Einerseits hat D. gemäß Verdachtslage mitgeholfen, den früher in Wien lebenden, Putin-kritischen Investigativjournalisten Christo Grozev auszuspionieren – ein Vorgang, der auch bereits Teil des Verfahrens in Großbritannien war. Wie sich im Zuge der Ermittlungen herausstellte, soll D. darüber hinaus aber auch noch beauftragt worden sein, eine Reihe weiterer Personen in Österreich zu bespitzeln. Unter den Opfern: DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner, zwei weitere Staatsschützer, der frühere Landespolizeikommandant von Wien und – mittlerweile zurückgetretene – ÖVP-Landesparteiobmann Karl Mahrer sowie ein früherer Kabinettschef eines Innenministers. Und auch profil-Chefredakteurin Anna Tahlhammer wurde zum Ziel der Marsalek-Truppe. Als wäre das noch nicht genug, soll D. auch noch in eine vom Agentenring gesteuerte Desinformationskampagne zum Vorteil Russlands und zum Nachteil der Ukraine verwickelt gewesen sein.
Doch nicht für Interpol
D. hat gleich nach ihrer Festnahme zugegeben, für die Bulgaren aus London tätig gewesen zu sein. Eine Frau, die sie schon länger gekannt habe, sei Teil der Gruppe gewesen. Die sogenannte subjektive Tatseite – also wissentlich spioniert zu haben – streitet sie jedoch ab: Zunächst hätten ihr die Londoner Bulgaren etwas von einem „Studentenprojekt“ erzählt. Dann davon, dass es sich um eine verdeckte Interpol-Aktion handeln würde, also eine behördliche Ermittlung. Davon sei sie dann auch überzeugt gewesen.
Zum strafrechtlichen Spionagevorwurf bekannte sich Tsveti D. in einer Haftverhandlung im Dezember daher „nicht schuldig“. Die Staatsanwaltschaft Wien hielt im Akt fest: „Dass D. all diese dubiosen Geschichten geglaubt haben soll, ist allerdings nicht nachvollziehbar.“ Auch die Haftrichterin ortete eine „Schutzbehauptung“ und sah in Bezug auf die subjektive Tatseite sehr wohl einen dringenden Tatverdacht. In U-Haft musste die Bulgarin dennoch nicht: Die Gefahr einer weiteren Tatbegehung sei zwar gegeben, jedoch „nicht besonders stark ausgeprägt“.
Kontakt zu vier Mitgliedern der Marsalek-Truppe
Tsveti D. durfte nach Hause – und ist in den Monaten darauf wiederholt von der DSN als Beschuldigte zu Einvernahmen geladen worden. profil liegt ein Teil der Protokolle auszugsweise vor. Insgesamt ergibt sich daraus, dass D. immerhin zu vier der sechs in London verurteilten Bulgaren aus der Marsalek-Truppe direkten Kontakt hatte. Drei davon hat sie auch persönlich getroffen – unter ihnen ein gewisser Biser D., der laut Urteil aus Großbritannien immerhin die Nummer zwei in der Hierarchie des Agentenrings war.
Biser D. sei – unterhalb des Bandenchefs Orlin R. – ebenfalls eine Vorgesetzten-Rolle in der Bande zugekommen, urteilte der Londoner Richter. Sichergestellte Handy-Chats würden zeigen, dass Biser D. in Montenegro Kontakt zu russischen Agenten gehabt und in Istanbul einen Laptop an einen russischen Agenten übergeben habe. Den Chats zufolge sei er sich der Rolle Jan Marsaleks bewusst gewesen. Auch habe er Nachrichten verschickt, in denen es um die russischen Geheimdienste FSB und GRU sowie um das Entführen von Zielpersonen gegangen sei. Aus einem Nebensatz des schriftlichen Urteils geht außerdem hervor, dass Biser D. in einen Versuch involviert gewesen sei, militärische Ausrüstung für Russland zu kaufen – ein Aspekt, zu dem es in Großbritannien offenbar keinen strafrechtlichen Vorwurf gab.
Mit anderen Worten: Biser D. war eine große Nummer in der Marsalek-Operation. Und die Wiener Zuarbeiterin Tsveti D. stand – ihren eigenen Aussagen zufolge – direkt mit ihm in Kontakt. Wie sich nunmehr aus der Auswertung ihrer sichergestellten Mobiltelefone ergibt, galt das offenbar auch konkret für die beauftragte Personenbespitzelung in Wien. Bis dahin war eher der Eindruck entstanden, Tsveti D. habe diesbezüglich nur mit einem eher untergeordneten weiblichen Mitglied der Londoner Bulgaren-Truppe direkt konferiert.
„Einen nach dem anderen“
Die Bespitzelung von Anna Thalhammer reicht ins Jahr 2022 zurück. Damals war sie Investigativjournalistin bei der „Presse“ und recherchierte federführend zu Jan Marsalek und dessen mutmaßlichen Zuträgern aus dem Umfeld des früheren Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Das brachte sie wohl in den Fokus der Russland-Spione.
In einer Aussage im vergangenen Dezember hatte Tsveti D. die Bespitzelung Thalhammers – mit Verweis auf ihre Notizen – noch als dreimaligen Versuch innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von 21. Juli bis 2. August 2022 dargestellt. Nach Auswertung ihrer Mobiltelefone durch die Ermittler ergibt sich dann aber doch ein etwas anderes Bild.
Demnach knipste Tsveti D. bereits am 11. Juli 2022 das Eingangsportal der „Presse“ – und tags darauf fertigte sie aus einem gegenüber liegenden Fischrestaurant mehrere Kurzvideos an. Doch damit war die Spitzelangelegenheit offenbar noch lange nicht erledigt: Ende August 2022 schrieb sie – hier in deutscher Übersetzung – an Biser D. via Facebook-Messenger: „Ich überlege, mit der Journalistin zu beginnen, du sagtest, einen nach dem anderen.“ Und tags darauf: „Heute war ich bei Ani, der Journalistin von 7 in der Früh bis 7 am Abend, habe aber niemanden gesehen, der ihr nur annähernd ähnlich geschaut hat. Jetzt habe ich mehr Zeit, die ich aufwenden kann, aber es ist eine Glückssache. Schauen wir halt.“
Tsveti D. meinte in ihrer Einvernahme, sie sei sicher nicht den ganzen Tag dort gewesen und habe Biser D. vielleicht angelogen. Wann Tsveti D. lügt und wann nicht, ist eine Frage, die am Ende des Tages möglicherweise ein Richter klären muss.