Marina Abramović, Kunst-Superstar. Ihr Werk ist derzeit in der Albertina Modern zu bewundern.
Leib und Seele: Die Künstlerin Marina Abramović beehrt Wien
„Sehe ich in Ihren Augen aus wie eine Sterbende?“, erkundigt sich Marina Abramović mit listigem Lächeln, blickt interessiert in die Runde. Natürlich nicht, rhetorische Frage, blühendes Leben. Vom Tod spricht sie dennoch gern, von ihrem längst durchgeplanten Begräbnis schon seit gut 20 Jahren; es soll bunt, laut und ein bisschen mysteriös werden, mit drei Särgen in drei verschiedenen Städten, wobei niemand wissen soll, in welchem Sarg ihr Leichnam liegen wird.
Und, ganz nebenbei bemerkt: „Vor zwei Jahren wäre ich fast gestorben. Ich hatte eine schwere Lungenembolie. Zweimal im Koma. Aber jetzt habe ich ein neues Leben, ich habe auch ein Titan-Knie, perfekt. Das Leben geht also weiter." Und es gebe noch viel zu tun. Drei neue Projekte laufen bereits. „Meine Frage ist nur, wie viel Zeit mir physisch noch bleibt, von meinem 80. Geburtstag an, der in einem Jahr kommen wird. Eine meiner Großmütter starb mit 103, meine Ururgroßmutter mit 108. Es gibt also noch Spielraum.“
Mit ein paar Wochen Verspätung ist sie nun also in Wien angekommen: Kunst-Superstar Marina Abramović, 78, deren Retrospektive gerade in der Albertina Modern (noch bis 1. März) zu sehen ist, weilt bis Samstag in der Stadt, auch um sich, wie sie betont, die Schau anzusehen, die ihr gilt. Im Hotel Sacher gewährt sie aber erst einmal einer Handvoll ausgewählter Journalistinnen und Journalisten eine knapp einstündige Audienz: The artist is present, und diesmal spricht sie auch!
Neben der gut gelaunten, weitgehend auskunftswilligen Künstlerin hat der neue Albertina-Chef, Ralph Gleis, Platz genommen. Man dürfe sie alles fragen, sagt sie zum Einstieg, nur eines bitte nicht mehr: wie das damals war mit ihrem Frühwerk „Rhythm 0“ (1974) – jener berüchtigt eskalierenden Aktion nämlich, in der sie das Publikum aufgefordert hatte, aus 72 Objekten – darunter eine Peitsche, eine Schere, Blumen, Federn, ein Skalpell und eine mit einer Kugel geladene Pistole – zu wählen, um diese sechs Stunden lang an ihr (oder gegen sie) anzuwenden. Darüber habe sie schon zu oft gesprochen, es langweile sie inzwischen.
Eine Berühmtheit zu werden sollte einem nicht in jungen Jahren passieren, sagt sie, das sei absolut zerstörerisch. Dann beginne man, Drogen zu nehmen und sich für Gott zu halten. Und alles gehe den Bach runter. „Aber ich bin mit 65 eine Berühmtheit geworden. Das ist mir daher völlig egal. Denn ich weiß, dass es nur eine Projektion ist.“
Die immense Kraft von Langzeit-Performances steht im Zentrum ihres Werks. Wenn man etwas herstelle, das nicht nur eine, drei oder vier Stunden dauere, sondern acht Stunden oder gleich drei Monate, dann werde die Kunst zum Leben selbst. Denn es sei unmöglich, diese Art von Energie und Konzentration über einen so langen Zeitraum aufrechtzuerhalten, ohne sein wahres Ich zu zeigen, sagt Abramović. „Man zeigt seine Erschöpfung, seine Verletzlichkeit. Und das schafft einen emotionalen Kontakt zum Publikum – weil wir alle verletzlich sind. Deshalb sind meine Performances so stark. Und sie sind sehr einfach. Das Faszinierende an Langzeit-Performances ist, dass eigentlich nichts passiert. Und trotzdem bleibt das Publikum. Das ist ein echtes Wunder, denn ich gebe Ihnen praktisch nichts. Abramovićs wohl berühmteste Arbeit, „The Artist is Present”, die 2010 im New Yorker Museum of Modern Art über Wochen aufgeführt wurde, ist das beste Beispiel. „Ich sitze dort, acht oder zehn Stunden lang, jeden Tag. Sie wissen, dass ich nicht sprechen werde. Sie wissen, dass ich Ihnen keine Geschichte zu erzählen habe. Es gibt keine Entwicklung, keinen Anfang, kein Ende. Es gibt absolut nichts. Warum bleiben die Menschen? 850.000 Menschen sind zu mir gekommen. Die Leute schliefen vor dem Museum, warteten stundenlang in der Schlange, um mir gegenüberzusitzen. Warum? Das ist die Kraft dieser Energie, die dabei entsteht, eine transformative Energie. Das ist es, was ich erforsche.“
Sie zollt Valie Export („sie hat mich gerettet“) ebenso wie ihrer frühen Galeristin Ursula Krinzinger („ein hochinteressanter Mensch, die sich stets ans Unmögliche gewagt hat, an Rudolf Schwarzkogler, Hermann Nitsch, Günter Brus“) Tribut. In New York und Amsterdam lebt sie. In Trumps USA leben zu müssen sei natürlich grässlich. Sie habe keinen amerikanischen Pass, nur eine Green Card. „Ich habe aber einen niederländischen Pass. Also bin ich sicher. Hoffe ich zumindest. Wissen Sie, Amsterdam ist schön, aber wie eine Postkarte. Da ist keine Energie. Alles ist zu einfach. Amerika ist schwierig, und Künstler brauchen eben schwierige Orte.“ Kunst, sagt man, entspringe dem Leiden. Aber sie sei glücklich. Und könne trotzdem neue Werke schaffen. „Deshalb bin ich etwas verwirrt. Warum kann ich immer noch aus diesem Gemütszustand heraus arbeiten?“
Die Kompromisslosigkeit sei ein entscheidender Wesenszug ihrer Person: „Ich lüge nicht. Als ich meine Autobiografie veröffentlicht hatte, hörten alle meine Freunde auf, mit mir zu reden. Sie sagten: ,Wie kannst du so etwas schreiben?‘ Ich sagte: ,Ich mag keine Geheimnisse.‘ Also habe ich das Buch meinen Freunden und Feinden gewidmet. Die Freunde wurden zu Feinden, die Feinde zu Freunden. Ich mache keine Kompromisse, insbesondere nicht, was den Kunstmarkt betrifft. Mich interessiert, wie man den menschlichen Geist beflügeln kann. In Glastonbury trat ich mit sieben Minuten Stille auf. Wer sonst schafft es, 250.000 Menschen bei einem Musikfestival absolut still zu machen. Das habe ich in 60 Jahren über Energie gelernt.“
Unlängst habe sie der chilenische Filmemacher Pablo Larraín angerufen. „Er hat Filme über drei Frauen gedreht, über Diana Spencer, Jacqueline Kennedy und Maria Callas. Ich werde seine vierte.“ Diesmal aber soll es ein Dokumentarfilm werden, mit allerdings besonderem Konzept: Larraín drehe jeden wichtigen Moment ihres Lebens mit, man arbeite bereits daran. Und am Ende werde er auch ihre Beerdigung filmen. Das Werk werde also erst nach Ihrem Tod Premiere haben, „ich werde ihn wohl nie sehen.“ Den Vertrag dazu habe sie unterschrieben. Aber dann habe sie eine sehr wichtige Frage gestellt: Was ist, wenn Larraín zuerst stirbt? „Er mag zwar erst 49 sein. Aber man weiß ja nie.“ Und so habe man einen weiteren Vertrag geschlossen: Wenn er zuerst sterbe, filme sie sein Begräbnis – und zeige den Film. In Amsterdam und New York habe man bereits gedreht, nur Belgrad vermeide sie ständig. „Aber im März nächsten Jahres fahre ich dorthin. Ich muss auch diesen für mich schmerzhaftesten Teil filmen.“
Und dann erzählt sie noch ihren Lieblingswitz („Ich liebe Witze, aber heutzutage darf man keine Witze über Juden oder Mexikaner mehr erzählen, das ist lächerlich.") Also: „Putin hält einen Vortrag an einer sibirischen Volksschule. Der kleine Sascha hebt beide Hände und sagt: ,Lieber Putin, ich habe zwei Fragen an Sie. Erstens: Warum marschieren Sie in die Ukraine ein? Zweitens: Warum töten Sie ukrainische Menschen?‘ In diesem Moment läutet die Pausenglocke, die Kinder gehen spielen, kommen zurück, es geht weiter. Putin fragt: „Hat noch jemand Fragen?‘ Da hebt der kleine Aljoscha beide Hände und sagt: „Herr Putin, ich habe vier Fragen. Erstens: Warum marschieren Sie in die Ukraine ein? Zweitens: Warum töten Sie ukrainische Menschen? Drittens: Warum hat die Glocke zu früh geläutet? Und viertens: Wo ist Sascha?“
Ein Witz, sagt Abramović, öffne die Herzen – „und dann konfrontierst du die Menschen mit der harten Wahrheit. Funktioniert immer.“ Beim Rausgehen sagt sie noch, dass sie sich wie nach einer Therapiesitzung fühle, „wie Dr. Abramović. Möchte jemand vielleicht noch einen emotionalen Rat? Denn gebrochene Herzen sind mein absolutes Lieblingsgebiet.“