Gugging: Die famosen Art-Brut-Künstler Garber und Vondal

Der eine zeichnet großbusige Frauen, der andere monumentale Irrgärten aus Tusche: Karl Vondal und Johann Garber, zwei Art-Brut-Künstler, eröffnen demnächst Ausstellungen im Museum Gugging. profil traf die zwei ungewöhnlichen Herren.

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Man wurde vorgewarnt. Karl Vondal und Johann Garber würden keinesfalls bereit sein, sich gemeinsam fotografieren zu lassen. Zu groß sei die Konkurrenzsituation zwischen den beiden, hatte die Pressesprecherin des Museum Gugging, Edith Wildmann, erklärt. Auch am Tag darauf, als Museumschef Johann Feilacher über die Ausstellungen der beiden Künstler spricht, sagt er: "Wenn einer kommt, geht der andere."

Karl Vondal, geboren 1953, und Johann Garber, der im August seinen Siebziger gefeiert hat, leben und arbeiten im Haus der Künstler in Gugging nahe Klosterneuburg. Es liegt auf einem kleinen Hügel, hinter dem Museum, idyllisch durch einen Park getrennt. Pinien verströmen einen Geruch, den man von Italienurlauben kennt. Die Geschichte des Hauses wurzelt in jener der einstigen Nervenheilanstalt Maria Gugging und ihrem früheren Leiter Leo Navratil: Der 2006 verstorbene Psychiater entdeckte in den 1960er-Jahren die künstlerische Begabung einiger seiner Patienten und förderte sie. Daraus entstanden ein Museum mit Verkaufsgalerie und das Haus der Künstler, das seit 1986 von Feilacher geleitet wird. Hier wohnen zwölf Kreative, die unter psychischen Störungen leiden. Gemeinsam mit internationalen Kollegen der Art Brut - also Kunst, die jenseits des akademisch-kulturellen Mainstreams, vor allem von Psychiatriepatienten, geschaffen wird - stellen sie im Museum nebenan aus.

Vondal und Garber zeichneten während der vergangenen Wochen in den Museumsräumen selbst, während die Ausstellungen noch im Aufbau waren; die Besucher konnten sie dabei beobachten. Ist es nicht merkwürdig, wenn psychisch erkrankte Künstler vor Publikum werken? Werden sie hier nicht wie exotische Wesen zur Schau gestellt? Johann Feilacher schüttelt entschieden den Kopf: "Das Ziel war, das Werk der beiden lebendig zu vermitteln. Wir haben sie eingeladen, im Museum vor Publikum zu arbeiten -natürlich nur dann, wenn ihnen gerade danach ist." Sie nähmen ohnehin gern selbst Kontakt zu den Besuchern auf: "Karl sitzt immer unten vor dem Haus und spricht die Leute an, bittet sie, ein Foto von ihm und seinen Bildern zu machen", schildert er, "Johann wünscht sich, dass die Menschen auf ihn zugehen. Wenn sie das tun, ist er sehr offen und kommunikativ." Außerdem werde keinerlei Zwang ausgeübt: "Es taucht immer wieder der Vorwurf auf, dass wir die Künstler zu etwas drängen wollen. Dabei kann man sie unmöglich beeinflussen."

"Lebenslang"

Kurze Zeit später betritt Vondal, ein schmächtiger Mann mit gebeugtem Rücken, in Trippelschritten den Ausstellungsraum und setzt sich an seinen Schreibtisch. Er beginnt, an seiner Zeichnung - eine nackte Frau auf einem Pferd, umgeben von Wolken - weiterzuarbeiten. Aus einer fein geordneten Schachtel nimmt er einen blauen Stift und färbt Flächen konzentriert ein. An diesem Tag versteht man kaum, was er sagt. Sein Zahnersatz ist ruiniert, er wartet gerade auf eine neue Prothese. Dennoch beginnt er unvermittelt zu sprechen, untermalt von dramatischen Gesten blickt er einen zwischendurch immer wieder scharf an, als wolle er dringend etwas mitteilen. "Lebenslang" wohne er nun hier, im Haus der Künstler, sagt er.

In diesem Leben ist ein reiches, dichtes Konvolut an collagierten Vondal-Zeichnungen in bleichen Pastellfarben entstanden, die meisten davon erotischen Inhalts: Frauen mit üppigen Formen präsentieren ihre Körper und leben ihre Lust mit Partnern unterschiedlichen Geschlechts aus, begleitet von krakeliger Schrift, die protokollartig sexuelle Erlebnisse schildert. "Karl Vondal hält seine verblassenden Erinnerungen und Wachträume auf nahezu unsichtbaren Bildern fest, die den Titel tragen könnten: Karl im Wunderland", schrieb der Autor Gerhard Roth, der Gugging immer wieder besuchte, 2012 in seinem Buch "Im Irrgarten der Bilder". Die Collagen Vondals entstehen spontan. Er beginnt mit einem Blatt und stückelt spontan weiter an, je nachdem, was ihm gerade in den Sinn kommt.

