David Hockney
Kunst

Gut für die Augen: Werke von David Hockney in Wien

Der britische Maler David Hockney stieg mit verrätselten Doppelporträts und exzentrischem Kleidungsstil in die Riege der teuersten lebenden Künstler auf.

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Unvermittelt nimmt der Künstler ein Messer zur Hand und sticht in das Bild. Er säbelt bedächtig durch die Leinwand und entnimmt ihr kleine Fetzen. Seine Gesten gleichen jenen eines Chirurgen eher als denen eines Fleischhauers. Später wird er das Sujet neu malen und in einer mittelmäßig beleuchteten Galerie vor diesem Gemälde herumschlendern: Es zeigt einen Mann am Rand eines Swimmingpools, der hinunterblickt auf einen anderen, der gerade darin abtaucht. Der Künstler trägt rote Hosenträger, eine rote Fliege, eine markante Brille und eine Haarfarbe, die der österreichische Dialekt mit dem schönen Ausdruck "gachblond" bezeichnet, er kneift die Augen vor seinen Werken zusammen und sagt: "Sie sehen besser aus, als ich erwartet habe." Zu jenem Zeitpunkt ahnte David Hockney noch nicht, welch unfassbare Karriere sein "Portrait of an Artist (Pool with Two Figures)" dereinst machen würde, als der Regisseur Jack Hazan ihn und seine Liebhaber, Freunde, Bekannten und Galeristen in den frühen 1970er-Jahren für sein experimentell-avantgardistisches Kinodokument "A Bigger Splash" begleitete.

Der Film ist ein zentrales Exponat in der Hockney-Ausstellung, die demnächst im Wiener Kunstforum eröffnet wird, es ist die erste umfassende Retrospektive des Briten in Österreich ("David Hockney: Insights. Reflecting the Tate Collection",ab 10. Februar). Sie gewährt Einblicke in das Werk des Künstlers, der 1937 im englischen Bradford zur Welt kam, nach einem Studium an der dortigen Kunstschule ans Londoner Royal College of Art ging und später zwischen Wohnsitzen in der britischen Hauptstadt, in Kalifornien, dem englischen Norden und der Normandie - wo er aktuell die meiste Zeit verbringt - wechselte.

Seit seinen Anfängen entwickelte Hockney ein so komplexes wie wechselhaftes Œuvre, sowohl was seine Stile als auch seine Medien betrifft. Die von ihm bearbeiteten Genres sind traditionell-Stillleben, Landschaften, Porträts, Interieurs. Er malt, was ihn umgibt: Ateliersituationen, seine Freunde, Teebeutel, Alleen, Strände, Berge und immer wieder Swimmingpools. Besondere Meisterschaft entwickelte er in der Darstellung von Wasser. Virtuos gibt er Spritzer in einem Bad wieder, das Glitzern des Lichts am Meer, die Wellen eines Seesturms. Sein anderes Markenzeichen sind verrätselte Porträts jeweils zweier Personen, die einander oft ohne erkennbaren Bezug zueinander begegnen. Der physische Raum scheint häufig das Einzige zu sein, was sie verbindet.

Früh wurde Hockney zum Star. Im Gegensatz zu anderen Kunstschaffenden, die erst einmal einige Hungerjahre hinter sich bringen müssen, konnte er sehr bald schon gut von seiner Kunst leben. Heute gilt Hockney - gemeinsam mit Jeff Koons - als teuerster lebender Künstler: Im November 2018 erwarb ein anonymer Käufer sein "Portrait of an Artist (Pool with Two Figures)" bei Sothebys um sagenhafte 90,3 Millionen Dollar - jenes Doppelbildnis, dessen Genese Jack Hazans melancholischer Film begleitete.

Dass die Arbeiten des heute 84-Jährigen so populär und teuer sind, schreiben manche auch seiner Zugänglichkeit zu. Der britische Kunstkritiker Martin Gayford kennt Hockney gut. Dieser sei "gesellig und einzelgängerisch zugleich, ein bereitwilliger und charmanter Gesprächspartner - neben der Kraft und Zugänglichkeit des Werks ist dies der Grund, weshalb er schon zu einem frühen Zeitpunkt seiner Laufbahn in der Öffentlichkeit stand". Mit seinen Swimmingpools hat er eine Marke geschafften, die den Blick auf andere Werke jedoch oft verstellt. "Neun von zehn Personen denken bei Hockney an die Pools und an Los Angeles. Das reduziert ihn aber", stellt Veronika Rudorfer fest, die gemeinsam mit Bettina Busse und Tate-Mitarbeiterin Helen Little die Ausstellung kuratiert hat.

Im Swinging London der Sixties war Hockney, oft mit Zigarette in der Hand anzutreffen, eine wichtige Figur. Vor allem lebte er offen seine Homosexualität aus, in einer Zeit, als diese im Vereinigten Königreich gesetzlich untersagt war; erst 1967 wurde dieses Verbot dort abgeschafft - was wenig am allgemeinen gesellschaftlichen Klima änderte. Von seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit der Männerliebe ließ sich Hockney nicht abhalten. In seinen Bildern umarmen und küssen einander zwei "Boys", bieten sich nackte Liebhaber und Freunde des Künstlers offensiv an. Die Grafikserie "Illustrations for Fourteen Poems from C. P. Cavafy" aus dem Jahr 1966, die das Kunstforum zeigt, dreht sich um zwei Männer, die nebeneinander im Bett liegen, sich gemeinsam in einem Spiegel betrachten. "Die Homosexualität ist künstlerisch seit jeher ein Thema bei Hockney", erzählt Rudorfer (siehe dazu auch Kasten rechts). In der Thatcher-Ära warf Hockney seine Popularität im Kampf um die Menschenrechte in die Waagschale. Rudorfer: "Es gab in Großbritannien 1988 einen Gesetzesentwurf, demzufolge nichts gezeigt werden dürfte, was Homosexualität "verherrliche". Hockney wies darauf hin, dass er dann manche seiner Arbeiten nie wieder in Großbritannien zeigen würde. Das trug sicher dazu bei, dass das Gesetz nicht in Kraft trat."

Ein prominenter Künstler, der ein illegales Privatleben führt: Welche teils bizarren Auswirkungen dies zeitigte, zeigt eine Anekdote: Als Zollbeamte feststellen, dass Hockney bei seiner Heimkehr aus den USA einen Stapel homoerotischer Magazine im Koffer hat, werden diese beschlagnahmt. Nach längerem Hin und Her - Galerist und Anwalt intervenierten, argumentierten, dass Hockney die Hefte für seine Kunst benötige - erstattet man ihm die Hefte zurück. Ein Mann mit Schirmmütze überreicht sie ihm: "Im Auftrag Ihrer Majestät", sagt er. So erzählte es Hockney selbst. Er selbst kümmerte sich kaum um Verbote, wurde offenbar - weitgehend - in Ruhe gelassen: "Ich war ja in der Bohème."

Wie in den meisten anderen europäischen Metropolen schieden sich auch in London damals die Geister zwischen Abstraktion und Figuration. Die einen fühlten sich modern und malten gegenstandslos, in Anlehnung an den amerikanischen Abstrakten Expressionismus, den Jackson Pollock mit seinen "Drippings" berühmt gemacht hatte. Die anderen beharrten auf der figurativen Malerei, wie sie Picasso zelebriert hatte. Kunstforum-Kuratorin Bettina Busse analysiert: "Die großen britischen Maler wie Francis Bacon, Lucian Freud und eben David Hockney blieben letztlich bei der Figuration. Hockney war zwar fasziniert von Pollock, doch letztlich war Picasso ihm näher. Wie er deklinierte auch Hockney alles durch."

Blättert man durch Kataloge des Werks Hockneys oder schlendert durch seine Ausstellungen, so entdeckt man Referenzen ohne Ende: ägyptische Malerei, chinesische Farbholzschnitte, Piero della Francesca, Vermeer, Caravaggio, Rembrandt, Impressionismus, Van Gogh, Cézanne, Miró, Matisse, Klee, die Künstlergruppe Nabis, Warhol - die Reihe wäre endlos fortzusetzen. Ein Foto, das in einer der zahlreichen Hockney-Publikationen abgebildet ist, zeigt eine Atelierwand, an der, dicht an dicht, Postkarten von Gemälden quer durch die Kunstgeschichte arrangiert sind - offensichtlich eine wichtige Inspiration. Dabei verharrte der Künstler, der auch Fotografien, Bühnenbilder und digitale Gemälde schuf, keineswegs in Eklektizismus: "Ich bin mir all dessen, was in den vergangenen 75 Jahren in der Kunst stattfand, sehr genau bewusst. Ich habe versucht, es in meine Art der Kunst zu integrieren." Kuratorin Busse erklärt: "Hockney geht mit all den historischen Einflüssen unglaublich frei um. Das macht ihn zu einem Role Model für jüngere Generationen - diese Offenheit zu haben, dem eigenen Sehen zu vertrauen."

