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Essay

US-Musiker Paul Wallfisch: Eine Bühne in der Wüste

Nach fünfeinhalb Jahren am Wiener Volkstheater lässt der US-Musiker und -Komponist Paul Wallfisch seine zweite Heimat hinter sich. Rückblick eines Expats auf die Kulturszene dieser Stadt: ein Brief an Wien – und ein paar Vorschläge für ein besseres Theaterklima.

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Mit Musik hat dieser Mann zu tun, seit er denken kann. Als Sohn zweier aus Rumänien stammender Größen der klassischen Musik – der  Pianistin Lory Wallfisch und des Bratschisten Ernst Wallfisch – in Basel zur Welt gekommen, trat er in den frühen 1980er-Jahren schon im New Yorker East Village auf, wo er als 18-jähriger Keyboarder etwa den Comedian Frank Maya begleitete. Paul Wallfisch ist eine illustre Gestalt: Ende der 1990er-Jahre war er Mitglied der Indie-Rockband Firewater, wenig später gründete er Botanica, sein eigenes Alternative-Rock-Quartett; mit der US-Chanteuse Little Annie verbindet ihn eine gut 20 Jahre alte Arbeitspartnerschaft, und 2004 produzierte er ein Album mit der rumänischen Klaviermusik seiner hochbetagten Mutter; er begleitete Musiker wie Kid Congo Powers (The Gun Club) und Michael Gira, mit dessen legendärer Post-Rock-Band Swans Wallfisch zwischen 2016 und 2018 durch die Welt tourte.

Mit der Theatermusik machte er ab 2010 Ernst, als Intendant Kay Voges ihn als Musikdirektor ans Stadttheater Dortmund holte. Die Zusammenarbeit hielt, und als Voges 2019 zum Direktor des Wiener Volkstheaters avancierte, war es wieder Wallfisch, den er zum Musikalischen Leiter und Kurator machte. Seither ist das Volkstheater samt seiner Nebenbühne in der Roten Bar zu einem Hotspot der Musikszene geworden. Wallfisch holte internationale Acts ins Haus, zuletzt etwa die Band Calexico aus Tucson, Arizona, mit der er in dem Stück „Camino Real“ auch selbst auftrat. Heute kooperiert der international bestens vernetzte Wallfisch mit Leuten wie dem Australier Mick Harvey (The Bad Seeds) und dem britischen Ex-Bauhaus-Bassisten David J; mit Letzterem hat Wallfisch gerade ein von Egon Schiele inspiriertes Album eingespielt (es soll Anfang 2026 auf Independent Project Records erscheinen), auf dem sich – zwar auf den Maler gemünzt –  auch der Song „Leaving Vienna“ findet.

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Am 14. Mai wird Wallfisch mit der New Yorker Noise-Rock-Größe Dana Schechter in der Roten Bar des Volkstheaters sein letztes Konzert am Haus spielen – und das gemeinsame Album „The Heart of a Whale“ präsentieren, das auf der Live-Theatermusik zu dem Wolfram-Lotz-Stück „Die Politiker“ basiert und bei Trost Records erscheinen wird. Untätig wird Paul Wallfisch auch danach nicht sein. Am 15. Juni wird er im MuseumsQuartier nachmittags eine Klanginstallation eröffnen,  die er „Tunnel of Love / Tonspur für die Ukraine“ nennt,  und abends auf der Freiluftsommerbühne live mit Tony Buck (The Necks) und Martin Siewert (Radian) konzertieren. 

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Ich schätze mich glücklich, vor 15 Jahren von Kay Voges in die deutschsprachige Stadttheaterwelt geworfen worden zu sein, erst nach Dortmund, dann nach Wien. Wenn ich demnächst also meine Koffer packen werde, um Wien zu verlassen – wie Kay, der ans Schauspiel Köln wechselt –, werde ich den Job hier vermissen: das außergewöhnliche Volkstheater-Team, das all die konservativen Regeln des Systems, in dem wir arbeiten, außer Kraft setzte, und natürlich die Schlüssel zu diesem fantastischen Haus am Arthur-Schnitzler-Platz.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.