Franz Grillparzer: Selbstbiographie wiederaufgelegt

Selbstbiografie von Franz Grillparzer wiederaufgelegt

Grillparzer ist Österreichs Nationaldichter. Seine "Selbstbiographie" erzählt eine ganz andere Geschichte. Der Text, soeben mit kundigem Nachwort wiederaufgelegt, kommt ohne Titel und Kapiteleinteilung aus.

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Erst nach der dritten Aufforderung durch die Wiener Akademie der Wissenschaften war der damals 62-jährige Franz Grillparzer bereit, sein Leben vom Geburtsjahr 1791 bis 1836, dem Jahr seiner England-Reise, aufzuschreiben. Er kam der Bitte in der Epoche der allgegenwärtigen Zensur mit aller Radikalität und (psychologischen) Modernität nach. Der Text, soeben mit kundigem Nachwort wiederaufgelegt, kommt ohne Titel und Kapiteleinteilung aus - das fertige Manuskript hat Grillparzer der Akademie nie übergeben.

Mit autobiografischer Frömmelei und Aufgeblasenheit hält sich Grillparzer nicht auf. Er attackiert den Vater und berichtet vom betäubenden Schmerz beim Tod der Mutter; er schildert sich in leuchtenden Farben als Misanthropen, Hypochonder, Verstandesmonster und grandiosen Kritiker seiner selbst. Und er präsentiert sich als echten Kerl der Poesie und Fantasie: "Ich merkte wohl, dass ich als der letzte Dichter in eine prosaische Zeit hineingekommen sey", schreibt er. Die "Selbstbiographie" erzählt wunderbar viel auf einmal, und dabei ist noch nicht das Treffen mit Goethe erwähnt. 1826 besucht Grillparzer den von ihm verehrten Dichter in Weimar. "Schwarzgekleidet, den Ordensstern auf der Brust, gerader, beinahe steifer Haltung trat er unter uns wie ein Audienz gebender Monarch."

"Schwarzgekleidet, den Ordensstern auf der Brust, gerader, beinahe steifer Haltung trat er unter uns wie ein Audienz gebender Monarch." Er habe, schreibt Grillparzer, vom "wichtigsten Moment" seines Lebens nur "allgemeine Eindrücke im Gedächtnis" behalten: "Von den Tisch-Ereignissen ist mir nur noch als charakteristisch erinnerlich, dass ich im Eifer des Gespräches, nach löblicher Gewohnheit, in dem neben mir liegenden Stücke Brot krümelte und dadurch unschöne Brosamen erzeugte." Zu dem Vieraugengespräch, das Goethe anderntags vorschlägt, erscheint Grillparzer, so halsstarrig wie schrullenhaft wie je, nicht. Grillparzers Weimar-Resümee: "Er ist mir auch in der Folge nicht gerecht geworden, insofern ich mich nämlich denn doch, trotz allem Abstande, für den Besten halte, der nach ihm und Schiller gekommen ist."

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.