Ein Blick auf die Ötztaler Alpen vom Kaunertaler Gletscher am Freitag, 4. März 2022. Hochalpine Regionen sind vom Klimawandel stark betroffen.
profil-Morgenpost

Als es damals noch Gletscher gab

Sorgen plagen uns täglich. Welche davon werden in der Zukunft noch wichtig sein?

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Guten Morgen!

Können Sie sich an etwas erinnern, das Ihnen vor Jahrzehnten große Sorgen bereitet hat – und heute absolut kein Gewicht mehr hat? Vielleicht, weil sich Ihre damaligen Befürchtungen als doch nicht so gewaltig erwiesen haben. Oder weil über die Jahre viel größere, beklemmende Unruhe aufkam. Wie würde in ferner Zukunft von der Zeit gesprochen werden, in der wir leben? Welche Themen von heute wären noch wichtig? Und welche Warnungen würden sich tatsächlich als ernstzunehmend erweisen?

Zukünftige Erzählungen über den heutigen Tag könnten vielleicht so lauten:

Es war ein warmer Junitag in Österreich im Jahre 2022. Ein seltsam warmer Tag. Zu dieser Zeit gab es dort noch Gletscher. Bald würden sie der Vergangenheit angehören.

Die Menschen hatten viele Sorgen. Es wurde über die Vergabe von Staatsbürgerschaften gestritten – das waren Urkunden, welche die Privilegien von jenen Menschen festlegten, die diese besaßen, gegenüber denjenigen, die bloß in Österreich lebten – während zwei Ländergrenzen entfernt die Ukraine bereits 113 Tage lang von Russland angegriffen wurde. Fast fünf Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer mussten laut Angaben der UNO bereits ihre Heimat verlassen, mehr als 15 Millionen innerhalb des Landes um ihr Leben fürchten. Weltweit waren Mai 2022 mehr als 100 Millionen Menschen aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen vertrieben, wie der am Vortag veröffentlichte "Global Trends Report" des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) zeigte.

Die Menschen hatten auch finanzielle Sorgen. Das Leben wurde teurer. Nach einer mehrjährigen Seuche und dem Krieg in der Ukraine war die Angst vor einer Weltwirtschaftskrise groß. Die Regierung schnürte ein 6-Milliarden-Paket, um der damaligen Inflation entgegenzuwirken, welches viele Fragezeichen aufwarf: Wie würde es finanziert werden? Würden gezielt jene Menschen entlastet, die es brauchten?

Während über all diese Probleme nachgrübelt wurde (berechtigterweise), spielten sich in der Natur irreversible Vorgänge ab. Im Juni 2022 gab es noch 4000 Gletscher in den Alpen. Noch hätten die schlimmsten Befürchtungen verhindert werden können, etwa durch die Einschränkung des menschengemachten globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius mithilfe von CO2-Sparmaßnahmen – doch allein bis zum Ende jenes Jahrhunderts sollten 3300 der Gletscher schmelzen. „Diese großen, dicken Gletscherzungen, wie wir sie heute kennen, werden sehr wahrscheinlich der Vergangenheit angehören“, warnte Glaziologin Andrea Fischer im Klima-Podcast von profil.

Die Klimaveränderungen ließen sich von den Menschen gut beobachten. An jenem Junitag im Jahre 2022 steuerten die Österreicherinnen und Österreicher auf das bislang heißeste Wochenende des Jahres zu: Die sogenannte Klimakrise machte sich in Mitteleuropa sichtbar. Vor allem Spanien und Frankreich würden unter brütender Hitze leiden, an die 45 Grad waren in den kommenden Tagen möglich. Damals konnte man sich noch mit Sonnencreme vor UV-Strahlung schützen.

Die Welt befand sich im Umbruch. Die Entscheidung über die Zerstörung der Erde oder deren Schutz fiel den Menschen schwer. Journalistinnen und Wissenschafter informierten über die Erderhitzung, Politik und Wirtschaft waren verantwortungsscheu. Sie alle wollten die Erde retten. Doch es war keine Priorität. Und heute gibt es keine Gletscher mehr.

Wie glauben Sie geht die Geschichte unserer Zeit weiter? Erzählen Sie es mir gerne unter [email protected]!

Ein sorgloses Wochenende wünscht

Elena Crisan

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.