Der Zeichnung, an der er heute arbeitet, fehlt noch einiges: "Da muss ich noch ein Reh machen und Wasser", murmelt er. Dann ballt er die Hand zu einer Faust und streckt den Zeigefinger weg: "Hand steif halten. Was heißt das?" Man ahnt, dass es sich um etwas Unanständiges handelt. "Du darfst nicht immer so direkt sein", sagt Feilacher - woraufhin Vondal darüber zu klagen beginnt, dass er an "Hirnlähmung" und "Augenstarre" leide. Später trippelt er in seinen Gesundheitssandalen zu einer seiner großformatigen Zeichnungen, die gleich nebenan hängen, deutet auf einzelne Elemente: "Das ist ein Indianerzelt. Das ist die Schnaps-Hausbar." Zelte sind in diesem Bild dicht an dicht gereiht, Gläser und Flaschen ordnen sich zu einem Rechteck. Ein "Märchenprinz" und seine Liebste liebkosen einander, rauchen dabei. Das bringt ihren Schöpfer auf eine Idee: Auch er braucht jetzt dringend eine Zigarette.

Monumentale Tuschezeichnungen

Als Vondal von der Bildfläche verschwunden ist, kann sein Kollege Garber auftreten. Auch er ist passionierter Raucher: Eine Packung Winston steckt in der Brusttasche seines Hemds. Auf die Produktion von Kunst vor Publikum hat Garber, eine massive Erscheinung, allerdings gerade keine Lust. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sein Schreibtisch penibel aufgeräumt ist, von ihm selbst, wie Feilacher versichert: eine Spitzfeder, zwei Tuschefässchen, ein Miniaturkreuz, eine Schneekugel und ein Matchboxauto. Letzteres ist auf dem Blatt abgebildet, das Garber offensichtlich gerade in Arbeit hat. Seine monumentalen Tuschezeichnungen sind wie Teppiche, in die einzelne Gegenstände und Schriftzüge eingewoben sind, die sich erst nach und nach offenbaren. "Der Himmel hat's lüftig, im Zimmer ist's recht tüftig", steht da etwa in ornamentalen Lettern; rund um den Spruch schwirren Pfeile, Sonne, Blumen, fantastische Tierwesen.

Garber arbeitet ganz anders als Kollege Vondal, überlegt sich anfangs ein Konzept und verdichtet dieses dann so, dass man sich analog zu Roths Buchtitel in einem Irrgarten zu verlaufen glaubt. "Auf seinen Blättern herrscht die Fülle vor dem Platzen", schreibt Roth über Garbers Kompositionen: "Wie man am Sternenhimmel sich bemühen muss, Figuren zu finden, um sich zu orientieren: den großen Wagen, den großen Bären, so muss man auf den dichten Blättern nach dem Dargestellten fahnden."

Garber deutet auf einzelne Elemente im Dschungel seiner Bilder: ein Nashorn, eine Giraffe, Namen von Städten -Klagenfurt, St. Pölten, Waidhofen. Ein Turm, der den tatsächlich existierenden Klangturm darstellt, steht für St. Pölten, aber auch eine Burg. Auf die Frage, ob es in der niederösterreichischen Hauptstadt tatsächlich eine solche gebe, zuckt er nonchalant die Achseln: "Na, was weiß ich?"

Geistiges Überschwemmungsgebiet

Neben den gigantischen Tuschezeichnungen wurden auch Garbers bunt bemalte Objekte bekannt: Geweihe, Schneckenhäuser, Schnapsfläschchen, Steine. Sein berühmtestes Werk ist wohl das Ohr vor dem ORF-Funkhaus in Wien. Garber liebt es, Gegenstände aller Art zusammenzukarren und aufzubewahren. Sogar um seinen Hals baumelt ein uraltes Stück - eine Medaille mit der Aufschrift "Gugginger Wandertag 1978." Was es damit auf sich habe? "Da bin ich mitgegangen, vor 40 Jahren", erinnert er sich und lacht. Im Vergleich zu Kollegen Vondal präsentiert er sich als fröhliches Gemüt, hat sichtlich Spaß am Gespräch, schäkert mit den anwesenden Mitarbeiterinnen. Doch dann hat er genug und verabschiedet sich: Er möchte zum Mittagessen.

FANTASIEN: Karl Vondal: "Frau", 2014

Die beiden Künstler scheinen ständig in Bewegung zu sein. Dieses Rastlose zeigt sich auch in ihren Werken - unvermittelt und ungefiltert schlagen sich Erlebnisse und Fantasien direkt in den Blättern nieder. Feilacher und andere, die sich für die Art Brut einsetzen, betonen gerne, dass künstlerisches Talent bei psychisch Kranken ebenso selten sei wie bei anderen Menschen. Das Spezielle an Künstlern wie den Guggingern charakterisierte Gerhard Roth treffend so: "Bei den sogenannten Gesunden könnte man sich das Bewusste und das Unbewusste durch eine durchlässige Membran getrennt vorstellen, wodurch es quasi zu einem osmotischen Austausch zwischen den beiden Bereichen kommen kann. Bei den Künstler-Patienten müsste man sich diese Membran beschädigt oder zerstört vorstellen, weshalb das Unbewusste das Bewusstsein überschwemmen kann." Wer die Ausstellungen von Garber und Vondal besichtigt, versteht, was Roth meint: ein einziges Überschwemmungsgebiet.

Zum Schluss des Treffens - Garber sitzt rauchend auf einer Bank nahe dem Haus der Künstler, Vondal kommt mit einer Zeichnung in der Hand des Weges -wird erneut ein Versuch gestartet. Vielleicht wäre ja doch ein gemeinsames Foto möglich?"Komm her, Depperter", keppelt Vondal in Richtung seines Kollegen. Tatsächlich lassen sie sich gemeinsam von profil-Fotograf Peter M. Mayr ablichten. Eine knappe Minute bleiben sie nebeneinander stehen, dann stieben sie auseinander, der eine in Richtung Museum, der andere Richtung Haus der Künstler. Wie zwei Magnete, die einander abstoßen.

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer