Mann im grüne Overall schaut hinter einer Büroecke hervor
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Gaza-Mahnung als „Hetze“? Kulturschaffende widersprechen Milo Rau

Vor einer knappen Woche rief der Regisseur Milo Rau, Chef der Wiener Festwochen, die Kulturbranche dazu auf, das Schweigen über die Massaker in Gaza endlich zu beenden. Teile des österreichischen Kulturbetriebs wehren sich nun gegen die Unterstellung, geschwiegen zu haben.

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Mit „Wir schweigen auch nicht“ ist der Brief, verfasst von einem „Kollektiv“, überschrieben. Als Antwort auf und „Absage“ an Milo Raus Aufruf zu „Widerstand jetzt“ ist er angelegt. Der Intendant der Wiener Festwochen hatte darin vor wenigen Tagen kritisiert, dass die deutschsprachige Kulturbranche sich gegen den laufenden „Völkermord“ zu wenig stark mache; und er wagte den historischen Vergleich, dass dies einst, als die Nazis ihre Tyrannei errichtet hatten, ebenso wenig geschehen war.

Die Unterzeichnenden des Rau nun scharf widersprechenden Briefs  – darunter immerhin Olga Flor, Robert Schindel, Karl Markus Gauß, Monika Helfer, Michael Köhlmeier und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek – argumentieren durchaus zornig: Rau gehe es nicht etwa um „Widerstand gegen antijüdische Boykotte innerhalb der Kunstszene“. Er fordere „nicht auf zum Widerstand gegen Judenhass und Israelhetze“, ihm sei es „nicht um Widerstand gegen Vereinfachung und Ressentiment“ zu tun. Ihn störe auch „nicht das Schweigen über die antisemitischen Attacken und Attentate in vielen Ländern. Zu leise noch findet er jene, die gegen den Judenstaat hetzen.“ (Den gesamten Text kann man via APA nachlesen: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20251010_OTS0124/absage-an-einen-aufruf-von-milo-rau)

Dem ließe sich allerdings entgegenhalten, dass Milo Rau in seinem Brief betont, in diesem Krieg dürfe man auf keiner Seite stehen, denn „die Menschlichkeit hat nur eine Seite. Über Gaza zu reden bedeutet, die Verbrechen des israelischen Militärs genauso zu verurteilen wie die Verbrechen der Hamas. Nicht zu schweigen bedeutet, an der Seite aller zu stehen, die gegen den Völkermord in Gaza auf die Straße gehen: seien es palästinensische, israelische oder europäische Bürger:innen.“ Und auch im Gespräch mit profil stellte Rau klar, dass er „an der Seite der liberalen israelischen Zivilgesellschaft" stehe, "die das Vorgehen ihres Militärs genauso verurteilt“. Und: „Die israelische Gesellschaft leidet selbst unter der Politik Netanjahus, die den Austausch der Geiseln faktisch verhindert. Sie steht in einer Tradition der bewussten Verschärfung der Lage, die auch die Hamas betreibt. Das sind zwei Seiten des gleichen Extremismus.“ 

Die Rau nun unterstellte Einseitigkeit in seinen „Schuldzuweisungen“ ist tatschlich nicht leicht auszumachen. Und doch monieren Raus Kritiker, es läge ihm nichts an einem Ende des Krieges im Nahen Osten. Zudem behaupte er fälschlich, der israelische Regierungschef und sein Kabinett hätten „zur Vernichtung des palästinensischen Volkes aufgerufen“. Ob er denn nicht wisse, „dass es in diesen Zitaten, wie immer sie bewertet werden, immer nur um die Vernichtung der Hamas ging?“ Schlimmer noch: „Er will Aufmerksamkeit und Quoten – und zwar auf Kosten des jüdischen Lebens in Österreich.“

Harte Vorwürfe also gegen den Festwochenchef. Rückfrage bei denen, die den Brief gegen ihn organisiert oder unterzeichnet haben. Kultur-Interessensvertreter Gerhard Ruiss erklärt, Milo Rau habe „in seiner Funktion als Festivalleiter auf der Website der Wiener Festwochen seinen Aufruf prominent an alle anderen Kunst- und Kulturschaffenden gerichtet hat. Auch also an die, die ihm absagen.“ Die Textsorte eines Aufrufs, der gleich an alle Kunst- und Kulturschaffenden gehe, sei „natürlich etwas vollkommen anderes als eine Stellungnahme“. Dazu zu schweigen wäre, so Ruiss, „beinahe so etwas wie stilles Einverständnis und Einvernehmen mit ihm – und das besteht absolut nicht.“

Mann mit nachdenklichem Blick und Hand am Kinn
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Und Ruiss weist darauf hin, dass es etliche andere gemeinschaftliche Positionierungen zum Gaza-Krieg und dem wiedererstandenen Antisemitismus bereits gebe, „die meines Erachtens nach für Kunst- und Kulturschaffende angemessener sind und die von Mio Rau als Schweigen interpretiert werden“. Er nennt entsprechende Stellungnahmen der IG Autorinnen Autoren und der Plattform für Grund-, Freiheits- und Menschenrechte, Der Wert der Demokratie. Sie sind hier https://igautorinnenautoren.at/aktuelles/news/detail/fuer-ein-abkommen-und-waffenstillstand und hier https://wert-der-demokratie.at/statement zu finden.

Rau selbst kommentiert den Gegenbrief ironisch: "Wenn Milo Rau das wirklich so geschrieben und gesagt hätte, wie hier unterstellt wird, dann würde ich diesen Brief sofort selbst unterschreiben." Im Übrigen sei "jeder, auch ich, für den Friedensplan - der Krieg muss aufhören; ich glaube, dass es die Streiks, die Offenen Briefe, der internationale Druck waren, die die israelische Regierung an den Verhandlungstisch gebracht haben  – und Trump hat das opportunistisch ausgenutzt."

Elfriede Jelinek: „Antisemitisches Narrativ klingt lauter“

Die Ambivalenzen (und implizite Paradoxie) aber, die darin liegen, einem Mahner gegen die Unmenschlichkeit eines Krieges „Hetze“ vorzuwerfen, bringt die Schriftstellerin Elfriede Jelinek auf profil-Anfrage am deutlichsten auf den Punkt: „Man kann nur falsch liegen, weil jede Äußerung einen zwingt, totalitär zu argumentieren. Einerseits und Andrerseits werden geradezu formelhaft beschworen, ständig, aber was ich derzeit, gerade von Kulturschaffenden, aber auch von der Linken höre, ist nur dieses einzige Andrerseits.“

Frau sitzt mit verschränkten Armen in Wohnung
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Und sie schließt mit: "In der Leidenschaft und all dem Geschrei klingt das antisemitische Narrativ jetzt lauter durch als seit langer Zeit.“

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.