In Hockneys Bildern kippen oft die Perspektiven: Die Kanten eines Stuhls laufen im Vordergrund zusammen statt auseinander, wie es die Zentralperspektive eigentlich nahelegen würde. Die Wände eines Innenraums stürzen ineinander. Die Platte eines Tischs ist kreisrund, obwohl sie in der Verkürzung oval erschiene. Wer je das Glück hatte, das sechs Meter lange Gemälde "Mulholland Drive" im L. A. County Museum of Art zu sehen, fühlt sich, als würde er nicht vor, sondern in dem Bild stehen. Eine Straße schlängelt sich da in Aufsicht über eine Landschaft, die frontal wiedergegeben ist.

Wie blicken wir auf die Welt? Diese Frage treibt den Briten an. 2001 sorgte er für Aufsehen, weil er in einem Buch nachzuweisen versuchte, wie Alte Meister ihre Bilder mit Spiegeln und optischen Geräten konstruierten. Kuratorin Rudorfer betont, wie entscheidend die Frage der Wahrnehmung seit den 1950er-Jahren für Hockney sei. "Im Norden Englands und in der Normandie beobachtet er, welche Jahresoder Tageszeit in welchem Licht erscheinen." Er habe, gibt Hockney gern zu Protokoll, schon immer pures Vergnügen am Schauen empfunden.

Heute setzt er seine Beobachtungen häufig via iPhone oder iPad um. Am Londoner Trafalgar Square zeigte er 2020 einen Sonnenaufgang, den er als animiertes digitales Gemälde produziert hatte. Seit über zehn Jahren malt Hockney auf Bildschirmen, zumeist direkt mit dem Finger: ein alter Mann, der sich die neuesten Technologien aneignet. Schon seinerzeit, als Faxgeräte aufkamen, nutzte er diese, um ganze Wandarbeiten beispielsweise nach Brasilien zu schicken, wo sie in seiner Abwesenheit aufgebaut wurden. Auch den "Eisernen Vorhang", den er für die Wiener Staatsoper gestaltete und der dort 2012/13 installiert war, malte er als digitales Bild. Wie ein Werkzeug nutzt der Künstler sein Handy; stilistisch oder inhaltlich änderte er nicht viel an seiner Kunst. Was hielte die Kunstszene von diesen Werken, wenn sie nicht von einem Großmeister kämen? Im Katalog zur Ausstellung meldet die Filmwissenschafterin Gabriele Jutz Zweifel an. Hockney bediene sich exzessiv aktueller Technologien, um die Idee der Malerei neu zu beleben: "Seine Wahl immer ausgefeilterer Medien scheint nahezulegen, dass es zur Verjüngung der Malerei nur einen Weg gibt, nämlich den technischen Fortschritt." Wenn das stimme, "dann bedienen seine medialen Arbeiten die Werte der Konsumkultur, wenn nicht gar den visuellen Kapitalismus".

Der Künstler und Kurator Raymond Foye hält Hockney im Grunde für "eine Figur des 19. Jahrhunderts". Zumindest mit dem damals populären Typus des Dandys wird Hockney oft assoziiert - kein Wunder bei seinem Stil. Einst trug er gern Anzüge in Farben von Gold über Rosa bis Weiß, Socken in verschiedenen Farben sowie Brillen mit breitem schwarzen Rahmen. "Er hat verstanden, eine Kunstfigur aus sich zu machen, sich als Marke zu etablieren", so Kuratorin Rudorfer. "Daher kann er es sich auch leisten, zwischen Stilen und Medien zu wechseln."

Mittlerweile ist das Styling des Kosmopoliten übrigens etwas gemäßigter. Das Image freilich bleibt. Ebenso wie die Zigarette, denn, so Hockney cool: "Rauchen ist gut für die Augen."

 

David Hockney. Insights. Reflecting the Tate Collection", 10. Februar bis 19. Juni, Kunstforum Wien, Freyung 8,1010 Wien (tägl. 10 bis 19, Freitag bis 21 Uhr)

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer