Neues Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre: Jeder hat eine Chance
Boris Becker, traurige Lachnummer der Klatschspalten, potenzieller Kandidat fürs TV-Format "Dschungelcamp": Wie leicht wäre es, sich über den einstigen Tennisprofi, der zum C-Promi abgestiegen ist, lustig zu machen. Als Journalist sucht der deutsche Popautor Benjamin von Stuckrad-Barre, 43, das Überraschende.
Er geht als Menschenfreund zu Interviews, gibt jedem, den er porträtiert, eine Chance. Mit Becker betrachtet er in dessen Wohnzimmer eine Aufzeichnung seines Wimbledon-Siegs von 1985 und staunt: Seine Ehefrau Lilly sieht das Jahrhundertspiel tatsächlich zum ersten Mal.
Pointierte Stimmungsbilder aus Deutschland
"Das freut einen wirklich für Boris Becker, dass er ganz offensichtlich kein Tennis-Groupie geheiratet hat." Nach seiner Autobiografie "Panikherz" (2016) legt Stuckrad-Barre nun erneut eine Sammlung an Texten vor, die in Magazinen erschienen sind. Es sind nicht alle Beiträge so grandios wie das Treffen mit Becker, aber unter dem denkwürdigen Titel "Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen" finden sich funkelnde Miniaturen, getragen von einem genauen Blick.
Stuckrad-Barre trifft Venedig-Hasser Ferdinand von Schirach natürlich in Venedig, interviewt einen überheblichen Florian Henckel von Donnersmarck, erklärt, wie kompliziert es ist, mit Helmut Dietl ein Drehbuch zu schreiben, lässt sich ein Liebes-Tattoo stechen. Pointierte Stimmungsbilder aus Deutschland, erstaunlich leichtfüßig.
Benjamin von Stuckrad-Barre: Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen. Remix 3. Kiepenheuer & Witsch. 307 S., EUR 20,60