Conchita: "Ich schreie richtig herum"

Conchita über mühselige Gesangsstunden, das Album „From Vienna with Love“ und die Frage, wann ein Mann ein richtiger Kerl ist.

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profil: Mit den Wiener Symphonikern veröffentlichen Sie jetzt das Album „From Vienna with Love“. Dabei interpretieren sie einige Ihrer Lieblingssongs, zum Beispiel „The Way We Were“ von Barbra Streisand. Fiel Ihnen die Arbeit leicht? Conchita: Ich habe einen wahnsinnigen Respekt vor der klassischen Musik. Der Unterschied zwischen E- und U-Musik ist mir egal, im Popbereich zählt aber vor allem auch das Image. Da kann man sich leichter durchschummeln und einiges kaschieren. Andererseits: Das sind die Symphoniker, was kann da schon schiefgehen?

profil: Mit den Symphonikern haben sie die Wiener Festwochen 2017 eröffnet. Hat Sie die Zusammenarbeit gar nicht eingeschüchtert? Conchita: Natürlich ist man eingeschüchtert. Ich halte mich nicht für den weltbesten Sänger. Ich hatte da schon sehr an mir zu arbeiten. Das Schöne ist: an diesem Album bin ich wirklich gewachsen, hab bei den Aufnahmen sehr viel dazugelernt.

profil: Mussten Sie zusätzlichen Gesangsunterricht nehmen? Conchita: Coachings habe ich immer wieder. Das Problem ist: ich bin ein wahnsinnig schlechter Schüler. Ich hasse es, in den Unterricht, in Gesangsstunden zu gehen. Da quäle ich mich hin.

profil: Was reizt Sie an der Arbeit mit einem Orchester? Conchita: Bei Orchesterkonzerten hast du nur eine Chance. Eine Chance für jeden Ton, für jeden Song. Bei Bandkonzerten ist das ganz anders. Da macht es auch nichts, wenn ich einmal den Text vergesse – es gibt mehr Flexibilität, ich bin sprichwörtlich unrasierter und unfrisierter. Wohlfühlen tue ich mich aber in beiden Welten. Für einen Abend kann ich die unterkühlte Diva aber super mimen. Für ein paar Stunden bin ich dann eher Prinz Ludwig als Prince. Ich entscheide, wie die Stimmung im Saal ist, wie das Konzert wird. Das liebe ich.

profil: Ist die Diva eine neue Rolle? Conchita: Mit der Bezeichnung Rolle tue ich mir schwer. Am Ende des Tages bin das alles ich. Verstellen muss ich mich für nichts. Das sind nur unterschiedliche Filter.

profil: Hat Ihnen was gefehlt? Conchita: Ich habe mich gefragt: Warum höre ich mein erstes Album, das 2015 erschienen ist, eigentlich nie an? Warum höre ich privat nur Trip-Hop und Bands wie Massive Attack? Auf meinem Debüt sind definitiv gute Songs – aber es sind halt nicht meine Lieder. Auch künstlerisch habe ich mir zu viele Regeln auferlegt. Das war wie ein Korsett, an das ich mich halten wollte. Dabei reicht mein musikalisches Interesse von Céline Dion bis Björk.

profil: Von Conchita wollten Sie sich schon öfters verabschieden. Suchen Sie noch nach Ihrer künstlerischen Bestimmung? Conchita: Ja, definitiv. Ich liebe es, Musik zu machen. Das wird auch nicht aufhören. Ich habe ja bereits mit 17 Jahren im Musikbusiness begonnen, wollte damals eigentlich nur berühmt werden. Heute weiß ich, dass dich das auch nicht weiterbringt. Ich habe noch so viele andere Ideen, die auch verwirklicht werden wollen. Vielleicht bin ich der beste Bühnenbildner der Welt? I don’t know.

Conchita

profil: Seit Ihrem Song-Contest-Sieg sprechen Sie ein sehr breites Publikum an. Läuft man dabei Gefahr, es jedem Recht machen zu wollen? Conchita: Grundsätzlich mache ich nur Dinge, die ich auch machen will. Viele Interessen zu haben, hat natürlich einige Tücken: als Künstler riskiert man dabei, in vielen Bereichen ein bisschen was zu tun, aber nichts richtig gescheit. Natürlich stelle ich mir immer wieder mal die Frage: Was bedeutet mir der Name noch? Was bedeutet mir die Kunstfigur? Kann ich Conchita überhaupt noch vertreten? Als ich mit der Idee gespielt habe, Conchita ad acta zu legen, hatte ich fast ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Fans.

profil: Als Conchita legen Sie Ihre weibliche Seite immer mehr ab, präsentieren sich männlicher und durchtrainierter. Conchita: In meiner Jugend habe ich immer nur gehört: du bist zu weiblich, geh nicht wie ein Mädchen, rede nicht wie ein Mädchen, zieh dich nicht an wie ein Mädchen. Natürlich stellt man sich dann die Frage, bin ich genug Mann für einen richtigen Mann? Trotzig habe ich meine weibliche Seite dann richtig ausgelebt. Das intensive Körpertraining ist einer schlechten Ernährung bei meinen vielen Reisen geschuldet. Mit einem Bauch habe ich mich nicht wohlgefühlt. Heute sehe ich im Spiegel eine andere Person, einen Mann, den ich so vorher nicht kannte.

Conchita, 29

mit dem Song „Rise Like a Phoenix“ gewann der österreichische Musiker Tom Neuwirth als Conchita Wurst 2014 den 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen. profil kürte Conchita Wurst (neben dem russischen Präsidenten Wladimir Putin) daraufhin zum Menschen des Jahres. Conchita tritt seitdem als Botschafter für Toleranz, Vielfalt und Respekt auf. Auf dem Album „From Vienna with Love“ interpretiert er mit den Wiener Symphonikern Songklassiker von Shirley Bassey und Hildegard Knef bis Barbra Streisand.

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Diese Woche in der unerhört-Playlist:

Elvis Costello & The Imposters: Look Now Soap&Skin: Surrounded (Song) Fucked Up: Dose Your Dreams Andrea Fissore: Shadows Of The Moon (Song) Pearl Jam: Untitled/MFC Melt Downer: Alter (Song) Alien Hand Syndrome: Entwined (Song) Christine and the Queens: 5 dollars (Song) Behemoth: Bartzabel (Song) Kurt Vile: Loading Zone Schmieds Puls: Don't Love Me Like That (Song) Thou: Transcending Dualities (Song) LEYYA: Wannabe (Song)

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.