Ein Foto zu viel: Lange Haft für Marsaleks „Minion“-Agenten
Es gibt Fotos, die sollte man besser nicht machen. Einfach kurz vorher nachdenken – auch wenn in der heutigen Handy-Ära praktisch jeder und jede allzeit bereit für einen kleinen Schnappschuss ist.
„Ich bin sicher, dass Sie wussten, dass Herr Marsalek involviert war, und das ist der Grund, weshalb Sie am Münchner Flughafen ein Fahndungsplakat von ihm fotografiert haben.“ So lautet die simple, aber weitreichende Schlussfolgerung von Richter Nicholas Hilliard nach einem mehrmonatigen, international Aufsehen erregenden Spionage-Prozess in London. Pech für die fotofreudige Angeklagte, die dreißigjährige Vanya G. aus Bulgarien. Für sie wäre es vor Gericht wohl deutlich besser gewesen, wenn Sie nicht gewusst hätte, dass sie bei ihren klandestinen Aktivitäten letztlich im Auftrag des früheren Wirecard-Vorstands und nunmehrigen Russlands-Agenten Jan Marsalek unterwegs gewesen war.
Angesichts des plakativ fotografierten Plakats bestand für den Richter aber kein Zweifel. Wieso hätte die junge Frau ausgerechnet sonst das Marsalek-Poster knipsen sollen? Wohl doch, weil der Chef ihrer Bande direkt mit dem seit 2020 gesuchten Poster-Boy in Kontakt stand. Vielleicht wollte Vanya G. ja mit dem Bild eine Art Trophäe mitbringen. Nun brummte ihr Richter Hilliard sechs Jahre, acht Monate und drei Wochen Haft auf. Und damit kam sie noch vergleichsweise günstig weg.
Gekaufte Spione
Vanya G. war Teil einer sechsköpfigen Bulgaren-Bande, die gemäß Anklage von Großbritannien aus gut bezahlte Spionage-Aufträge für Marsalek quer durch Europa erledigte. Darunter auch in Österreich. Im schriftlichen Urteil des „Central Criminal Court“, das profil vorliegt, kommt auf 18 Seiten gleich zwölf Mal das Wort „Vienna“ – also „Wien“ – vor.
Die Bande wurde in Bezug auf sechs konkrete Spionage-Operationen verurteilt, welche von britischen Behörden aufgedeckt worden waren. Zwei davon richteten sich gegen russland-kritische Journalisten – einer von ihnen: der seinerzeit in Wien lebende Aufdecker Christo Grozev. In Bezug auf ihn standen sogar Entführungspläne im Raum. Eine weiteres Vorhaben: das Ausspähen einer US-Militärbasis nahe von Stuttgart, auf der ukrainische Soldaten für den Krieg gegen Russland ausgebildet wurden – profil berichtete wiederholt und ausführlich.
Nun fasste der Kopf der Bande, ein gewisser Orlin R., der mit Marsalek in regem Chat-Kontakt gestanden war, zehn Jahre und acht Monate Haft aus – hätte er nicht ein als mildernd gewertetes Geständnis abgelegt, wäre es sogar noch mehr geworden. Der zweithöchste Mann in der Banden-Hierarchie, Biser D., wurde zu zehn Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Die anderen, niederrangigeren Mitglieder des Spiztel-Rings, die von ihren Anführen auch „Minions“ (auf Englisch: „Lakaien“) genannt wurden, erhielten abgestuft neun Jahre und acht Monate, acht Jahre sowie etwas mehr fünf Jahre Haft. Bei Vanya G. waren es die erwähnten mehr als sechs Jahre.
Chats mit Wien
Dabei hatte Vanya G. den Richter noch davon zu überzeugen versucht, dass sie an gravierenden psychischen Problemen leiden würde. Hilliard zeigte sich allerdings nicht sonderlich beeindruckt. Er verwies auf Chat-Nachrichten, welche die Bulgarin an eine Freundin und Landsfrau namens Sveti D. in Wien geschickt hatte. In den Chats ging es um das Anbringen pro-russischer Aufkleber und Graffitis. „Sie waren extrem energisch und robust in den Nachrichten, die Sie geschickt haben“, hält der Richter im Urteil fest. („You were extremely forceful and robust in the messages you sent.“) Also nicht so fragil, wie Vanya das in Bezug auf ihren Zustand gerne dargestellt hätte.
Es lohnt sich also, nicht nur vor dem Fotografieren nachzudenken, sondern vor allem auch vor dem Chatten. Eine Lektion, die schon manch anderer auf die harte Tour lernen musste. Sveti D. wurde übrigens im vergangenen Dezember in Wien kurzzeitig festgenommen: Gegen sie war ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, weil sie für Marsaleks Bulgaren-Bande unter anderem profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer, den Chef der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, Omar Haijawi-Pirchner, und den früheren ÖVP-Wien-Obmann Karl Mahrer ausgespäht haben soll. Eine U-Haft sah das Landesgericht für Strafsachen Wien allerdings nicht als notwendig an. Die Tatbegehungsfahr sei nämlich aus Sicht des Gerichtes nicht besonders stark ausgeprägt gewesen – profil berichtete.
In London weht da offenbar ein anderer Wind. Das vorliegende Urteil lässt keinen Zweifel daran, dass es in Großbritannien auch dann als nachteilig für die nationale Sicherheit und die nationalen Interessen angesehen wird, wenn von dort aus in anderen Ländern zugunsten Russlands spioniert wird. Österreich ist da anders. Eine Verurteilung wegen Auslandsspionage muss hier kein fremder Agent wirklich fürchten.
profil-Event: Österreich und die Spione
Wie das genau ist mit Jan Marsalek, mit Spionage in Österreich und natürlich auch mit der bekannten Causa um Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott bespricht profil einen Abend lang mit hochkarätigen Gästen auf der Bühne im „Theater Akzent“ in Wien. Sichern Sie sich jetzt Karten! Und verzichten Sie besser auf entlarvende Fotos und belastende Chats.