Helen Frankenthaler, fotografiert von Gordon Parks, New York 1957

Helen Frankenthaler: Wie Künstlerinnen aus dem Kanon verschwanden

Mit Malerin Helen Frankenthaler (1928–2011) präsentiert die Kunsthalle Krems eine bedeutende Vertreterin des Abstrakten Expressionismus.

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Der Transport muss eine ziemliche Anstrengung gewesen sein. Helen Frankenthaler verfügte weder über Helfer noch über einen geeigneten Wagen, als sie 1951 in New York die Ausstellung „9th St. Exhibition of Paintings and Sculpture“ belieferte. Also trug die 22-Jährige ihr Gemälde eben selbst von ihrem Atelier zum Ausstellungsort. Es war über zwei Meter lang und das größte Bild in der Schau, an der sie als eine von nur elf Künstlerinnen – insgesamt waren 72 Positionen vertreten – teilnahm. 

Die Anekdote, erzählt von der Autorin Mary Gabriel in ihrem Buch „Ninth Street Women“, zeigt auch, von welcher Statur die Malerin war. Aufgewachsen in einem großbürgerlich-liberalen Elternhaus, verfügte Frankenthaler über Nonchalance und ein Selbstbewusstsein, das man jungen Künstlerinnen nur wünschen kann. 1928 in New York geboren, hatte sie die dortige Dalton School absolviert, später das Bennington College in Vermont – keine besonders schlagkräftigen Institutionen zur Formierung junger Malerei-Talente. Mit Ende 20 war sie im Olymp der New Yorker Kunstwelt angelangt.

Und doch ist die Kunsthalle Krems nun die allererste Institution in Österreich, die eine Retrospektive der 2011 verstorbenen Malerin zeigt („Helen Frankenthaler. Malerische Konstellationen“). Florian Steininger, künstlerischer Leiter der Kunsthalle und Kurator der Schau, kombiniert 70 Papierarbeiten mit zehn Gemälden auf Leinwand, darunter eines aus dem Wiener Mumok: „Salomé“, 1978 entstanden, entfaltet auf einer Länge von über vier Metern eine abstrakte dynamische Szenerie aus Türkis-, Beige- und Rottönen, die in breiten vertikalen und orthogonalen Streifen über das Bild wandern. Warum bis dato in Österreich keine größere Schau Frankenthalers zu sehen war? Auch Steininger ist dies „ein Rätsel“. Denn für die Kunstgeschichte sei diese Malerin zweifellos „sehr relevant“.

Die erwähnte Ausstellung von 1951, der Frankenthaler ihr monumentales Werk beisteuerte, sollte als eine der einflussreichsten in die US-Nachkriegs-Kunstgeschichte eingehen. In ihr 
manifestierte sich der Abstrakte Expressionismus, jene Kunstrichtung also, in der die Leinwand zum Feld freier gestischer Abstraktion wurde und deren bekanntester Vertreter Jackson Pollock heißt. Lange galt der Abstrakte Expressionismus, gern als AbEx abgekürzt, als durch und durch männliche Kunstrichtung. Doch das Bild war verzerrt. Wenn im Zusammenhang mit den neuen Expressionisten überhaupt Künstlerinnen genannt wurden, waren es Lee Krasner und eben Helen Frankenthaler. Als die Onlineplattform Artsy weibliche AbEx-Vertreterinnen vorstellte, hieß der Beitrag „Elf Abstrakte Expressionistinnen, die nicht Helen Frankenthaler sind“. 

Tatsächlich krempelte die Tochter aus gutem Hause die Malerei gehörig um. Zunächst begann sie direkt auf dem Bild stehend zu malen. „Die Malerin schreibt sich körperlich ins Bildfeld ein“, umschreibt es Steininger. Mit ihrem Werk „Mountains and Sea“ (1952) entwickelte sie eine neue Technik, genannt „Soak Stain“. Dabei schüttete sie verdünnte Ölfarbe, teils auch vermischt mit Wanddispersion oder Lack, auf die lose Leinwand, bearbeitete die Flüssigkeit mit der Hand, mit Schwämmen, Pinseln oder Mopps. Ein Trip nach Nova Scotia hatte die Künstlerin zu „Mountains and Sea“ inspiriert. Später sagte sie darüber: „Als ich das Gemälde schuf, umarmte ich die Landschaften.“ Auf einer Aufnahme des Fotografen Burt Glinn, im Jahr 1957 entstanden, steht sie auf einer Leinwand, nach vorn gebeugt wie eine Eisschnellläuferin. In der Rechten hält sie einen Pinsel, mit dem sie sich gerade in einen Dreiviertelkreis gemalt hat.

