Präsentation des ORF Kultursommer 2024 im Theater Museum Wien

Festspiele-Chef Hinterhäuser: „Kann aus dem Krieg keine Kollektivschuld ableiten“

Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, über seine russischen Gäste, die Zukunft des Schauspiels in seinem Festival – und über die Frage, ob er Dirigentinnen strategisch besetzt.

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Die Festspiele starten heuer mit Händels „Giulio Cesare in Egitto“. Sie haben im Vorfeld gemeint, es sei ungewöhnlich, dieses Festival mit einer Barockoper zu eröffnen? Warum eigentlich?

Markus Hinterhäuser

Weil es in der Geschichte der Festspiele schlicht kaum je vorkam. Dabei finden sie an einem Ort statt, der durch das Barock geprägt ist; die Schönheit des Barock ist ein wesentlicher Teil der Anziehungskraft Salzburgs. „Giulio Cesare in Egitto“ ist eines der entscheidenden Werke Georg Friedrich Händels, überhaupt ein Zentralmassiv in der Geschichte des barocken Musiktheaters. Es ist ein Schlachtfeld, eine Arena des Kampfes: Jeder kämpft da gegen jeden. Und es ist von einer solch schonungslosen Analyse, was Menschen einander anzutun in der Lage sind. Ein solches Stück muss man heute zeigen. Darin bleibt niemand verschont. Und Dmitri Tcherniakovs Inszenierung, das kann ich schon verraten, wird von messerscharfer Genauigkeit sein. Ich habe selten eine derartige Schärfe und Erbarmungslosigkeit, auch an gesanglicher und darstellerischer Virtuosität gesehen.

Ich nehme an, Tcherniakov wird diese Oper nicht in historischen Kostümen spielen lassen.

Hinterhäuser

Ganz gewiss nicht. Natürlich: Emmanuelle Haïm, die fantastische Dirigentin, und ihr Ensemble orientieren sich auch an der historischen Aufführungspraxis, nur szenisch kann man das kaum mehr „originalgetreu“ bewältigen. Diese Dialektik ist bei Mozart ganz ähnlich. Es muss ja immer darum gehen, zu untersuchen, welche Erzählungen in einer über drei Jahrhunderte alten Oper uns heute interessieren. Am Ende kann nur eine Auseinandersetzung mit dem Hier und Heute stehen.

Eine Dirigentin zur Eröffnung: Auch dies ist in Salzburg eher ungewohnt.

Hinterhäuser

Dahinter steckt keine Strategie. Haïm gehört zu den ganz großen Interpreten der Barockmusik, und das Ensemble ist vergleichslos gut. Die Frage, ob die Person, die ein solches Stück dirigieren soll, weiblich oder männlich ist, stelle ich mir nicht. Sie ist einfach eine wundervolle Musikerin.

2025 wird, im Unterschied zu früheren Festspielen, auch eine stattliche Reihe neuerer Musik zur Aufführung kommen: Werke von Henze, Sciarrino und Eötvös etwa.

Hinterhäuser

Ja, und vergessen Sie unsere Hommage an den großen Pierre Boulez nicht. Oder die Reihe zu Werken Schostakowitschs, der im Stalinismus, in einem totalitären System gelebt hat und nicht geflohen ist, aber Möglichkeiten gefunden hat, Kritik an diesem zu üben. Schostakowitsch hat verschlüsselte Botschaften an die Welt gesendet, wie ein Gefangener seine Kassiber aus der Haft. Das ist ungeheuer beeindruckend, gerade heute: Wie kann man als Künstler überleben in einem System, das man tief ablehnt, aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht verlassen kann?

Auch heuer werden russische Werke und Gäste bei den Festspielen allgegenwärtig sein: von Teodor Currentzis bis zu Vladimir Sorokin. Woher kommt diese absolute Hinwendung zu russischer Kunst?

Hinterhäuser

Das ist keine absolute Hinwendung. Leute wie Cherniakov, Serebrennikov oder Titov leben seit langem nicht mehr in Russland. Das sind heftige Kritiker Putins. Aber natürlich ist die russische Kultur auch europäische Kultur. Ich kann aus dem Grauen dieses Kriegs keine Kollektivschuld ableiten, kann keine Ausschlussgründe finden für Künstler, die diesem System extrem kritisch gegenüberstehen.

Die wird Ihre zehnte Saison als Intendant der Festspiele sein. Zudem fungieren Sie nun auch als Schauspieldirektor.

Hinterhäuser

Wir mussten uns von Marina Davydova 2024 trennen, und da gab es, wie wir leider feststellen mussten, keinerlei Vorbereitungen für 2026. Die Zeit war also knapp, das hab ich übernommen. Im Herbst werden wir – Kuratorium und Direktorium – uns zusammensetzen, um über die Zukunft des Schauspiels bei den Festspielen zu entscheiden. Es wird absolut keine Einschränkungen geben, was Programm und Budget betrifft. Allerdings wird es Jahre geben, ab spätestens 2028 nämlich, wenn das Große Festspielhaus wegen der Generalsanierung für zwei, vielleicht drei Jahre geschlossen werden muss. Dies wird nicht nur das Schauspiel, sondern das Gesamtprogramm betreffen. Und das bedarf einer sehr differenzierten Diskussion. Das werden ohne Zweifel die herausforderndsten in der Geschichte der Salzburger Festspiele.

Sie werden aber wieder eine für das Schauspiel zuständige Person anheuern?

Hinterhäuser

Wir werden sehen, ob es sinnvoll sein wird, eine mittel- oder längerfristige Bindung zu finden – oder ob man in ein kuratorisches System übergehen sollte. Ich werde für das Schauspielprogramm nach 2026 jedenfalls nicht mehr selbst zuständig sein.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.