„Los, sagt mir noch mehr jiddische Wörter für Penis“, bedrängt Titelheldin Esther eine Bubengruppe. „Das Wort ‚schlong‘ kannte Esther natürlich – vom jiddischen Wort ‚schlang‘ wie Schlauch oder Schlange oder eben Penis.“ Unwillig rücken die bedrängten Kerle mit der Sprache heraus: „Da gibt’s noch shvantz und schmeckel.“ Ein „shtickl“ sei übrigens ein kleiner, ein „petzl“ ein schmutziger. Man hat schon besser gelacht.
Penisbeschneidungsgeschichte
„Königin Esther“ versammelt Irvings erzählerisches Stammpersonal: tapsige, ahnungslose, dann wieder schlaumeiernde Figuren, die sich in diesem Fall in den 1960er-Jahren zwischen Tel Aviv, Haifa, der Schwindgasse im 4. Wiener Gemeindebezirk und der Stadt Pennacook im US-Bundesstaat New Hampshire zerstreuen, in der das Wort „liberal“ nach Aufruhr klingt und deren Bibliothek zugleich eine Fundgrube der „Penisbeschneidungsgeschichte“ ist.
Da wäre das Waisenmädchen namens Esther, dessen Mutter ermordet wurde, und das von seinen jüdischen Wurzeln fasziniert ist; Esther, die sich rundheraus weigert, einen BH zu tragen, und viele weitere Schrulligkeiten pflegt, wird von der kauzigen Familie Winslow in Pennacook als Kindermädchen eingestellt, mit deren Tochter Honor das Au-pair wiederum einen Leihmutterschafts-Pakt eingeht. (Der Samenspender hört auf den Namen Moses Little Mountain.)
Esthers Sohn Jimmy, der spätere Schriftsteller und Ringer, dem seine Bekannten eine Geschichte mit Arbeitstitel „Zwei einsame Scheiden“ nahelegen werden, soll auf Anraten seiner beiden Mütter eine lesbische Frau schwängern, um so der Einberufung zum Vietnamkrieg zu entgehen. Dazu geistern ein ehemaliger Kindersoldat, russische Ringer, eine tätowierte Tellerwäscherin, die ihr feuchtes Grab in der Donau finden wird, NS-Verbrecher und ein Waisenhausarzt namens Dr. Wilbur Larch durch den Roman, der sich bereits in Irvings Publikumserfolg „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ (1985) dem Beginn (Empfängnis) und Ende (Abtreibung) des Lebens verschrieben hatte.
So weit, so verworren: Familiengeschichten-Fantastik vor wahllos historischem Hintergrund – von den Mayflower-Pilgervätern über Simon Wiesenthal, Wittgenstein-Zitate und die Olympischen Winterspiele in Innsbruck 1964 bis zu den Brontë-Schwestern und der österreichisch-amerikanischen Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr.
Spröde Sprache trifft auf zügelloses Erzählen, das weder nervtötende Kalauer noch übertriebenes Pathos scheut, bei dem jeder Versuch einer Inhaltsangabe zum Scheitern verurteilt ist: So ließe sich die Irving-Idee vom Bücherschreiben fassen, die in „Königin Esther“ heiß läuft.
Der Roman entrollt eine Geschichte sich ständig – nicht selten: tragisch – gabelnder Lebenswege, eine Story, deren dürre Fakten sich in quälender Repetition erschöpfen. Nach dem gefühlt hundertsten Mal ermüdet die Phrase „Bürger der Stadt Pennacook“ ebenso wie die kaum je variierte Standardantwort des sanften Familienpatriarchen Thomas Winslow im Dialog mit seiner Ehefrau Constance: „Recht hast du, Connie.“
Es ist die Wucht der Einfallslosigkeit, die einen hier bei aller intendierten Farbigkeit und dem uferlosen Geschichten- und Geschichtchen-Zusammenstückeln immer wieder erdrückt. Es gibt leider auch keinen Hinweis darauf, dass John Irving sich an all dem gestört hätte.