Zumindest vorübergehend. Seit August 2012 gehört die Bestmarke der Liechtensteinischen Post. Diese schaffte das Kunststück „Fastest print of a postage stamp“ gar in nur 57 Minuten und 50 Sekunden.
Um einen weiteren „Guinness“-Eintrag hat sich die Staatsdruckerei nie bemüht – obschon sie in dieser Disziplin keinen Mitbewerber zu fürchten hat: ältestes privates Staatsunternehmen der Welt – oder andersrum, ältestes staatliches Privatunternehmen der Welt. Je nachdem.
Die Österreichische Staatsdruckerei GmbH, kurz OeSD, heißt nur so. 1804 unter Kaiser Franz I. als k. k. Hof- und Staatsdruckerey gegründet, ist sie seit mehr als einem Jahrzehnt zur Gänze in privater Hand. Seit November 2011 werden die Aktien der Konzerndachgesellschaft Österreichische Staatsdruckerei Holding AG an der Wiener Börse gehandelt.

Die Privatisierung der OeSD Ende des Jahres 2000 war eine der ersten der schwarz-blauen Regierung und zweifelsohne eine der erfolgreichsten – zumindest für jene, die den Laden seinerzeit erstehen durften: der gelernte Steuerberater und frühere Proponent des Liberalen Forums Johannes Strohmayer und dessen Partner Robert Schächter.

Obwohl längst entstaatlicht, unterhält die Staatsdruckerei bis heute eine Vielzahl von Exklusivverträgen mit Ministerien, Magistraten und Bezirkshauptmannschaften: Reisepässe; Personalausweise; Führerscheine; Zulassungsscheine; Aufenthaltstitel; Suchtgiftvignetten; Schiffsführerpatente; Strahlenschutzpässe; Pyrotechnik-Ausweise; Amtsformulare aller Art, Drucksorten für Volksbegehren und Europawahlen – es gibt kaum eine behördliche Drucksorte mit Sicherheitsmerkmalen, die nicht aus den OeSD-Hallen in Wien-Liesing käme.
Ohne die Staatsdruckerei geht in dieser Republik anscheinend gar nichts.
Eine Geschäftsbeziehung, um die nicht viele Worte gemacht werden. Die jeweils auf Jahre geschlossenen „Rahmenverträge“, allen voran jene mit dem Innenministerium (Reisepässe, Personalausweise, Aufenthaltstitel, Polizeiausweise) und dem Verkehrsministerium (Führerscheine, Zulassungsscheine), sind Verschlusssache. Amtsgeheimnis. Datenschutz. Nationale Sicherheit.
Schon bei der Privatisierung durch die ÖIAG Ende 2000 war den Akteuren nicht an gesteigerter Transparenz gelegen. Die Meldungslage zum Verkauf der Staatsdruckerei war dünn, ein Bieterprozess ist nicht dokumentiert. Plötzlich waren Strohmayer und Schächter da – zwei Herren, denen bis dahin nicht der Ruf vorauseilte, ausgerechnet dem Druckgewerbe zuzuneigen.

„Es gab sehr wohl einen Bieterprozess und mehrere Bieter“, sagt Robert Schächter, zugleich Vorstandschef der börsennotierten Österreichischen Staatsdruckerei Holding AG. An wen er sich da erinnern könne? „Es waren international renommierte Unternehmen aus der Branche darunter.“
Wie er und Strohmayer überhaupt mit dem Geschäft in Berührung kamen? „Das den Prozess begleitende Investmenthaus hat uns Unterlagen übermittelt.“ Dieses ist längst verschwunden, hieß damals „Austrian Mergers and Acquisitions“, kurz AM & A, und agierte als Beratereinheit der ÖIAG.

Ebenda, zwischen Aufsichtsrat und Vorstand der Verstaatlichten-Holding, fiel im November 2000 der Beschluss zum Verkauf von 100 Prozent der Staatsdruckerei – oder eigentlich: 100 Prozent des Sicherheitsdruckbereichs. Die ursprüngliche Staatsdruckerei war im Vorfeld der Privatisierung in drei Teile zerlegt worden: in den industriellen Offsetdruck „Strohal“, den Verlag der „Wiener Zeitung“ und eben den Sicherheitsdruck.

In der ÖIAG will sich heute niemand mehr so recht an die Transaktion erinnern. Die damaligen Vorstände Rudolf Streicher und Johannes Ditz verweisen auf die zuständige Abteilungsdirektorin Hermine Goldmann. Diese war für profil nicht zu erreichen. Die aktuelle ÖIAG-Führung beeilt sich auf profil-Anfrage mitzuteilen, dass das seinerzeitige „Investoreninteresse eher gering“ gewesen sei: „Die ÖIAG und ihre Berater haben europaweit mit zahlreichen möglichen Interessenten Kontakt aufgenommen. Im Transaktionsverlauf wurden 36 Informationsmemoranden verschickt, zwölf Managementpräsentationen abgehalten und vier Letters of Intent abgegeben.“ Im Übrigen unterliege der Vergabeprozess der „gesetzlichen Geheimhaltungspflicht“.
Strohmayer und Schächter sollen für die OeSD jedenfalls einen Betrag von 45 Millionen Schilling, umgerechnet 3,5 Millionen Euro, bezahlt haben. Sie mussten Altschulden von 18 Millionen Euro übernehmen und später rund 20 Millionen Euro investieren, um den Laden auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen.

Und dennoch dürfte sich der Kauf längst amortisiert haben.
Allein im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2011/2012 – Bilanzstichtag 31. März – warf das Unternehmen aus einem konsolidierten Umsatz von insgesamt 41,98 Millionen Euro einen Gewinn von 5,1 Millionen Euro ab. Im Jahr davor waren es 5,3 Millionen Euro gewesen. Das sind respektable Zahlen, wenn man bedenkt, dass das Druckereigewerbe schon bessere Zeiten gesehen hat.

Andererseits: Der Name Staatsdruckerei ist auch zwölf Jahre nach dem Rückzug des Staats Programm. Ohne die Re­publik Österreich als wichtigste Auftraggeberin würde das Unternehmen jedenfalls deutlich schmalere Ergebnisse ausweisen. Zwei von drei Euro, welche
die OeSD zuletzt umsetzte, kamen vom ­österreichischen Steuerzahler. Von den 2011/2012 erlösten 41,2 Millionen Euro entfielen 28,2 Millionen Euro auf Staatsaufträge – also 68 Prozent. Im Jahr davor waren es sogar 77 Prozent. Dies geht aus dem Jahresabschluss 2011/2012 der Staatsdruckerei Holding hervor – ein kleines Zugeständnis an die Transparenzregeln. Bis zum Börsengang der Gesellschaft war auch das im Dunkeln.

Die Staatsdruckerei wird von der Republik weiterhin so behandelt, als ob es die Privatisierung nie gegeben hätte. Seit der vollständigen Privatisierung 2001 hat die öffentliche Hand keinen einzigen nennenswerten Auftrag im Sicherheitsdruck national oder international ausgeschrieben. Jedes dieser Geschäfte ging an die Staatsdruckerei.
Dass die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst die OeSD auf ihrer Homepage bis heute unter „Bundesbetriebe und Anstalten“ listet, passt da nur zu gut ins Bild. Die Wahrheit ist: Die Staatsdruckerei gehört heute zu jeweils 47,44 Prozent den von Strohmayer und Schächter errichteten Privatstiftungen, 4,9 Prozent den Mitarbeitern, der verschwindende Rest ist Streubesitz.

Bis zur Privatisierung wäre es der öffentlichen Hand gar nicht möglich gewesen, Drucksorten mit Sicherheitsmerkmalen bei einem anderen Anbieter als der OeSD bestellen. Das war so im „Staatsdruckereigesetz“ vorgesehen. Dieses wurde im Zuge der Privatisierung allerdings aufgeweicht – seitdem könnte der Staat auch andere Druckereien aus dem In- und Ausland in Anspruch nehmen, sofern diese in Preis, Menge und Qualität besser sind. Sinnvollerweise werden Parameter wie diese im Wege einer Ausschreibung bestimmt, international schadet nie.
Nicht, dass es nichts gegeben hätte, was die eine oder andere Ausschreibung gerechtfertigt hätte: 2004 bekam die OeSD vom Innenministerium unter Ernst Strasser den Zuschlag für die Herstellung der neuen Reisepässe mit Chip, Nachfolgerin Liese Prokop winkte 2005 den Folgeauftrag für Reisepässe mit Chip und Fingerabdruck durch. Im gleichen Jahr bedachte das Verkehrsministerium unter Hubert Gorbach die OeSD mit dem Auftrag zur Herstellung und Personalisierung der Führerscheine im Scheckkartenformat, 2009 folgten die Scheckkarten-Zulassungsscheine, da schon unter Doris Bures.

Die zwanglosen Direktvergaben haben im April 2011 die EU-Kommission auf den Plan gerufen. Seitdem läuft ein so genanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich „betreffend Vergabe von Dienstleistungsaufträgen für den Druck öffentlicher Dokumente“, an dessen Ende der OeSD wohl der Verlust einzelner Aufträge droht (siehe Kasten). Denn es gibt durchaus auch andere Druckereien auf der Welt. Allein in Österreich sind zwei weitere Anbieter im Sicherheitsdruck tätig: zum einen die Nationalbank-Tochter OeBS, zum anderen die frühere Nationalbank-Tochter Austria Card, heute in privater Hand. Von internationalen Konzernen wie Giesecke & Devrient einmal abgesehen.
Ministerien wie Staatsdruckerei rechtfertigen die Vergaben monoton mit „nationalen Sicherheitsinteressen“. Tatsächlich laufen bei der OeSD hochsensible personenbezogene Daten zusammen. Ein eigener vom Innenministerium abgestellter „Kontrolldienst“ in der Druckerei würde etwaigen Missbrauch verhindern. Bei einer Beauftragung Dritter könne dies nicht sichergestellt werden. Heißt es.

Das ist schon allein deshalb zu hinterfragen, weil die private Österreichische Staatsdruckerei ihrerseits international im Geschäft ist, vor allem in Asien und Afrika. Auch in Europa versuchte die OeSD in der jüngeren Vergangenheit Fuß zu fassen. Beim erhofften Druck rumänischer Pässe ging das Unternehmen allerdings leer aus, ein Auftrag aus dem Kosovo wurde erst vor wenigen Monaten gekündigt. Dafür beschäftigt der Fall jetzt die lokalen Behörden. Die Staatsdruckerei soll Schmiergelder bezahlt haben, was Schächter energisch in Abrede stellt – und ergänzt: „Wir sind mit unseren Preisen absolut konkurrenzfähig.“
Das lässt sich, soweit es Österreich betrifft, leicht behaupten – wenn man gar keine Konkurrenz hat.

„Die Preisangemessenheit wird bei jeder Vergabe geprüft und dokumentiert“, heißt es in einer profil übermittelten Stellungnahme des Innenministeriums. „Alle Aufträge, die das Innenministerium vergeben hat, waren gesetzeskonform, die hohen Sicherheitsanforderungen rechtfertigen die Ausnahme von öffentlichen Ausschreibungen.“
Sicherheitsbedenken waren übrigens auch der Grund, warum die Bundesrepublik Deutschland vor wenigen Jahren die Privatisierung ihrer Bundesdruckerei wieder rückgängig machte. Seither fertigt Deutschland Dokumente mit Sicherheitsmerkmalen wieder bei sich selbst.
Finanzielle Erwägungen spielten dabei wohl auch eine Rolle.
Tatsache ist: Wer keinen Mitbewerber fürchten muss, hat auch bei der Preisgestaltung einen gewissen Spielraum. Es ist nicht einfach, an die unter Verschluss gehaltenen Informationen zu gelangen. Die Verbindungen zwischen Staat und privat waren immer wieder Gegenstand parlamentarischer Anfragen – daraus lassen sich zumindest Art und Umfang einzelner Geschäfte rekonstruieren:

