Zwischenstand: 12.000 Veranstaltungen
Macht man sich auf die Suche nach jenen Namen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Musikerinnen und Musikern, die in der Alten Schmiede in den vergangenen fünf Dekaden gastierten, geht man idealerweise via Ausschlussverfahren vor. Die Frage lautet also nicht: Wer war da? Sondern: Wer fehlt? Kurze Antwort: Niemand. Ausführlichere Antwort: Seit 1975 fanden in der Alten Schmiede rund 7000 Literaturveranstaltungen und an die 5000 Musik-Events statt. Generationen von Autorinnen und Autoren lasen hier aus ihren Texten, seit der Historiker und Publizist Friedrich Heer im Juni 1975 erstmals in der Schönlaterngasse aus seinen Büchern vortrug, gefolgt von Ilse Aichinger. Auszug aus der Gästeliste: Elfriede Jelinek, Gert Jonke, Heinrich Böll, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Günter Grass, Herta Müller, Michael Köhlmeier, Saxophonist Max Nagl, Komponist Friedrich Cerha, Schlagzeuger Wolfgang Reisinger, Gernot Wolfgruber, Franz Innerhofer, Peter Turrini, Literaturwissenschafter Jan Philipp Reemtsma, Imre Kertész, György Dalos, Christa Wolf, Gerhard Rühm, Franz Schuh, Norbert Gstrein, Julian Schutting, Marianne Fritz, Peter Henisch, W. G. Sebald, Friedrich Achleitner, Barbara Frischmuth, Teresa Präauer, Marlene Streeruwitz, Feridun Zaimoglu. Der Begründer des literarischen Quartiers war Reinhard Urbach, der damalige Literaturreferent des Kulturamts der Stadt Wien. Die prägende Person im Hinblick auf die Literaturprogrammierung war lange Zeit Kurt Neumann, seit 2018 koordiniert Johanna Öttl die Gestaltung der Veranstaltungen. Karlheinz Roschitz zeichnete jahrzehntelang für die Musikschiene verantwortlich, gefolgt von Gerald Resch, Volkmar Klien und dem kolumbianisch-italienisch-österreichischen Komponisten Alejandro del Valle-Lattanzio, dem nunmehrigen Musikkurator für die Musikwerkstatt. Man darf gedanklich so weit gehen, die Alte Schmiede als Wiens Kulturhotspot zu bezeichnen, als einen Hort störrischer Avantgarde, der sich, um im Spielfeld der Aufsässigkeit zu bleiben, um das Werben und Buhlen der Publikumsgunst nie sonderlich geschert hat.
Lesen und lauschen: Mit roten Ohren!
Zum Jubiläum erscheint im Wiener Verlag Sonderzahl der Band „Hammer & Amboss“, eine Festschrift, die alles sein will, nur keine Selbstbeweihräucherungslektüre. Zahllose Autorinnen und Autoren erzählen darin ihre Geschichte mit der Alten Schmiede. Die Autorin Ann Cotten nahm und nimmt die Schmiede als „Epizentrum, Nabel, Galaxienauge“ wahr – als „Uterus meines Denkens und Schreibens“ sowie als „Sauna“, als einen intimen Raum, in dem vorgelesen, diskutiert und, ja, geschwitzt wurde und wird. „Ohne Schwellenangst“, erinnert sich Elfriede Jelinek, seien hier „ganz neue Schienen“ gelegt worden. Die Schmiede als „Ort der Anregung, der Aufregung, des Austausches“ (Elfriede Czurda), als „literarisches Zuhause“ (Gerhard Jaschke) und „Ermöglicherin“ (Peter Rosei), als „Freizeitgehege“ (Markus Köhle) – und heimliche Gastrohochburg. Klaus Kastberger, Grazer Germanist und Bachmannpreis-Juryvorsitzender, schreibt: „Ernst Jandl betrat mit reichlicher Verspätung den Raum, setzte sich, dick bepackt mit seiner Winterjacke, knurrend und schnaubend in die unterste Reihe, balancierte vor sich in seinen von der dicken Jacke zusätzlich verkürzten Armen ein Stanitzel mit Maroni und gab diese Stück für Stück an seinen linken Sitznachbarn weiter, der sie wiederum seinem linken Sitznachbarn reichte usw. usf., bis dann tatsächlich die letzte Maroni (also die erste, die Jandl ausgab) bei mir landete, der ich relativ weit entfernt vom Dichter saß, es war das höchste der Gefühle, Jandls Maroni zu ergattern, tatsächlich war sie kalt und mehlig, kaum zu schälen, kaum zu essen.“
Die Autorin Angelika Reitzer berichtet von ihrer „Ich-mag-noch-nicht-nachhause-Stimmung“, der Essayist und Philosoph Franz Schuh vom schönen Turnierplatz Alte S.: „Es ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen oder sich – im wahrsten Sinne des Wortes – ,auseinandersetzen‘. Anders als heute kam der Streit seinerzeit fast ohne Übertretungen vor. Derzeit findet diese Art von Streit ja kaum noch statt, und wenn doch, verschwindet der Streitgrund hinter der Aggression.“ Die erste Lesung von „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher anno 1978? „Ich tat’s mit geröteten Backen, zum ersten Mal, wo mit rotem Ohr ich sonst saß, zu lauschen den Großen.“
Generalsekretär und Hausmeister des Wahnsinns
Das Wort „quirlig“ könnte für Walter Famler erfunden worden sein. Famler, 67, ist Schlagzeuger, Trompeter, Herausgeber, Übersetzer und seit 2002 als Generalsekretär des Kunstvereins Alte Schmiede für das Gesamtprogramm verantwortlich.
Er sei der „Hausmeister des Wahnsinns“, sagt Famler, was er durchaus als Auszeichnung für sein Haus und sich selbst versteht. Einmal, erinnert er sich, sei ein Jungdichter in der Schmiede aufgetreten, begleitet von unmäßiger Ehrfurcht: „Der junge Mann meinte, er sei über alle Maßen geehrt, im Tempel der Literatur auftreten zu dürfen. Bin ich etwa im alten Griechenland, wo Tempel herumstehen? Muss ich als Priester eine Messe lesen?“ Die Alte Schmiede als Kunstplatz definiert Famler im Gegenteil auf folgende Weise: „Wir sind keine Institution. Wir wollten uns auch nie institutionalisieren. Wir sind ein Veranstalter, der versucht, Raum zu bieten für Debattenzusammenhänge, für ästhetische Zusammenhänge. Die Freiheit, in einem autonomen Raum intellektuelle Diskurse aufzuführen, ohne dabei von einem Medium beherrscht zu werden – auch so ließen sich Statut und Programmangebot der Alten Schmiede definieren.“
Schlusswort oder: Manchmal explodiert etwas
Famler weiter: „Gleichzeitig versuchen wir, das Haus möglichst offen zu halten. Alle Veranstaltungen können nach wie vor bei freiem Eintritt besucht werden. Diese Art von Werkstatt- und Laborcharakter ist vergleichbar mit einem Experimentalkasten für Erkenntnisgewinn. Als Kinder durften wir mit einem Chemiekasten experimentieren, manchmal ist etwas explodiert, manchmal nicht. Diesen Charakter hat auch die Alte Schmiede.“