Mit einigem Recht darf Kureishi als hervorragender Vertreter jener neuen, nicht ausschließlich westlich geprägten Weltliteratur gelten, in der ab den frühen 1990er-Jahren unter anderem der Lebensalltag muslimischer Einwanderer in London, ethnische Identität und das Erbe des Kolonialismus in Romanen verhandelt wurden.
Kureishi, 1954 in Bromley bei London als Sohn eines pakistanischen Beamten geboren, musste als Schüler das gängige Prügeln von Migranten erdulden, er wurde rassistisch beleidigt und diskriminiert; sein Philosophiestudium finanzierte er später mit pornografischen Texten unter dem Pseudonym „Antonia French“.
In seinen Büchern mischt der Autor mit Sigmund-Freud-Faible gern Kunst und Kommerz, künstlerische Ideen mit öffentlichkeitswirksamem Glanz.
In „Als meine Welt zerbrach“ berichtet Kureishi davon, wie sein Leben in zwei Teile zerrissen wurde, in ein Dasein vor und nach dem Sturz vom Sessel. Zur gespenstischen Reglosigkeit im Krankenhausbett verdammt, vagabundiert Kureishi, der nie ein Mann falsch verstandener Bescheidenheit war, durch seine Vergangenheit. Wie er seinen ersten Roman „Der Buddha aus der Vorstadt“ (1990) schrieb, die Geschichte von Karim Amir, einem 17-jährigen Engländer mit muslimisch-indischem Vater. Kureishi erinnert sich an den Erfolg der Romane „Das schwarze Album“ (1995) sowie „Rastlose Nähe“ (1998), wie er die Drehbücher zu Patrice Chéreaus Kinoadaption „Intimacy“ und Stephen Frears’ oscarnominierter Ethno-Komödie „Mein wunderbarer Waschsalon“ mit Daniel Day-Lewis als schwuler Punk beisteuerte.
Als Pflegefall sucht Kureishi, oft vergebens, Halt in seinem alten Leben als mondäne Londoner Szenefigur und rastloser Globetrotter. Er versucht im Krankenhausbett die Erinnerung zu kolorieren, die mit kühler Grausamkeit servierte Laune des Lebens zu durchleuchten. „Letztes Jahr um diese Zeit“, lässt der Schriftsteller von helfenden Händen notieren, „war ich ein fröhlicher, unbeschwerter Mensch, der sich in der Welt herumtrieb, sich des Lebens erfreute und sich munter auch mal beschwerte.“
Dann der Dezember 2022. „Und jetzt bin ich kaum mehr als Gemüse, der Freuden, die mir noch bevorstanden, beraubt.“ Er sei in seinem eigenen Körper lebendig begraben: „Paki, Schriftsteller, Krüppel: Wer bin ich jetzt?“
Manchmal glücken Kureishi Momente schwarzen Humors: „Das einzig Gute an einer Lähmung ist, dass man sich nicht bewegen muss, um zu scheißen und zu pissen.“ Sowieso, die täglichen Krankenhausabgründe und Spitalsroutinen: Katheter und Schmerzen in den Genitalien, Betäubungsspritzen in den Penis, Schläuche in Nase und Hals, Sekretabsonderungen nach Operationen, ein wunder Hintern. „Es fühlt sich an, als verwandle sich mein Körper in ein Marshmallow, als zerginge ich langsam.“
Viel Verbitteung
Ein Arzt drückt Kureishi auf den Bauch und steckt ihm, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung sei, den Finger in den Hintern. „Ich nenne meinen Arsch mittlerweile Route 66.“ Nachts sei es furchtbar, wenn er mitunter aufwache, während ein Pfleger gerade „deine Eier in der Hand hält“. Im Fitnessraum legt ein Physiotherapeut Kureishis Hand auf dessen Wange. „Es war furchtbar – als ob mir die Hand eines Toten ins Gesicht gerutscht wäre. Sie fühlte sich kalt und leblos an.“ Sich wieder mit einem Glas Wein auf das Sofa legen zu können, während im TV ein Match der Premier League läuft? „Dass ich mich nie wieder an etwas so Einfachem erfreuen kann, empfinde ich als unglaublich grausam.“ Mit einem Wort: „Ich habe genug von dieser Scheiße.“ Es ist ein abgrundtief bitterer, unverstellter Ton, der in diesem Bericht herrscht.
„Im Dezember vergangenen Jahres geriet ich aus der realen Welt in diese Soap-Opera, in der ich seither lebe“, ist unter dem Eintrag vom 9. September 2023 zu lesen: „Ich empfinde sie als Folter und Bestrafung, als Zerstückelung meiner selbst.“
Die nahezu völlige Paralyse der Gliedmaßen, das Leben als Schildkröte, die hilflos auf dem Rücken liege und flehe, man möge sie wieder umdrehen, böte immerhin die wunderbare Gelegenheit, um über das Leben nachzudenken, neue Leute kennenzulernen: „Ich muss es weiter mit Humor sehen; etwas anderes habe ich nicht, ich bin weder stoisch noch mutig, ich kann nichts besonders gut, ich bin ein Opfer des Schicksals.“
Warum kam das Unglück über Hanif Kureishi? Weshalb ausgerechnet er? Falsche Frage. „Es ist so eine Qual, in meiner Haut zu stecken“, ist in „Als meine Welt zerbrach“ zu lesen: „Ich habe das Bedürfnis, die Leute um mich herum irgendwie zu bestrafen, obwohl ich weiß, dass niemand an meiner Situation schuld ist. Ich hatte einfach einen Unfall, das ist alles, ein kontingentes Ereignis ohne jeden logischen Sinn.“