Kulturtipp

Die Alleingängerin

Zeit und Zeugnis im Bild: Wolfgang Paterno erinnert an die 2020 verstorbene Wiener Fotografin Elfriede Mejchar.

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Das Schöne und das Hässliche verwaister Landschaften und dem Verfall preisgegebener Häuser, zubetonierter Ausfallstraßen und schwindelerregend in die Höhe ragender Industriekamine: Die Bilder von Elfriede Mejchar (1924–2020), der großen bekannten Unbekannten der heimischen Fotografie, legen Zeugnis eines halben Jahrhunderts österreichischer Zeitgeschichte ab, fern etablierter Sehweisen und Tunnelblicken: Fotografie als ferne Echokammer politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderung. 

Um all das und vor allem auch den Zauber und die schiere Energie von Mejchars Arbeit noch besser verstehen zu können, schadet es nicht, dass zum 100. Geburtstag der Fotografin gleich drei neue Ausstellungen öffnen: Das Wien Museum, das Salzburger Museum der Moderne und die Landesgalerie Niederösterreich – gemeinsam mit den Landessammlungen Niederösterreich – präsentieren nun annähernd zeitgleich Schauen zum Schaffen der Fotoartistin; bereits im Vorfeld wurde der erste Elfriede-Mejchar-Preis für Fotografie der in Wien und im Burgenland lebenden Fotografin und Künstlerin Lisa Rastl zuerkannt.

Die Mejchar-Magie: leblose Stille am Simmeringer Markt; ihre, wie die Fotografin sie selbst nannte, „verseltsamten Stillleben“ von Gummihandschuhen, die nach hageren Pflanze grapschen; der Teddybär, der die kopflose Stoffpuppe fast schon lüstern verfolgt; die „kleinen Architekturen“ von Wohnungstüren mit Türspion und Postschlitz, baufälligen Hütten und den Landstrich bedrohlich überragenden Strommasten; die Vogelscheuchen, die ihre Stoffextremitäten im Wind flattern lassen. Wahre Schönheitslinien, inmitten des Unschönen. 

Eine Ausnahme machte Mejchar beim Menschen. „Nein“, sagte sie: „Bei Porträts mag ich es nicht hässlich.“

Hinweise: 

Landesgalerie Niederösterreich: Elfriede Mejchar. Grenzgängerin der Fotografie (13.04.2024 – 16.02.2025)

Wien Museum, musa, Felderstraße 6-8, 1010 Wien: Im Alleingang. Die Fotografin Elfriede Mejchar (18.04- – 01.09.2024)

Museum der Moderne Salzburg / Altstadt (Rupertinum): Poesie des Alltäglichen. Fotografien von Elfriede Mejchar (26.04. – 15.09.2024)

Elfriede Mejchar: Grenzgängerin der Fotografie. Hrsg. v. Anton Holzer, Harald Krejci, Frauke Kreutler, Edgar Lissel, Gerda Ridler, Alexandra Schantl, und Kerstin Stremmel. Hirmer, 304 S., EUR 39,90

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.