Hilfe für die Musikszene: Wird die Politik „Potenziale entfalten“?
Österreichs Kulturministerium hat eine „Musikstrategie“ ausgerufen, um das Leben und Arbeiten in der Branche zu erleichtern. Wie das in Spar- und Krisenzeiten ohne Investitionen gehen soll, weiß niemand.
Optimistische Botschaften sind in Zeiten höchster Budgetnot die beste Gegenpropaganda: Wir sparen nicht nur kaputt, wir gestalten auch neu! So kam es, dass Kulturminister Andreas Babler vergangene Woche Österreichs Musikbranche eine neue Initiative schenkte: die „Musikstrategie Österreich 2026“, deren Ziel es sei, „die Lebens- und Arbeitsrealität von Musiker:innen und allen Menschen, die im Musikbereich tätig sind, nachhaltig zu verbessern“. Man wolle „Vielfalt sichtbar machen, neue Potenziale entfalten und Räume schaffen, in denen Musik uns alle zusammenführt“, so Babler. Es gelte, das Kunstschaffen, kulturelle Vielfalt und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken – „für angemessene Arbeitsbedingungen, nachhaltige Entwicklung und gesellschaftliche Teilhabe“.
Klingt gut, nur: Was soll das heißen? Denn die Frage, wie all das zu bewerkstelligen sei, ohne neues Geld in die Hand zu nehmen, blieb seitens des Kulturministeriums und des einberufenen Fachgremiums trotz mehrfacher profil-Nachfrage unbeantwortet. Man scheint selbst nicht so genau zu wissen, was man da ins Auge gefasst hat.
Sicherheitshalber ist die Bundes-„Musikstrategie“ erst einmal nicht als Maßnahmenpaket, sondern als „Strategieprozess“ mit „ganzheitlichem Ansatz“ definiert, der erst im Herbst 2026 Früchte tragen solle. Dazu sei die Hilfe der Szene nötig: Bis 5. Dezember können Musik-Arbeitende an einer Online-Umfrage teilnehmen, die sich auf der Kulturministeriums-Website findet. Bis Mai 2026 gebe es dann „Strukturanalyse und internationales Benchmarking“, dafür werde das Projektteam durch eine „Fokusgruppe“ mit Vertretern und Vertreterinnen aus dem Musiksektor „praxisnah“ unterstützt.
Stefan Hahn, Leiter der Abteilung Musik und darstellende Kunst im Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport, meldete sich vier Tage nach Redaktionsschluss, um sich zu entschuldigen; die Nachricht von profil sei „leider nicht als dringende Presseanfrage" erkannt worden. Erfreulicherweise, schreibt Hahn, sei das Interesse an der Musikstrategie groß. Die Online-Umfrage sei als „erster Schritt und Problemaufriss" angelegt – „bis dato haben 3.000 Personen die Umfrage abgeschlossen und die Freitextfelder genützt, um Aspekte aller Art zu thematisieren. Zu Beginn des nächsten Jahres folgen dann Expert:innen-Workshops, in denen die Themen weiter vertieft und konkrete Maßnahmen erarbeitet werden sollen. Wir werden die besondere Budgetsituation im Auge behalten müssen, das steht fest, nur gilt es im Prozess eben auch unterschiedliche Ansatzpunkte zu prüfen."
An der Wirklichkeit vorbei
Kein Wunder, dass die Unverbindlichkeit solcher Worte aktuell eine gewisse Ratlosigkeit in der Branche hervorruft. profil hat sich unter Musikern und Musikerinnen, Labelchefs, Veranstalterinnen und Produzenten umgehört. Walter Robotka etwa, der seit 30 Jahren das Wiener Nischen-Label Klanggalerie betreibt, nennt die „Musikstrategie“ eine „an sich gute Sache“, aber die Umfrage gehe an der Wirklichkeit vorbei: Manchmal sei es schwer gewesen, im Fragebogen die richtige Antwort zu finden, weil „verschiedenste Aspekte der Musikarbeit komplett unterschiedliche Antworten bräuchten und viele praxisnahe Aspekte überhaupt nicht abgefragt werden“. Die Frage nach Präsenz im Radio zum Beispiel: „Welcher Sender? Welche Musik?“ FM4 spiele viel österreichische Musik, sagt Robotka, aber nicht jene, die aus seinem Umfeld komme. Die geforderten Pauschalantworten seien kaum zu geben, da die Fragen zu allgemein formuliert seien: schwer vorstellbar, dass daraus konkrete Schlüsse gezogen werden könnten.