> Der 2005 geschlossene Rahmenvertrag mit dem Verkehrsministerium zur Lieferung von Scheckkarten-Führerscheinen (Erstausgabe 2006) hat ein jährliches Volumen von 4,1 Millionen Euro.

> Die Herstellung von Scheckkarten-Zulassungsscheinen, vergeben 2009 (Erstausgabe 2011), wird mit jährlich 1,4 Millionen Euro budgetiert.

> Zwischen 2010 und 2011 druckte die OeSD für das Gesundheitsministerium eine Million so genannter Suchtgiftvignetten, welche auf Arzneimitteln angebracht werden. Zusammen mit dem Druck von „Formularen für die Substitutionsverschreibungen“ (Ersatztherapien für Drogenabhängige) summierte sich dieser Auftrag auf 612.000 Euro.

> 2010 wurde die Staatsdruckerei vom Innenministerium mit der Produktion neuer „Visa-Etiketten“ – ein Sicherheitsmerkmal auf Aufenthaltstiteln – bedacht. Gegenwert: 1,05 Millionen Euro pro Jahr.

> Der mit Abstand größte Brocken freilich bleibt ein wohlgehütetes Geheimnis: die 2004 erstmals beauftragte Herstellung von Reisepässen mit Chip, später auch mit Fingerabdruck (die so genannten biometrischen Identitätsnachweise werden seit 2009 ausgegeben). OeSD-Vorstand Schächter will sich zu den Konditionen nicht äußern – nationale Sicherheit, Geschäftsgeheimnis. Laut Homepage der Staatsdruckerei hat das Unternehmen zwischen 2006 und 2012 fünf Millionen Reisepässe mit Chip gedruckt. Nach profil-Recherchen verrechnet die OeSD für die Produktion eines Passes rund 28 Euro – bei fünf Millionen Stück wären das in sechs Jahren insgesamt 140 Millionen Euro Umsatz für die Staatsdruckerei. Oder durchschnittlich 23 Millionen pro Jahr.

Wie viel Staat nach der Privatisierung noch in der OeSD steckte und steckt, manifestiert sich auch an den handelnden Personen. Da wäre einmal Ernst Strasser. Nach seinem Abschied aus dem Innenministerium dockte der ÖVP-Politiker als „Berater“ der OeSD an. Laut „Standard“ soll er 150.000 Euro Honorar kassiert haben, der Vertrag wurde erst 2011 aufgelöst. Bereits 2002 hatte Strasser seinen Kabinettschef Christoph Ulmer im Aufsichtsrat der Österreichischen Staatsdruckerei GmbH installiert. Jenen Christoph Ulmer, über dessen Schreibtisch die aufklärungswürdige Beschaffung des digitalen Behördenfunks Tetron lief und der bis vor Kurzem als „Berater“ des Ministeriums zugange war. Ulmer unterhält bis heute ausgesuchte Kontakte dorthin. Etwa zu Wilhelm Sandrisser, der bis 2011 im Innenressort für Vergaben verantwortlich zeichnete. Ulmer schied 2005 aus dem OeSD-Aufsichtsrat aus. Zurück blieb Thomas Zach, Ulmers Nachfolger als Strassers Kabinettschef. Er sollte alsbald im Management der Staatsdruckerei landen.

Dort sitzt er bis heute. Wenn auch nicht mehr lang. Sein Vertrag läuft Ende März aus. Dann wird er zu neuen Ufern aufbrechen. Er hat im Jänner dieses Jahres ein Beratungsunternehmen gegründet: Gradus Proximus Advisory. Sein Partner: Christoph Ulmer.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.