Klare Ansagen: Milo Rau in einem seiner Bühnenbilder.

Chaosforscher

Theater als postmodernes Aufklärungsinstrument

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Milo Rau, 1977 in Bern geboren, ist der Soziologe unter den Theaterregisseuren. Krisengebiete sind sein Spezialgebiet, er war viel im Kongo unterwegs, in Syrien, in Ruanda, hat mehrfach sein Leben riskiert, um sich selbst ein Bild von Bürgerkriegen zu machen. Um klare Ansagen ist er nicht verlegen. Das Fazit seiner Recherchen: "Zivilisation ist der Ausnahmezustand und die Barbarei die Normalität. Der Wohlstand des imperialen Europa beruht auf Ausbeutung.“

Dabei versteht Rau sein Theater durchaus als eine Art postmodernes Aufklärungsinstrument, das den Aberwitz aktueller Nationalismen abbildet. Er rekonstruierte auf der Bühne "Die letzten Tage der Ceausescus“ (2009) und machte in "Hate Radio“ erfahrbar, wie ein Radiosender den nötigen Hass für den Genozid in Ruanda 1994 schürte - zwischen Popsongs wurde dazu aufgerufen, die Nachbarn zu ermorden. "Das Kongo Tribunal“ (2015) versammelte kongolesische Regierungs- und Oppositionspolitiker, Militärs und Rebellen, UN- und Weltbankfunktionäre, um über die realen Verbrechen in dem krisengeschüttelten, aber an Bodenschätzen immens reichen Land Gericht zu halten. "Ein Wahnsinnsprojekt“, schrieb das Hamburger Wochenblatt "Die Zeit“, und: "Wo die Politik versagt, hilft nur die Kunst.“

"Wir haben eine Wirtschaftspolitik, die so tut, als würde Europa am Mittelmeer enden“, sagt Rau im profil-Gespräch, das kurz nach der Premiere seines jüngsten Stücks "Empire“ stattfindet. Das Verhältnis Europas zum Rest der Welt ist zentrales Thema seiner jüngsten Arbeiten, die eine Trilogie bilden. In "Civil Wars“ (2014) ging Rau der Frage nach, was Jugendliche aus dem Westen in den Glaubenskrieg ziehen lässt, in "The Dark Ages“ (2015) erzählten Schauspieler über den Verlust von Heimat, in "Empire“ nun, das am 14. und 15. Oktober im Rahmen des Grazer Festivals steirischer herbst zu sehen sein wird, geht es um Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen flüchten mussten. Sie stammen aus Griechenland, Rumänien oder Syrien, sitzen in einer liebevoll realistisch gestalteten Wohnküche, zeigen Fotos - und berichten von Folter, Trauer, Tod und Rettung durch Kunst. Rau geht es auch um die ästhetische Frage: "Was passiert, wenn ein Schauspieler sein tatsächliches Leben auf der Bühne erzählt? Wie geht er mit der Tatsache um, dass seine sehr emotionale Geschichte wieder und wieder dargeboten wird?“

Karin   Cerny

Karin Cerny