Eine Musikerin und Komponistin, die in diesem Zusammenhang lieber ungenannt bleiben will, schließt sich diesem Befund an: „Mit dieser Umfrage scheint man eher an der Oberfläche zu schwimmen. Der Fragebogen ist tatsächlich schwer auszufüllen, weil man oft erst definieren müsste, aus welcher Perspektive man die Probleme betrachtet; man spricht ja nicht nur für sich selbst, sondern für eine größere Szene, auch für Kolleginnen und Kollegen. Aber dazu geht der Fragenkatalog zu wenig ins Detail.“
„Sehr kaputtes System!“
Einstweilen sind Verluste zu beklagen: Das hochgeschätzte Indie-Trio DIVES hat unlängst, nach zehn Jahren, sein Ende als Band verlautbart (und ein großes Abschlusskonzert am 3. Dezember 2025 in der Arena Wien angekündigt). Viktoria Kirner, Tamara Leichtfried und Dora de Goederen lesen der Branche zum Abschied die Leviten: Es sei „emotional, kreativ und finanziell immer schwieriger geworden“, das Bandprojekt am Leben zu erhalten. In der FM4-„Morning Show“ appellierten sie an die Branche: „Die Situation ist prekär, der Markt extrem umkämpft, aber ihr müsst nicht jede Show gratis spielen. Ihr müsst nicht darum buhlen, mit irgendwelchen ,Großen‘ auf Tour zu gehen. Das ist Teil eines sehr kaputten Systems! Eure Kunst ist etwas wert, also verkauft euch nicht unter eurem Wert.“
Nach zehn Jahren machen sie Schluss: das österreichische Trio DIVES
Der Multiinstrumentalist Wolfgang Lehmann (vormals Möstl) hat alle drei DIVES-Alben produziert und in Bands wie Killed by 9V Batteries, Mile Me Deaf und Sex Jams maßgeblich gewirkt. Aktuell spielt er mit Anja Plaschg (Soap&Skin) bei Exit Void und mit Oliver Welter bei Naked Lunch. Umtriebiger als Lehmann kann man fernab des Pop-Mainstreams kaum sein. Er hält den Vorstoß einer „Musikstrategie“ für prinzipiell gut, der Fragebogen allerdings erweckt bei ihm den Eindruck des Repetitiven, auch einer gewissen „Punktlosigkeit“. Er sei „wirklich gespannt auf das Ergebnis und die Auswirkungen“ dieser Initiative. „Ich bleibe skeptisch, wenn gleichzeitig Kulturförderungen gekürzt werden, aber natürlich begrüße ich jede Verbesserung.“
Wolfgang Lehmann, umtriebiger Musiker und Producer
Wünsche hätte er diesbezüglich einige, sagt Lehmann: Die SVS-Beiträge für Kulturschaffende seien zu reformieren, denn das System sei für Menschen, die oft von der Hand in den Mund leben, „riskant“, weil es in dieser Branche meist kaum möglich ist, mehrere Jahre in die Zukunft zu planen – „und einzelne größere Projekte verzerren die Beträge für Jahre“. Zudem würde er sich weniger parteipolitische Einflussnahme auf Kulturförderungen wünschen, siehe die massiven Kürzungen in der Steiermark durch die FPÖ. Anstelle solcher Zumutungen könnte man eine Art Rat, der unabhängig über Subventionen entscheide, einrichten, vergleichbar mit dem Arts Council in England.
Covid-Hilfe zurückgefordert
Wie praktische Musikszenenhilfe ganz sicher nicht aussehen sollte, macht einstweilen die erwähnte SVS, die Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen, vor. Als Bundesbehörde sandte sie unlängst einen aggressiv formulierten Brief an Musikschaffende, die 2020, während der ersten Phase der Covidpandemie, Unterstützungsleistungen bezogen und dies nach bestem Wissen angegeben haben. profil liegt einer dieser Briefe vor. Darin heißt es: „Da davon ausgegangen werden muss, dass Sie in Ihren Anträgen hinsichtlich des Bezugs von Zahlungen aus dem Härtefallfonds bewusst unrichtige und/oder unvollständige Angaben gemacht haben, sind die ausbezahlten Leistungen aus dem Fonds für eine Überbrückungsfinanzierung für selbständige Künstler:innen (…) in vollem Ausmaß zurückzuzahlen.“
Bei „music austria“ (mica), einer Informations- und Servicestelle für zeitgenössische österreichische Musik, ist Markus Deisenberger für praktische Hilfe und juristische Beratung zuständig. Er bestätigt auf profil-Anfrage, dass ihm solche Fälle gemeldet wurden. Man habe sich mit mica-Partneranwalt Wolfgang Renzl abgesprochen, der dazu geraten habe, fristgerecht zu entgegnen, dass die Angaben keinesfalls „bewusst unrichtig“ waren, wie in diesen Schreiben „fälschlicherweise behauptet wurde“, so Deisenberger. „Gleichzeitig wurde uns mittlerweile seitens des Ministeriums signalisiert, dass das ,repariert‘ werde, dass also die Betroffenen keineswegs die gesamten Coronahilfen zurückzahlen müssen.“ Da habe bereits „ein Umdenken stattgefunden“.
„Man spielt mit unseren Hoffnungen“
Kritik an den Musikförderungsprogrammen der Bundesregierung üben auch andere: Die Band Bad Ida beispielsweise, die unter dem Titel „Ending Things“ gerade ihr zweites Album (bei Konkord) veröffentlicht hat und eine dynamische Mischung aus Soul, Rock, Blues und Pop spielt – Eigen-Stilbeschreibung: „Garage Soul“ –, nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Vokalistin Ines Dallaji, im akademischen Leben auch Doktorin der Arabistik, formuliert ihre Kritik an Bablers Initiative so: „Die Umfrage zur Musikstrategie kratzt nur an der Oberfläche und scheint nicht darauf abzuzielen, die Einkommens- und Beschäftigungsrealitäten der Musikschaffenden im Detail zu erfassen. Statt an konkreten Lösungen für längst bekannte Probleme zu arbeiten und etwa für Transparenz und Fairness im Kulturbereich zu sorgen, spielt man mit unseren Hoffnungen und lenkt davon ab, dass eigentlich ein radikaler Sparkurs angesagt ist.“
Ines Dallaji, Musikerin und Sängerin der Band Bad Ida
Im Grunde brauche es, so Dallaji, schlicht mehr Geld für die heimische Szene „und eine faire Verteilung, weg vom Gatekeeping“. Dann würden Förderungen nicht mehr nur gut vernetzten Musikschaffenden zugutekommen, sondern auch dem „professionellen Mittelbau“. Als konkrete Maßnahme schlägt sie einen höheren Pflichtanteil an österreichischer Musik in öffentlich-rechtlichen Radios vor. So könne man auch dafür sorgen, „dass mehr Geld in Form von Tantiemen im Land bleibt, man könnte die Live-Szene stärken und Tonträger-Verkäufe steigern“.
Bad-Ida-Bassist Alexander Lausch ergänzt: „Ich befürchte, dass die Musikstrategie der Regierung in erster Linie ein paar großen oder sich selbst als groß empfindenden Playern zugutekommt.“ Statt die tatsächlichen Bedürfnisse der Szene zu berücksichtigen, lasse man eine „undemokratisch zusammengestellte, intransparent gewählte Fokusgruppe, die niemanden wirklich vertritt“, über die Zukunft einer komplexen und vielfältigen Branche entscheiden – und dies „auf Basis einer vage formulierten Umfrage, die der Realität nicht gerecht wird. So werden die Missstände im Kulturbereich zur PR-Aktion einer Regierung, der es am Budget für tatsächliche Verbesserungen fehlt.“ Wollte man der Musikbranche wirklich helfen, so Lausch, müsste man die Streichung des geringfügigen Zuverdiensts für Arbeitslose zurücknehmen, um jene, die Kunst herstellen, nicht noch weiter ins Prekariat zu drängen, außerdem sollten große Streaming-Dienste maßgeblich besteuert werden.
Und was die Fokusgruppe betrifft: „Warum wurden dafür nicht die Interessenvertretungen dieses Landes an einen Tisch geholt? So hätten jahrelang gesammelte Anliegen der Branche direkt eingebracht werden können. Und warum wurde das Thema nicht in den Fachgruppen der Kreativberufe der Wirtschaftskammern diskutiert, wo es Menschen gibt, die sich explizit um die Belange von Einzelunternehmen kümmern?“ Lausch erkenne hier „das typisch österreichische Muster: ,Wir regeln das intern.‘“ Ein Kollege habe kürzlich in den sozialen Medien geschrieben: „Wir sollten endlich über die Zustände in der Branche reden.“ Da habe er sich, sagt Lausch, fast ein Stück Lippe abgebissen und geantwortet: „Wir reden die ganze Zeit, aber es hört uns niemand zu.“
Kostenexplosion und Publikumsverlust
Herbert Molin, seit den frühen 1980er-Jahren als Musiker (Viele bunte Autos, The Thorns) und Veranstalter experimenteller Konzerte (liccht – Verein für Nischenmusik und Populärkultur) aktiv, befürworte „natürlich alles“, was dabei helfe, die Entlohnung aller im Musikbereich arbeitenden Menschen fairer zu gestalten. Die Umfrage aber wolle „alle Bereiche der Musik, also Klassik, Impro, Pop, Underground und vieles mehr behandeln“. Die Anforderungen seien jedoch sehr verschieden. Fragen zu digitaler Musikverwertung und KI müsse man wohl auf EU-Ebene lösen. Und: „Kleinere Vereine, Firmen und Einzelpersonen, die im Veranstaltungsbereich tätig sind (wie wir), haben Probleme mit einerseits überall erhöhten Kosten, insbesondere jener der Verwertungsgesellschaft AKM, und andererseits verminderten Förderungen.“ So werde es unweigerlich, sagt Molin, zu einer Reduktion der „kleineren“ Konzerte kommen, „weil die Kosten für Miete und AKM die Künstlergagen inzwischen oft übertreffen.“
Die Idee des Fair Pay für Musikschaffende und jene, die Konzerte veranstalten, wäre wünschenswert, so Molin. Er sei jedoch skeptisch, denn eine Erhöhung des Kulturbudgets angesichts der momentanen Sparmaßnahmen im sozialen Bereich werde kaum kommen. „Was aber notwendig wäre – denn gerade Nischenveranstaltungen machen die Kulturlandschaft spannend und lebenswert!“
Wundert sich: Manfred Engelmayr, vielbeschäftigter Musiker, Mitglied der Bands Bulbul, Broken.Heart.Collector und Muscle Tomcat Machine
Manfred Engelmayr, Frontmann des Wiener Glam-Noise-Trios Bulbul und zahlloser weiterer Projekte, findet klare Worte für das Dilemma, in dem seine Branche steckt: „Wenn die Regierung unsere Situation verbessern will, warum verschlechtert sie sie dann zuerst?“ Er höre „aus allen Richtungen“, dass Stipendien und Förderungen im Kulturbereich „wild heruntergekürzt werden“ – und nicht nur dort. Der Unterschied zwischen E und U sei „sowohl absurd als auch veraltet“ und besitze schon lange keine Berechtigung mehr. Und dann: „Nachhaltigkeitsthemen, Diversitätsgerechtigkeit, KI-Konkurrenz, Spotify-Schere, Vernetzungsblabla … alles extrem wichtig, aber letztlich wollen Kulturschaffende Kultur schaffen, und um das tun zu können, ohne ständig an Existenzielles denken zu müssen, brauchen wir Raum und Zeit – oder einfach Geld.“
Und Engelmayr zitiert den legendären US-Bluesrocker Captain Beefheart: „What the world needs is a good two dollar room and a good two dollar broom.“
Budgetgarantien also und Lust am Kehraus: Eigentlich brauche es „nur“ ein Bewusstsein in der Gesellschaft, dass diese ohne Kultur keine mehr wäre, sagt Engelmayr noch. „Den meisten Leuten ist klar, dass Kultur wertvoll ist und wir nicht ohne sie leben können. Viele vergessen aber, dass sie auch erschaffen werden muss und das in unserer Welt nicht gratis sein kann – genauso wenig wie Landesverteidigung und Lobautunnel.“
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Stand:
Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.