Klima

So stark setzen die Herbst-Rekordtemperaturen den Gletschern zu

Der warme Herbst sorgt für dünnes Eis auf den Gletschern, 2075 werden Österreichs Berge komplett eisfrei sein. Das birgt Gefahren - nicht nur für Skisportler.

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Schneebedeckte Berggipfel und funkelndes Gletschereis: So sehen Winterlandschaften in Österreich aus. Bis jetzt. Denn Schnee und Eisriesen gehören bald der Vergangenheit an, die rund 900 Gletscher in Österreich schmelzen rasant. „Wir werden uns an ein völlig anderes Landschaftsbild gewöhnen müssen, denn die Gletscher sind nicht mehr zu retten“, sagt Gerhard Lieb vom Institut für Geografie und Raumforschung der Uni Graz, der dort seit 2017 gemeinsam mit Andreas Kellerer-Pirklbauer den Gletschermessdienst leitet. Die Ergebnisse des jüngsten Berichts zeigen: Es sieht nicht gut aus. 89 Gletscher wurden letztes Jahr untersucht, der durchschnittliche Längenverlust betrug 28,7 Meter. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Gletschermessungen. 

Großglockner mit Schnee bedeckt im Oktober 2020
Der Großglockner im Oktober 2023 ohne Schnee

links: © foto-webcam

rechts: © foto-webcam

Kein Schnee auf den Bergen: Der Großglockner links im Oktober 2020, rechts im heurigen Oktober

Requiem für Gletscher

Ein kleiner Rückblick: Im vergangenen September wird am Fuße des Großglockners getrauert. Der symbolische Eissarg inmitten von Kirchen-Vertreter:innen und Aktivist:innen der Umwelt-Organisation Protect Our Winters steht für das Sterben der Gletscher, genauer genommen, der Pasterze. Mit acht Kilometern Länge ist sie der noch größte übrige Gletscher Österreichs. Die Pasterze verlor allein im Bereich der Gletscherzunge ein Volumen von 14,7 Mio. m³ Eis, das entspricht ungefähr einem Würfel in der Höhe des Wiener Donautrums. Szenenwechsel nach Tirol: Wo vor drei Jahren am Schlatenkees noch dickes Eis lag, steht nun ein See. Mit 89,5 Metern Eisrückgang zwischen 2021 und 2022 hält der Gletscher laut der Umwelt-NGO Greenpeace einen „traurigen Rekordwert“.

Trotz des starken Rückgangs machen Gebirgsgruppen wie die Venedig- oder die Großglocknergruppe noch immer den Anschein einer intakten Landschaft, erklärt Gletscherforscher Lieb: „Das liege aber an ihrer Größe“, betont er. Denn der Gletscherschwund sei überall drastisch, „die kleinen sind visuell kaum mehr wahrnehmbar.“ 

Sommer ohne Ende: Was wir für 2023 bereits wissen

„Wir hatten heuer einen nicht enden wollenden Sommer von August bis Mitte Oktober, das hatte gravierende Auswirkungen“, analysiert Gletscherforscher Lieb. Erst vor knapp zwei Wochen kam die ersehnte Schneedecke, die normalerweise schon Anfang September auf den Bergen liegt. „Dadurch werden wir erneut eine weit überdurchschnittliche Abschmelzung und einen Verlust an Gletschermasse verzeichnen“, prognostiziert der Forscher. Was das in konkreten Zahlen bedeutet, werden die ausgewerteten Rohdaten, die derzeit aus rund zwanzig Gebieten eingeholt werden, erst im kommenden April zeigen. Die fixe Prognose für die nächsten Jahre steht aber fest: Kahle Berge und deutlich weniger Gletscher.

Hochschober im Oktober 2020
Hochschober im Oktober 2023 völlig ohne Schnee

links: © foto-webcam

rechts: © foto-webcam

Aufnahmen der Schobergruppen-Gletscher zeigen die Wetterveränderungen deutlich: Im Oktober 2020 (links) schneebedeckt, durch den warmen Herbst heuer liegt kein Schnee (rechts)

Ohne Schnee sind Gletscher „Auslaufmodell“

„Der Schmäh mit dem Schnee ist: Liegt einer am Gletscher, schmilzt dieser zuerst und schützt den Gletscher vorerst, erklärt Lieb. Liegt kein Schnee, absorbiert die Eisoberfläche die Strahlung und das führt zu „intensiver Abschmelzung, da das Gletschereis meistens relativ dunkel ist. Heruntergebrochen heißt das: Liegt kein Schnee, dann schmelzen die Gletscher schneller. In den 1980er Jahren gab es in Österreichs Gletscherlandschaft Schneefall statt Regen, auch die Wetterstürze von damals gibt es so nicht mehr. „Die Gletscher sind somit ganz selten bis nie von der Schneedecke geschützt, betont der Wissenschafter. 

„Optimistisch gesehen“ wird Österreich im Jahr 2075 eisfrei sein, heißt es im Bericht. Derzeit würden die Gletscher noch an Eisreserven zehren - wie lange das gut geht, hängt auch von politischen Maßnahmen ab. Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace fordern seit Jahren wirksame Klimaschutzgesetze oder die Abschaffung von Öl- und Gasheizungen. 

Der Gletscherschwund ist nicht unbedingt das Problem, aber er zeigt uns, dass wir längst hätten umdenken müssen.

Gerhard Lieb, Forscher und Leiter des Gletschermessdiensts

Baggern für den Weltcup

Schon jetzt gibt es aber Gletscher, an denen der Alpinskibetrieb eingestellt wurde, beispielsweise am Dachsteingletscher. Dort gehen Tourist:innen mittlerweile wandern statt Skitouren. Auch der Gletscherforscher bestätigt: Man wird im Tourismus „umlernen“ müssen. Noch nicht umgelernt wurde beim Alpinspitzensport, wo man kritikwürdige Zwischenlösungen für die braunen Pisten ohne Schnee gefunden hat. In Sölden, wo am Wochenende das umstrittene Jubiläum des Ski-Weltcuprennen steigt, setzte man alles daran die Pisten bis zum Termin fertig zu bekommen. Im Sommer gingen hierzu Bilder von Baggern, die sich durch die schmelzenden Gletscher graben, viral. Lieb bezeichnet das als Trotzreaktion. Auch in der Bevölkerung kommt der frühe Start trotz verheerender Klimaverhältnisse nicht gut an: Eine repräsentative Greenpeace-Studie zum Thema Wintersport zeigte, dass sich 80 Prozent der Österreicher:innen andere Lösungen gewünscht hätten. Etwa einen späteren Start der Rennsaison oder nachhaltige Infrastruktur. 

Gefahren für Alpinsicherheit

Nicht nur der Skisport ist durch den starken Eisrückgang bedroht, auch Bergsteiger:innen müssen immer öfter alternative Routen wählen. Viele Scharten- oder Passübergänge, die früher über flache Gletscher geführt haben, weisen jetzt steile Eispartien auf und sind sehr gefährlich zu besteigen. Geht das Eis zurück, kommen mitunter brüchige Felsen zum Vorschein. Die Anforderungen für den Erhalt der Infrastruktur in den Bergen wird immer höher - und finanziell intensiver: An zahlreichen Stellen müssen kleine Vorrichtungen wie Drahtseile oder Halteklammern angebracht werden. Und das geht ganz schön ins Geld: Obwohl derzeit vermeintlich Kleinigkeiten bei den Passierstellen adjustiert werden müssen, ist der Kostenaufwand für die Vorrichtungen durch die schwierigen Zugänge massiv. 

Sind die Gletscher noch zu retten? Der Forscher gibt düstere Auskunft: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Gletscher irgendwie erholen könnten. Sie werden definitiv verschwinden, die Frage ist nur wie schnell.“ Und: „Ich glaube, die Tatsachen liegen mittlerweile am Tisch. Seit zwanzig Jahren sage ich dasselbe in Interviews“, so Lieb. 

Karolina Heinemann

hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.