Keine Wohlfühlzone: Salzburgs Edelfestival spiegelt die Endspiele der Gegenwart
Düsteres schreiben die Salzburger Festspiele sich heuer auf die Fahnen. Intendant Markus Hinterhäuser steht zu seinen fallweise unliebsamen Entscheidungen – und der deutsche Regisseur Ulrich Rasche könnte mit der Oper „Maria Stuarda“ den Hit des Festivals landen.
Einen offenen Gedanken gibt der Chef der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, seinem mit der „Ouverture spirtuelle“ heute startenden Festival mit auf den Weg, ein Zitat Samuel Becketts: „Ich werde in den Tod geboren“. Was dies mit seinem Programm zu tun habe, erklärt Hinterhäuser im profil-Interview so: „Beckett ist ein Meister des Endspiels, und wir leben in einer Zeit, die man als Endspiel-Situation verstehen könnte.“ Aber: Jedes Endspiel sei eben auch ein Neubeginn. Und Endspiele habe es "in wirklich jeder Phase der Menschheitsgeschichte gegeben". Die Apokalypse im Neuen Testament heiße, bei Johannes, interessanterweise „Offenbarung“. Und Hinterhäuser wirft ein weiteres Zitat in die Arena, diesmal von seinem Lieblingswortspender Leonard Cohen: „Waiting for the miracle / There’s nothing left to do.“
Auf den ersten Blick mag das diesjährige Programm also düster wirken, sagt Hinterhäuser noch, „aber das passt auch zum katastrophenbelasteten Geist der Gegenwart. Und die Festspiele sind ja keine Wohlfühlzone.“ Für die Mischung seines Programms geht Hinterhäuser in allererster Linie von politischen Überlegungen aus. Es gebe schließlich „kein großes Kunstwerk, das in einem politikfreien Raum entstanden wäre.“ Zum Beispiel Hans Werner Henzes Sixties-Polit-Oratorium "Das Floß der Medusa", mit dem die Festspiele-"Ouverture" heute ansetzt, Ingo Metzmacher wird dirigieren.
Zum Beispiel aber auch: „Maria Stuarda“, eine der raren Belcanto-Opern Gaetano Donizettis, nach Schillers „Maria Stuart“, heuer inszeniert von Ulrich Rasche. Hinterhäuser nennt „Maria Stuarda“ den „Dreh- und Angelpunkt“ seines Programms. Und fügt noch ein weiteres Endspiel-Detail hinzu: „Als Maria nach 19 Jahren Gefangenschaft zur Hinrichtung geführt wird, hat sie in ihrem Kleid einen Satz eingewebt: ,In my end is my beginning’. Ihr Ende ist zugleich ein Anfang.
Wer Ulrich Rasche als Regisseur bucht, muss wissen, worauf er sich einlässt. Der 56-Jährige hat lange gebraucht, bis er sich mit seinem sehr speziellen Stil – chorisch-rhythmische Rezitation, Laufen auf Drehscheiben, laute Musik, von Lichtschneisen durchschnittener Nebel auf sonst meist leerer Bühne – durchsetzen konnte. Heute arbeitet er an den größten Häusern der deutschsprachigen Theaterwelt. Natürlich hatte bald auch der Opernbetrieb Interesse an ihm, weil er große Räume füllen kann; aber würde er in der Lage sein, starkes Musiktheater zu produzieren? Rasches erste Opernarbeit war Anfang 2022 Richard Strauss’ „Elektra“ in Genf, 2023 dann Bachs Johannes-Passion in Stuttgart. Beide Male ging Rasches Rechnung auf.
Ab 1. August stellt der deutsche Regisseur also das Duell der königlichen Cousinen Maria Stuart (Lisette Oropesa) und Elisabeth I. (Kate Lindsey) auf zwei Drehscheiben ins Große Festspielhaus, Antonello Manacorda dirigiert.
„Maria Stuarda“ sei an ihn herangetragen worden, erzählt Ulrich Rasche im Interview mit profil – „verhalten, wie stets bei Markus Hinterhäuser – ob das etwas für mich wäre? Er hat dann viel über seine Sicht auf das Projekt gesprochen, und wie er Belcanto mit meiner brutalistischen Ästhetik in Einklang bringen könnte. Ich war erstaunt, aber eine Schiller-Oper, das hat mich interessiert.“ Hinterhäuser braucht starke Vertrauensverhältnisse. Er überfordert nicht, er baut sanft auf. Rasche hat bei den Festspielen zweimal erfolgreich im Schauspiel gearbeitet („Die Perser“ und „Nathan der Weise“), insofern hatte sich ein gewisses Naheverhältnis zwischen Festival und Regisseur entwickelt. Rasche: „Es war ein Prozess, und es hat lange gedauert, mich anzunähern. Also Liebe auf den zweiten Blick.“
Der zweite Blick sei manchmal eben wesentlicher als der erste, kommentiert Hinterhäuser ironisch, da könne man sich sehr täuschen. „Der Stoff allein ist schon interessant genug, aber die Konfrontation einer Belcanto-Oper mit all ihrer Fragilität und Schönheit einerseits und der gewaltigen Bühnenmaschinerie, die Rasche braucht, andererseits fand ich immens spannend. Die beiden Hauptdarstellerinnen, Kate Lindsey und Lisette Oropesa, agieren darin so phänomenal, dass man sprachlos ist. Und den Raum des Festspielhauses habe ich noch niemals so erlebt wie mit dieser Rasche-Installation. Da kommt etwas wirklich Spektakuläres auf uns alle zu.“
Choreografie-Proben für "Maria Stuarda" mit Mitgliedern der SEAD (Salzburg Experimental Academy of Dance)
Die Sängercrew war schon besetzt, auch Manacorda als Dirigent angefragt; mit ihm ist Rasche befreundet. Lisette Oropesa hat der Regisseur mehrmals gesehen. Sie sei „sehr körperlich, expressiv und energetisch“, sagt er. „Das Gegenteil dessen, was man von einer Belcanto-Interpretin erwarten würde. Sie ist eine Sportlerin, bewegt sich unaufhörlich.“ Sie sei definitiv fit genug, um „mit meiner speziellen Choreografie klarzukommen.“ Sie habe aber genau gewusst, an welchen Stellen in der Partitur ihre Atmung auch geschont werden müsse, „damit sie singen kann, was die Noten von ihr verlangen.“
Die eigentliche Eröffnung der Festspiele 2025 wird bereits am 26. Juli mit Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ im Haus für Mozart bestritten. Die französische Dirigentin Emmanuelle Haïm leitet das Ensemble Le Concert d’Astrée, der Russe Dmitri Tcherniakov gibt sein überfälliges Salzburger Regiedebüt. „Giulio Cesare in Egitto“ sei „ein Zentralmassiv in der Geschichte des barocken Musiktheaters", so Hinterhäuser. "Es ist ein Schlachtfeld, eine Arena des Kampfes: Jeder kämpft da gegen jeden. Und es ist von einer schonungslosen Analyse, was Menschen einander anzutun in der Lage sind.“ Ein solches Stück müsse man heute zeigen. „Darin bleibt niemand verschont.“ Und Tcherniakovs Inszenierung werde „von messerscharfer Genauigkeit“ sein, verrät der Intendant, der nun seine zehnte Saison als Intendant der Festspiele absolviert: „Ich habe selten eine derartige Schärfe und Erbarmungslosigkeit, auch an gesanglicher und darstellerischer Virtuosität gesehen.“
Szenisch & konzertant
13 Musiktheatertitel vom Barock bis ins 21. Jahrhundert stehen in diesem Sommer in nie gekannter Vielfalt auf dem Programm der Festspiele. Sieben Produktionen sind szenisch, davon gehen – inklusive „Maria Stuarda“ – nur vier als herkömmliche Opern durch: Im Großen Festspielhaus geht am 9. August die Wiederaufnahme der 2023 in Salzburg erfolgreichen Inszenierung von Verdis „Macbeth“ über die Bühne. Tags zuvor kommt mit Peter Eötvös‘ „Tre Sistri“, einer Tschechow-Überschreibung für Countertenöre, eine der erfolgreichsten jüngeren Opern auch nach Salzburg, in die Felsenreitschule (Regie: Evgeny Titov, Dirigat: Maxime Pascal). Unter dem Titel „One Morning Turns Into Eternity“ gibt es dort ab Ende Juli die einstündige Kombination von Schönbergs Monodrama „Erwartung“ mit „Der Abschied“, dem letzten Satz aus Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“. Regisseur Peter Sellars hat sich diese Mischung ausgedacht, Esa-Pekka Salonen steht am Pult.
Szene aus Koskys "Hotel Metamorphosis", Hotel Metamorphosis, mit Nadezhda Karyazina (als Minerva/Nutrice/Juno) und Lea Desandre (als Statua/Myrrha/Echo)
Barrie Koskys grandioses, von den Pfingstfestspielen übernommenes Vivaldi-Pasticcio „Hotel Metamorphosis“ öffnet erneut seine Tore. Und im Salzburger Marionettentheater wird das kurze Strawinsky-Puppenspiel „Die Geschichte vom Soldaten“ aufgeführt; der Puppen-Designer und Ausstatter trägt einen berühmten Namen: Georg Baselitz.
Der Rest wird konzertant oder halbszenisch gegeben: „Kassandra“ von Michael Jarrell und „Macbeth“ von Salvatore Sciarrino im Rahmen der Ouverture spirituelle, zweimal – der heuer fast stiefmütterlich behandelte – Mozart mit dem Jugendwerk „Mitridate“ und dem aus anderen Werken von Rafaël Pichon ergänzten Fragment „Zaide“. Von Umberto Giordano gibt es „Andrea Chenier“; Rameaus „Castor et Pollux“ dirigiert der umstrittene Teodor Currentzis.
Die Schauspiel-Ereignisse
Überragt von den Musikspektakeln der Festspiele fristet das Schauspielprogramm stets ein Halbschattendasein. Seit der jähen Entlassung der dafür zuständigen Marina Davydova 2024 kümmert sich Hinterhäuser selbst um die Schauspielagenden; um demonstrative Offenheit ist man bemüht – und veranstaltet am 14. August die geplante Lesung von Davydovas Sowjetkollaps-Stück „Land of No Return“. Robert Carsens letztjähriger „Jedermann“ wird wiederholt, und Dušan David Parízek setzt Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit" in Szene“, starbesetzt mit Marie-Luise Stockinger, Michael Maertens und Dörte Lyssewski. Als Gastspiel bringt der junge Franzose Julien Gosselin unter dem Titel „Le Passé“ seine Version von Texte des Russen Leonid Andrejew (1871–1919) mit: Zwei Stücke und drei Erzählungen des Autors werden hier kreativ ineinander geschraubt. Seiner Vorliebe für (exil-)russische Kunst frönt Hinterhäuser auch mit der Uraufführung von Vladimir Sorokins „Der Schneesturm“, inszeniert von Kirill Serebrennikov (in der Hauptrolle: August Diehl). Und die legendäre New Yorker Choreografin Lucinda Childs bringt „Four New Works“ nach Salzburg, gesetzt zur Musik von Johann Sebastian Bach, Philip Glass und Hildur Guðnadóttir.
„Als wir uns von Marina Davydova 2024 trennten“, erklärt Markus Hinterhäuser, „gab es, wie wir leider feststellen mussten, keinerlei Vorbereitungen für 2026. Im Herbst werden wir – Kuratorium und Direktorium – uns zusammensetzen, um über die Zukunft des Schauspiels bei den Festspielen zu entscheiden.“ Es werde zu „absolut keinen Einschränkungen" kommen, was Programm und Budget betreffe. „Allerdings wird es Jahre geben, ab spätestens 2028 nämlich, wenn das Große Festspielhaus wegen der Generalsanierung für zwei, vielleicht drei Jahre geschlossen werden muss. Dies wird nicht nur das Schauspiel, sondern das Gesamtprogramm betreffen. Das werden ohne Zweifel die herausforderndsten in der Geschichte der Salzburger Festspiele.
Einschränkungen künstlerischer Natur erlebt Hinterhäuser übrigens nicht. Er kenne die Parameter der Salzburger Festspiele sehr genau, „die auch mit Dingen zu tun haben, die nicht zwingend künstlerisch sind. Ich respektiere das." Aber ohne absolute kreative Freiheit gehe es nicht, denn er müsse "Entscheidungen treffen, die auch nicht jedem gefallen müssen.“ Er sei „ganz bestimmt nicht der Sozialpartner der Kultur“. Er stelle Dinge zur Diskussion, die „manchmal aufgehen, manchmal nicht. C’est la vie.“
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Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.