Helen Frankenthaler brachte Farbe in den Fluss, führte die Malerei zur größtmöglichen Transparenz. Damit gilt sie als Mitbegründerin des Color Field Painting, in dem monochrome Farbflächen die Leinwand bedecken. Vertreter jener Richtung, etwa Morris Louis und Kenneth Noland, reagierten explizit auf Frankenthalers Arbeit.

„Nach ihrer Hochzeit war sie in der tödlichen Kategorie der Ehefrau, die auch malt, angelangt.“
 

Mary Gabriel

Historikerin

Als junge Malerin freundete sie sich mit Kolleginnen wie Krasner, Grace Hartigan und Joan Mitchell an, feierte in den Kunstzirkeln des Greenwich Village, einer „intensiven, gesetzlosen Gesellschaft“ (Mary Gabriel). Schon früh kaufte das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) ein Frankenthaler-Werk. „Das unterstreicht, wie präsent sie damals schon war“, sagt Steininger – „ebenso die Tatsache, dass bereits 1951 in der Tibor de Nagy Gallery ihre erste Soloshow stattfand.“ Aber auch andere AbEx-Frauen stellten damals gemeinsam mit männlichen Kollegen aus, verkauften wie diese ihre Arbeiten, wurden ebenso von Zeitungen besprochen. Und sie wussten sich gegen Sexismen zu wehren. So berichtete Hartigan davon, wie sie dem Starkritiker Clement Greenberg einst über den Mund gefahren war. Dieser hatte scheinheilig beteuert, er würde gern Zeitgenosse „der ersten großen Künstlerin“ werden, in völliger Ignoranz bedeutenden weiblichen Kunstschaffens. Hartigans deftige Antwort: „Was für eine Scheiße!“ 

1957 hatte sich der Abstrakte Expressionismus so weit etabliert, dass es ans Abrechnen ging. Plötzlich gelangten die Frauen ins Hintertreffen. „Ab Ende der 1950er-Jahre änderte sich die Situation der Künstlerinnen zum Schlechteren“, stellt die Kunsthistorikerin Joan Marter fest: „Weniger Verkaufsmöglichkeiten, weniger Galerien, Abwesenheit bei Gruppenausstellungen.“ Mit der vom MoMA gestalteten Ausstellung „The New American Painting“ begann 1958 der systematische Ausschluss von Künstlerinnen: Nur eine einzige Frau, Grace Hartigan, durfte daran teilnehmen. Das war doppelt bitter, tourte die Schau doch auch durch Europa, das Image des Abstrakten Expressionismus auch hier prägend. Nicht besser sah es in späteren Ausstellungen und Publikationen aus. 

Erschwerend kam hinzu, dass manche Künstlerinnen mit Kollegen verheiratet waren. Noch 1990 listete eine Publikation Lee Krasner als „Mrs. Jackson Pollock“ auf. Frankenthaler war von 1958 bis 1971 mit dem Maler Robert Motherwell verheiratet, den sie künstlerisch beeinflusste. Nach der Hochzeit war sie plötzlich in der „tödlichen Kategorie“ der „Ehefrau, die auch malt“, angelangt, wie Mary Gabriel es ausdrückte. Erst in jüngerer Zeit gelangten die Werke von AbEx-Künstlerinnen vermehrt ins Blickfeld der Öffentlichkeit. 2016 stellte eine groß angelegte Ausstellung im Denver Art Museum Frankenthaler, Krasner, Hartigan, Mitchell und viele andere wie Alma Thomas, Mary Abbott, Elaine de Kooning, Judith Godwin und Deborah Remington aus.

In ihrem rund sechs Jahrzehnte währenden künstlerischen Schaffen deklinierte Frankenthaler, das zeigt die Ausstellung in Krems, ein breites malerisches Spektrum durch – bis hin zu ihrem Spätwerk, über das Steininger sagt: „Es ist sehr reduziert, mit einer Tendenz zum Monochromen, Sphärischen; hier orientiert sie sich auch an der europäischen Malereitradition.“ Helen Frankenthaler zählte nicht zu jenen Künstlerinnen, die ausgeblendet und vergessen wurden. Ihre tanzenden, flirrenden, schwebenden Farbtransparenzen waren in US-Museen wie Galerien präsent. Ist sie dennoch unterbewertet? Das teuerste je in einer Auktion versteigerte Gemälde Frankenthalers kostete rund 5,9 Millionen Euro; der Rekord von Robert Motherwell liegt bei 9,3 Millionen. 

Da geht noch was.  

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer