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Biden, Macron, Netanyahu – Ein umstrittenes Startup und sein Millionen-Lobbying

Tausende E-Mails, Textnachrichten und Dokumente aus dem Inneren von Uber zeigen, wie die Taxi-App von San Francisco aus die Welt eroberte: mit politischen Connections, technischen Tricks, Rücksichtslosigkeit und ganz viel Geld.

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20. Jänner 2016, Davos. Der Wintersportort in den Schweizer Bergen ist – wie jedes Jahr – Austragungsort des „World Economic Forum“, ein Kongress, bei dem sich Granden aus Politik und Wirtschaft die Klinke in die Hand geben. Hier treffen einander die Allerwichtigsten aus der ganzen Welt. Was dort gesagt wird, hat auch Gewicht. An diesem Tag ist Joe Biden (damals noch als US-Vizepräsident) angesagt. Als er ans Rednerpult tritt, braucht Biden gerade einmal vier Minuten, um auf ein bestimmtes Thema zu kommen: „Ridesharing companies“ – Unternehmen, die per Handy-App Fahrdienstleistungen vermitteln. Damals wie heute ist der wichtigste derartige Anbieter der im Jahr 2009 gründete US-Konzern Uber.

Er habe heute den CEO einer solchen Firma getroffen, erzählt Biden dem hochrangigen Publikum in Davos, ohne einen Namen zu nennen. Dieser habe ihm erzählt, er würde in diesem Jahr zwei Millionen neue Jobs schaffen. Jobs, die denjenigen, die sie annehmen würden, die Freiheit ließen, so viele Stunden zu arbeiten, wie sie möchten, und ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten.

20. Jänner 2016: Der damalige US-Vizepräsident Joe Biden spricht beim „World Economic Forum“ in Davos über „Ridesharing companies“ – circa ab Minute 7:00.

Firmen wie Uber standen schon damals in der Kritik, Fahrer auszubeuten und Gesetze zu missachten. Und nun brachte ausgerechnet der Vizepräsident der Vereinigten Staaten – der mittlerweile das Amt des Präsidenten bekleidet – die frohe Werbebotschaft einer alles andere als unumstrittenen Branche an derart prominenter Stelle und ungefiltert unter die Menschen. Eine  internationale Recherche zeigt: Dass es dazu kommen konnte, war der Erfolg einer zig Millionen Dollar schweren Lobbying-Maschinerie, die Uber angeworfen hatte, um seine gleichsam rasante wie rücksichtslose Expansion ab 2013 voranzutreiben.

Die „Uber Files“

Wie geschickt Uber in verschiedenen Fällen hochrangige Politiker für seine Zwecke einspannen wollte, geht aus Daten hervor, die der britischen Zeitung „The Guardian“ zugespielt wurden. Es handelt sich dabei um mehr als 124.000 Dokumente – darunter rund 83.000 E-Mails und zahlreiche andere Kommunikationsdaten aus dem Zeitraum von 2013 bis 2017. Damals fasste Uber unter anderem auch in Österreich Fuß.

Der „Guardian“ teilte die Daten mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), das diese im Rahmen eines länderübergreifenden Rechercheprojekts weiteren Partnermedien zur Verfügung stellte. Insgesamt sind mehr als 180 Journalistinnen und Journalisten aus 29 Ländern an der Auswertung der „Uber Files“ beteiligt – in Österreich neben profil auch der ORF.

Was erzählen diese Files nun über Davos 2016? Bevor Biden ans Rednerpult trat, hatte er demnach einen Termin mit Travis Kalanick, einer der Gründer und damaliger Chef von Uber. Man hatte ein Treffen in einer Suite in einem Fünf-Sterne-Hotel vereinbart. Doch Biden war spät dran. Das kann einem US-Vizepräsidenten auf einer internationalen Top-Konferenz schon einmal passieren. Kalanick wurde jedoch ungeduldig. Er schickte einem seiner Mitarbeiter folgende Nachricht aufs Handy: „Ich habe ihm von meinen Leuten wissen lassen, dass jede Minute, die er zu spät ist, eine Minute weniger ist, die er mit mir haben wird.“

Biden passte Rede an

Große Worte, aber bezeichnend für das Selbstverständnis: Was ist ein – aus einer demokratischen Wahl hervorgegangener – Vizepräsident der Vereinigten Staaten schon gegen einen von Investoren mit Milliardensummen ausgestatteten König des Silicon Valley? Offenbar machte der damals 39-jährige Kalanick mit seinen digitalen Heilsversprechen dann durchaus Eindruck auf den 73-jährigen Biden. Ubers Chef-Lobbyist für die Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika ließ später mehrere Kollegen wissen, dass er ein SMS eines Biden-Mitarbeiters erhalten habe. Inhalt: „Der Vizepräsident hat sich in seiner WEF-Rede gerade auf Travis bezogen. Ihre Interaktion war sehr positiv und hat uns veranlasst, unsere Denkweise und die Rede an einigen Stellen zu verändern.“

Eine Pressesprecherin des Weißen Hauses teilte auf Anfrage mit, Biden sei der „arbeiterfreundlichste Präsident der jüngeren Geschichte“. Er fühle sich verpflichtet, die falsche rechtliche Einstufung von Arbeitskräften zu bekämpfen, die diesen wichtigen Schutz und Vorteile nehme – etwa den Mindestlohn, bezahlte Überstunden, Karenzurlaub und Krankenstand.

Damit ist wohl der Vorwurf der Scheinselbständigkeit gemeint – ein Thema, das in den vergangenen Jahren auch in Zusammenhang mit Uber diskutiert wurde.

Netanyahu warb um Investitionen

Biden war jedenfalls nicht der einzige hochrangige Politiker, zu dem Uber in Davos direkte Kontakte knüpfte. Einem internen „Feedback“ zufolge, das per E-Mail verschickt wurde, traf sich Kalanick rund vierzig Minuten lang mit dem damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu. „Bibi“ – Netanyahus Spitzname – wollte Investments im Forschungsbereich, schrieb Ubers Europa-Chef-Lobbyist. Kalanick hingegen habe klar gemacht, dass man gerne über Investments reden könne, Uber zunächst aber sein Geschäft am Laufen haben müsse. Dafür benötige man eine regulatorische Reform.

Uber war zu diesem Zeitpunkt in Israel verboten.

Die Aussagen Kalanicks dürften Netanyahu zu denken gegeben haben. Wenige Tage später kam es – Medienberichten zufolge – bei einer Kabinettssitzung zu einem offenen Streit zwischen dem damaligen Regierungschef und seinem Verkehrsminister Yisrael Katz. Netanyahu habe von seinem Treffen mit Kalanick erzählt und dann Katz vorgeworfen: „Warum fördern Sie nicht den Wettbewerb in der Taxi-Industrie?“ Ein Sprecher Netanyahus wollte auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben.

Macron: „Sehe mir das persönlich an“

Besonders großen Wirbel verursachte Ubers Markteinstieg in Frankreich. Dort gab es gewaltsame Proteste von Taxi-Fahrern, die sich gegen den neuen Konkurrenten stemmten. Im Oktober 2015 eskalierte die Situation in Marseille dermaßen, dass lokale Behörden das wichtigste Uber-Angebot in einigen Bereich der Stadt stoppten. Aber wozu hat man Bekannte an den richtigen Positionen – und deren Handnummern?

Ubers Chef-Lobbyist für die Region Europa nahm sein Mobiltelefon zur Hand und verfasst ein SMS. Empfänger: Emmanuel Macron. Der heutige französische Staatspräsident war damals Wirtschaftsminister. „Herr Minister, wir sind entsetzt“, tippte der Uber-Lobbyist am Abend des 21. Oktober 2015 auf Französisch in sein Handy. „Könnten Sie Ihr Kabinett veranlassen, uns dabei zu helfen zu verstehen, was vorgeht?“ Macron antwortete am nächsten Morgen: „Ich werde mir das persönlich ansehen. Lassen Sie mir alle Fakten zukommen und wir werden diesen Abend entscheiden. Lassen Sie uns in diesem Stadium ruhig bleiben, ich vertraue Ihnen.“

Tatsächlich änderten die lokalen Behörden ihr Vorgehen im Sinne von Uber. Behördenvertreter bestreiten allerdings, Druck aus Macrons Ministerium erhalten zu haben. Wie auch immer es zu dem bemerkenswerten Meinungswandel gekommen sein mag – die „Uber Files“ zeigen, dass sich der Lobbyist des US-Konzerns dafür beim Minister bedankte: „Gute Kooperation mit Ihrem Kabinett und dem von Beauvau (Anm.: Sitz des Innenministeriums) … Danke für Ihre Unterstützung.“ Macrons Antwort: „Das ist normal, danke für die angemessene Reaktion.“

„Wann sind Sie in Paris?“

Die „Uber Files“ enthalten eine Reihe von E-Mails, Textnachrichten und Verweise auf Treffen zwischen Repräsentanten des US-Konzerns und Macron beziehungsweisen dessen Mitarbeitern in einem Zeitraum von September 2014 bis Februar 2016. Demnach kam es bereits kurz, nachdem Macron Minister geworden war, zu einem Treffen mit Kalanick. Ein Uber-Lobbyist bezeichnete dieses gar als „spektakulär“. In einem internen E-Mail schrieb der Lobbyist, Macron habe seinen Mitarbeitern gesagt, sie sollten mit der – Uber kritisch gegenüber stehenden – Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde DGCCRF sprechen. Zitat im E-Mail: „Wir müssen mit ihnen eine technische Debatte führen … Ich will nicht, dass sie zu konservativ sind…“

Den Uber-Files zufolge stand Macron mit Kalanick auch anderweitig in direktem Kontakt. Demnach fragte der Uber-Chef via Handynachricht den damaligen Wirtschaftsminister, ob man dessen Ministerkollegen, Innenressort-Chef Bernard Cazeneuve, trauen könne. Den vorliegenden Unterlagen zufolge soll Macron auf Englisch geantwortet haben: „Wir hatten gestern ein Treffen mit dem Premierminister. Cazeneuve wird die Taxis ruhig halten und ich werde nächste Woche alles zusammensammeln, um die Reform vorzubereiten und das Gesetz zu korrigieren. Caz hat den Deal akzeptiert. Wann sind Sie in Paris?“

Was für ein Deal? Fest steht, dass Uber am Abend nach der Konversation zwischen Kalanick und Macron sein besonders umstrittenes Service UberPOP in Frankreich stoppte. Uber bestreitet jedoch, dass es einen Deal mit Macron oder den französischen Behörden gegeben habe, um günstigere gesetzliche Regelungen zu erreichen. Eine Konzernsprecherin teilte auf eine Anfrage im Rahmen der internationalen Recherche mit, UberPOP sei wegen eines hohen Levels an Gewalt gegen Fahrer und Passagiere gestoppt worden. Dem seien in keiner Weise günstigerer regulatorische Vorschriften gefolgt.

Der frühere Innenminister Cazeneuve wiederum ließ wissen, er habe niemals von einem Deal zwischen der französischen Regierung und Uber gehört. Macron habe ihm diesbezüglich nichts gesagt.

Macron selbst sitzt mittlerweile als Staatspräsident im Élysée-Palast. Auf ICIJ-Anfrage hieß es von dort, der französische Dienstleistungssektor sei seinerzeit in Aufruhr gewesen. Grund dafür sei die wachsende Bedeutung von Plattformen wie Uber gewesen, die vor verwaltungstechnischen Hürden und regulatorischen Herausforderungen gestanden wären. Fragen zu Macrons Verhältnis zu Uber blieben unbeantwortet.

Kontakte zu Oligarchen

Biden, Netanyahu und Macron waren nicht die einzigen hochrangigen politischen Connections von Uber in seiner stürmischen Expansionsphase in Europa und in anderen Weltregionen. Die „Uber Files“ deuten unter anderem auch auf ein Treffen zwischen Kalanick und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte im Jahr 2016 hin. Rutte soll dabei wohlmeinende Verhaltenstipps gegeben habe. Nebenher knüpften Uber-Verantwortliche auch noch Kontakte zu russischen Oligarchen mit Verbindung zu Präsident Wladimir Putin. Heute finden sich einige dieser russischen Geschäftsleute auf westlichen Sanktionslisten.

Eine EU-Kommissarin und ihre Abkühlung

Lobbying spielte offensichtlich eine wichtige Rolle bei der Eroberung der neuen Märkte. Besonders heikel in diesem Zusammenhang war das Engagement von Neelie Kroes, der früheren niederländischen EU-Wettbewerbskommissarin.

Kroes verließ die Kommission im Oktober 2014.  Etwa ein Jahr später – also noch während der vorgesehenen 18-monatigen „Abkühlungsphase“ – wollte sie in einem hochrangigen Beratungsgremium von Uber tätig werden. Ein entsprechendes Ansuchen wurde von der nachfolgenden EU-Kommission jedoch abgelehnt. Die „Uber Files“ deuten nun darauf hin, dass Kroes bereits während der Abkühlungsphase niederländische Regierungsmitglieder dazu bringen wollte, Behörden und die Polizei in Bezug auf  Ermittlungen gegen die Niederlassung von Uber in Amsterdam zurückzupfeifen. So stellte es zumindest ein Uber-Lobbyist in einem internen E-Mail dar.

Nach dem Ende der Abkühlungsphase wurde Kroes Teil des Uber-Beratungsgremiums. Wie sich aus den „Uber Files“ ergibt, bot ihr der Konzern dafür 200.000 Dollar pro Jahr. Per iMessage bestätigte Kroes, dass sie mit dem Angebot einverstanden sei.

In einer schriftlichen Stellungnahme teilte Kroes dem ICIJ mit, dass sie „in Übereinstimmung mit ihren ethischen Verpflichtungen als frühere EU-Kommissarin“ vor dem Ende der Abkühlungsphase weder formell noch informell bei Uber tätig gewesen sei. Sie habe in dieser Zeit eine unbezahlte Funktion bei einer niederländische Startup-Unterstützungsorganisation innegehabt, die es erfordert hätte, mit Unternehmen sowie mit Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zu interagieren. Diese Funktion habe sie auf Bitte der niederländischen Regierung und nach Zustimmung durch die EU-Kommission ausgeübt.

90 Millionen Euro Budget

Einem internen Planungsdokument zufolge peilte Uber alleine für 2016 ein Budget von insgesamt 90 Millionen US-Dollar für seine Lobbying- und Kommunikationsagenden an. Ob diese Planung tatsächlich umgesetzt wurde, geht aus den Files nicht hervor. Auch wenn es deutlich weniger gewesen wäre, würde es sich immer noch um eine enorme Summe handeln, die zeigt, wie entscheidend dieser Bereich für die Entwicklung von Uber gewesen sein muss.

Kein Wunder: Die Startup-Highflyer des Silicon Valley sehen sich gerne als „Disruptoren“ – als Visionäre, die mit einer Geschäftsidee nicht nur reich werden, sondern gleich die ganze Welt verändern. Im Idealfall dadurch, dass die Kunden der genialen Innovation einfach nicht widerstehen können und die schiere Kraft der Nachfrage den Markt innerhalb kürzester Zeit revolutioniert. So läuft das freilich in der Praxis nicht immer. Dann müssen unpassende Regularien passend gemacht und Widerstände gebrochen werden. Oder man startet einfach einmal mit der schieren finanziellen Macht eines Milliardenkonzerns und schaut, was passiert.

In einem Mail aus den „Uber Files“ findet sich der bemerkenswerte Satz (hier in deutscher Übersetzung): „Es ist besser, um Vergebung zu bitten als um Erlaubnis.“ Der Chef-Lobbyist für die Region Europa, der das schrieb, setzte ein Smiley dahinter. Im Gesamten hinterlässt die Recherche zu den „Uber Files“ jedoch den Eindruck, dass maßgebliche Personen beim US-Konzern auch getreu diesem Motto gehandelt haben.

„Uber Files“-Österreich

Was erzählen die „Uber Files“ diesbezüglich über Österreich? In jenem Zeitraum, den die Mails und Dokumente abdecken, war der österreichische Markt für die sturmerprobte internationale Führungsriege des Konzerns offenbar so etwas wie ein seltener Ruhepol. Proteste hielten sich im – für Österreich üblichen – friedlichen Rahmen. Zunächst gab es auch noch keine ernstzunehmenden rechtlichen Auseinandersetzungen. Ein wichtiger Grund dafür: In Österreich ist der besonders umstrittene Uber-Dienst UberPOP nie an den Start gegangen. Bei UberPOP kann jede Privatperson, die das möchte, als Fahrer agieren. Das wäre nicht nur gewerberechtlich ein Problem, sondern wohl auch sicherheitstechnisch und steuerlich.

In Österreich arbeitete Uber stattdessen mit lizenzierten Mietwagenunternehmen zusammen. Später ergaben sich zwar auch daraus in der Detailausgestaltung rechtliche Probleme. In den Monaten nach dem operativen Markteintritt in Wien im Jahr 2014 war das jedoch noch nicht der Fall. Die „Uber Files“ zeigen, dass Wien auf einer dreiteiligen internen Skala als „Tier 3“ eingestuft war – mit anderen Worten: weniger wichtig. Im Lobbying-Bereich war das lokale Management in solchen Märkten auf sich alleine gestellt. Externe Hilfe war nur im Krisenfall vorgesehen. Im internen Farbspektrum galt Wien als bernsteinfarben: ein Markt, der die „Notwendigkeit einer Veränderung“ akzeptiere. In solchen Ländern sollte der Lobbying-Fokus auf Regierung und Parlament gelegt werden, um die politische Initiative sicherzustellen. Für „rote“ Märkte hingegen waren umfassendere Aktionen vorgesehen.

Lobbying-Agentur sollte beauftragt werden

Im Herbst 2014 fühlte sich das lokale Uber-Management zunehmend unsicher. Eine Preisreduktion für das österreichische Uber-Service stand bevor – ein potenzieller Aufreger für die Taxi-Branche, die ohnehin immer Preisdumping fürchtete. Darüber hinaus ging man davon aus, dass jederzeit Überprüfungen durch das Arbeitsinspektorat stattfinden könnten.

Das Wiener Uber-Management wollte seine PR-Agentur Ecker & Partner zusätzlich mit Lobbying-Agenden beauftragen („Public Policy“, wie das in der Fachsprache heißt). Die Agentur erstellte vorab eine Präsentationsunterlage mit einem Überblick über sogenannte „Stakeholder“. Als derartige Ansprechpersonen identifizierte man dabei unter anderem Verkehrssprecher der verschiedenen politischen Parteien, Mitglieder der damaligen rot-grünen Wiener Stadtregierung, Vertreter von Arbeiter- und Wirtschaftskammer, des Sozialministeriums sowie der Automobilklubs (alles schön nach der gängigen Farbenlehre: ÖAMTC – „rather close to the ÖVP“ / ARBÖ – „rather close to the SPÖ“).

Die Agentur verwies auf zwei bevorstehende – ihrer Einschätzung nach relevante – Ereignisse: die Wirtschaftskammerwahl im Februar 2015. Die Wirtschaftskammer sei der Hauptmotor für die Regulierung im Transportbereich und in der Taxi-Industrie, hieß es in der Präsentation: „FPÖ und auch SPÖ nutzen Uber in ihren Kampagnen um das Bild der ‚US-Heuschrecke‘ zu zeichnen, die das lokale Taxi-Geschäft zerstört.“ Als zweites wichtiges Ereignis wurde die bevorstehende Wien-Wahl 2015 angesehen. 

Strategischer Ansatz: „Beißhemmung“

Die Berater von Ecker & Partner sahen für Uber die Chance, Teil bei der Gestaltung neuer Regulierungsvorschriften zu werden. Außerdem wollte man die Strategie verfolgen, eine Beißhemmung („bite inhibition“) bei Kritikern zu erreichen: Es sei nicht so leicht, jemanden zu attackieren, den man kennt, lautete das vorgeschlagene Lobbying-Rational.

Innerhalb der internationalen Führungsebene von Uber formulierte man noch klarere Ansichten. In einem internen Mail legte der Europa-Chef-Lobbyist unter anderem folgendes mögliche Ziel einer Beauftragung dar: das Arbeitsministerium schulen („educate“), um Inspektionen von Uber zu vermeiden, die potenziell mit negativer medialer Berichterstattung einhergehen könnten. Gemeint war offenbar Berichterstattung über Ermittlungen zu Fahrereinkommen und zur steuerlichen Behandlungen der Geschäftsaktivitäten.

Jedoch gab die Führungsriege im Uber-Konzern die Beauftragung der Agentur für Lobbyingaktivitäten – zumindest damals – nicht frei. Das Team in Österreich sollte demnach vorerst ohne externe Lobbying-Unterstützung weitermachen (wie andere Tier-3-Märkte auch).

Zu großen Veränderungen in Bezug auf die Gesetzgebung kam es in Österreich erst deutlich nach jenem Zeitraum, der durch die „Uber Files“ abgedeckt ist. Letztlich wurde das sogenannte Gelegenheitsverkehrsgesetz gleich zweimal novelliert: Mitte 2019 zunächst so, dass es schlecht für Uber gewesen wäre – das Inkrafttreten ließ allerdings lange auf sich warten. Als es Anfang 2021 dann soweit war, wurde bald eine neuerliche Änderung wirksam, die wiederum günstig für Uber ausfiel. Knapp nach dem Beschluss der ersten Gesetzesnovelle im Juli 2019 hatte der damalige ÖVP-Chef Sebastian Kurz bei einer Tour durch das Silicon Valley auch Uber-CEO Dara Khosrowshahi – den Nachfolger Kalanicks – getroffen und mit ihm über die Gesetzesänderung diskutiert. Kurz war damals nicht Bundeskanzler, die Reise fiel in die Zeit der Beamtenregierung nach dem Ende der türkis-blauen Koalition. In der nachfolgenden Regierung mit den Grünen erfolgte dann jedoch die – für Uber wichtige – neuerliche Änderung des Gesetzes. Ein Vorgang, der auch wegen der vorangegangenen Kurz-Reise zu Uber durchaus für Wirbel sorgte.

Uber: „Legitimes Interesse“

Mit Blick auf den Zeitraum des Markteintritts in Österreich teilte ein Uber-Sprecher auf Anfrage mit: „Selbstverständlich haben wir damals wie heute den Austausch mit verschiedenen politischen Akteuren auf Bundes-, Landes-, und kommunaler Ebene gesucht, um zu verstehen, unter welchen Bedingungen wir unser Geschäftsmodell in Österreich etablieren können.“ Es bestehe „ein legitimes Interesse, politische Entscheidungsträger über unser Geschäftsmodell aufzuklären und zu informieren, beispielsweise über den potentiellen Beitrag, den app-basierte Vermittlungsdienste zur nachhaltigen Mobilität in Städten leisten können. Die politische Interessensvertretung ist ein Bestandteil des demokratischen Willensbildungsprozesses.“ Viele Unternehmen, die eine internationale Expansionsstrategie verfolgen, würden auf Beratung durch lokale Experten zurückgreifen.

Uber ist derzeit in Österreich in Wien, Salzburg und Graz aktiv. Das Geschäftsmodell sieht vor, dass Uber über seine App Taxifahrten vermittelt und einen Teil der Einnahmen als Gebühr einbehält. Hinter Uber steht eine umfangreiche Konzernstruktur mit einem großen Knotenpunkt in den Niederlanden. Wie viele Steuern Uber pro Jahr in Österreich bezahlt hat, blieb auf Anfrage unbeantwortet. Mit genauen Geschäftszahlen in Bezug auf Österreich hält sich das Unternehmen ebenfalls sehr zurück. In einem Gerichtsurteil im Dezember 2019 wurde jedoch festgehalten, dass Uber am österreichischen Markt einen Gewinn von monatlich 1,5 Millionen Euro erziele. Seither sind freilich grundlegende Gesetzesänderungen erfolgt. Auch die Corona-Pandemie hat in der Taxibranche tiefe Spuren hinterlassen.

Mysteriöse Firmen-Flotte in Österreich

In Österreich ist Uber offiziell durch die Uber Austria GmbH vertreten. Darüber hinaus stießen profil und ORF im Firmenbuch jedoch auf dreizehn weitere Gesellschaften, die über eine niederländische Firma zum Uber-Konzern gehört hatten. Viele von ihnen führten Begriffe wie   „Mietwagen“, „Transport“ oder „Rental Car“ im Namen. Als Geschäftsführer finden sich unter anderem Personen, die auch in den „Uber Files“ Spuren hinterlassen haben.

Fast alle dieser Firmen wurden 2017 und 2018 gegründet – und im Frühjahr 2021 praktisch gleichzeitig wieder aus dem Firmenbuch gelöscht. Die veröffentlichten Jahresabschlüsse lassen vermuten, dass bei den meisten dieser Gesellschaften keine nennenswerte Geschäftstätigkeit stattgefunden haben dürfte. Was hatte es damit auf sich? Vor allem vor dem Hintergrund, dass Uber gerne argumentiert, lediglich Vermittlungsleistungen zu erbringen.

Auf Nachfrage teilte ein Uber-Sprecher kryptisch mit: „Bei einem Eintritt in einen neuen Markt diskutiert und prüft das Team verschiedene Ansätze. Viele Ideen werden aber nie umgesetzt. Unser Geschäftsmodell in Österreich war und ist es, Fahrten zu vermitteln.“

Den „Kill-switch“ gedrückt

profil und ORF wollten von Uber auch wissen, ob in Österreich früher bestimmte – höchst umstrittene – Technologien zum Einsatz kamen. Dem Vernehmen nach soll man auch in Österreich nach dem Markteintritt das sogenannte „Birdseye“ genutzt haben. Ein System, durch das Uber Fahrer und Kunden, welche die App nutzten, angeblich lokalisieren konnte. Dies soll genutzt worden sein, um Fahrer und Kundenströme besser zu koordinieren – nicht nur ein potenzieller Wettbewerbsvorteil, sondern datenschutzrechtlich durchaus bedenklich.

Außerdem fragten profil und ORF nach, ob in Österreich ein sogenannter Kill-switch zum Einsatz kam – eine Technologie, durch die per Fernsteuerung lokale Rechner von Uber-Servern getrennt werden konnten. Die „Uber Files“ zeigen, dass ein solcher Kill-switch in einer Reihe anderer Länder zum Einsatz kam – etwa, wenn Behördenvertreter gerade zu einer Razzia in den Geschäftsräumlichkeiten vorbeischauten. 

„Please kill access now.“

November 2014, Paris. Die Wettbewerbsbehörde DGCCRF stattete Uber einen unangemeldeten Besuch ab. Ein Uber-Manager schrieb: „Bitte jetzt den Zugang abdrehen.“ („Please kill access now.“) Die Erfolgsmeldung („Done now.“), die wenige Minuten später eintraf, leitete der Manager intern weiter – unter anderem an Travis Kalanick. Er ergänzte: „DGCCRF hat unser Büro durchsucht. Der Zugang wurde unterbrochen.“

Uber verfügte über eine Anleitung zum richtigen Verhalten bei Hausdurchsuchungen – intern „playbook“ genannt. Im Zuge einer anderen Razzia in Paris im Juli 2015 wies der Europa-Chef-Lobbyist von Uber per Handynachricht einen Mitarbeiter an, sich gemäß dem „playbook“ zu verhalten: „Probiere ein paar Laptops aus, wirke überrascht, wenn Du keinen Zugang bekommst, sag, dass das IT-Team in San Francisco ist und fest schläft.“ Die Antwort: „Oh ja, wir haben das Playbook so oft angewandt, dass der schwierigste Teil darin besteht, weiterhin überrascht zu wirken!“

Die „Uber Files“ zeigen, dass von November 2014 bis Oktober 2015 der Kill-switch in Frankreich, in Rumänien, in den Niederlanden, in Belgien, Indien und Ungarn zum Einsatz kam, um Behörden bei Razzien keinen Zugang zum IT-System zu ermöglichen. Ein besonders pikanter Fall spielte sich – einem vorliegenden E-Mail zufolge – im April 2015 ab. Damals stand das Uber-Hauptquartier in Amsterdam („AMS“) im Fokus der Behörden. Demnach schrieb Konzernchef Kalanick persönlich: „Please hit the kill switch ASAP… Access must be shut down in AMS“.

Uber: „Kooperieren mit Behörden“

Gab es derlei auch in Österreich? „Wir kooperieren routinemäßig mit Behörden, die sich im Zuge von Ermittlungen an uns wenden“, heißt es auf Anfrage. Zwar verfüge jedes Unternehmen „über Software-Lösungen zum Schutz von Firmengeräten (z.B. für den Fall, dass ein Mitarbeiter seinen Laptop verliert), aber derlei Software sollte niemals dazu verwendet werden, legitime behördliche Maßnahmen zu vereiteln. Heute verfügen wir über sehr strenge Datenschutz- und Sicherheitsrichtlinien zum Schutz von Nutzerdaten und gehen mit allen behördlichen Anfragen angemessen und sorgfältig um.“

Kalanicks Anwälte teilten mit, der frühere Uber-CEO habe niemals irgendwelche Versuche, die Polizei oder andere Regierungsbehörden zu täuschen oder zu hintertreiben, autorisiert oder daran mitgewirkt. Uber habe – wie andere Unternehmen auch – technische Vorkehrungen genutzt, um geistiges Eigentum und die Privatsphäre von Passagieren und Fahrern zu schützen und um sicherzustellen, dass die rechtlichen Prozesse im Fall einer Durchsuchung respektiert würden. Diese Vorkehrungen würden nicht zur Löschung von Informationen führen. Alle diesbezüglichen Entscheidungen seien von der Rechtsabteilung von Uber genehmigt worden.

Lieber Vergebung als Erlaubnis

Kalanick trat 2017 nach mehreren Skandalen als Uber-CEO zurück. Eine Sprecherin des Konzern-Mitbegründers teilte auf Anfrage des Journalistenkonsortiums rückblickend mit, Kalanick und das Uber-Team seien Pioniere in ihrem Bereich gewesen. Dies habe es erfordert, den Status quo zu verändern. Uber sei ein ernstzunehmender Wettbewerber in einer Branche geworden, in der Wettbewerb historisch gesehen verboten gewesen sei, meint die Kalanick-Sprecherin. Fest verwurzelte Brancheninteressen auf der ganzen Welt hätten darum gekämpft, die dringend notwendige Entwicklung in der Transportbranche zu verhindern.

Im Dezember 2014 formulierte es eine damalige Uber-Mitarbeiterin in einem E-Mail an den seinerzeitigen Europa-Chef-Lobbyisten des Konzerns noch deutlich knackiger: „Denke daran, dass nicht alles unter deiner Kontrolle ist und dass wir manchmal Probleme haben, weil wir - verdammt noch einmal - einfach illegal sind.“ Im englischen Originalton: „...remember that everything is not in your control, and that sometimes we have problems because, well, we're just fucking illegal.“

In aktuellen Statements gegenüber Journalisten wirkt Uber selbst nun eher bemüht, sich von früheren Zeiten abzugrenzen: „Uns ist wichtig zu betonen, dass sich Uber unter unserem CEO Dara Khosrowshahi in den letzten fünf Jahren grundlegend gewandelt hat“, heißt es in einer Antwort an profil und ORF. Man lege großen Wert darauf, ein zuverlässiger und vertrauenswürdiger Partner für die Städte und Gemeinden zu sein, in denen man aktiv sei. „Wir bitten um Verständnis, dass wir auf einzelne Verhaltensweisen, Überlegungen oder Entscheidungen von ehemaligen Mitarbeitern nicht eingehen können. Sechs bis acht Jahre später ist vieles davon für uns nicht mehr nachvollziehbar. Damals wurden vom Unternehmen weltweit unentschuldbare Fehler gemacht, die bereits eingehend untersucht und zu Recht schon vor Jahren weltweite Beachtung gefunden haben.“

Eines sollte dabei nicht in Vergessenheit geraten: Nicht zuletzt durch diese „Fehler“ konnte sich Uber in derart kurzer Zeit am Markt etablieren. Die nunmehrige Distanzierung erinnert ein wenig an den weiter oben zitierten Merksatz in einem Mail des Chef-Lobbyisten für die Region Europa: Lieber um Vergebung bitten als um Erlaubnis. Mit einem Smiley hinten dran.

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Die Berichterstattung des ICIJ zu den „Uber Files“ finden Sie hier.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).