Die Schriftstellerin Lili Körber
Bild anzeigen

Eine Entdeckung in vielerlei Hinsicht: Lili Körbers Exilroman „Abschied von gestern“

Die Schriftstellerin Lili Körber war frühe Feministin und Weltreisende, Antifaschistin und Kommunistin. Ihr nun erstmals veröffentlichter Exilroman „Abschied von gestern“ erinnert an diese Jahrhundertfigur.

Drucken

Schriftgröße

Verlorenheit, die aus allen Dingen spricht. Genia Schicht, eine aus Wien vor den Nazis geflohene Pianistin, steht an der Fleischtheke einer New Yorker Supermarktkette und weiß nicht, wie man Schweinskoteletts in Amerika nennt. Das Englisch von Ehemann Robert, einem Arzt ohne gültige Approbation, dem in Europa das Konzentrationslager drohte, ist so schlecht, dass er schon gar nicht erklären kann, was er will, und noch weniger verstehen, was die anderen sagen. Während Berge an Schnitzel, Schinken, Würsten und Hühnern in die Einkaufswagen der Einheimischen geladen werden, schleichen die Schichts mit ihren jämmerlichen Einkäufen davon.

„Arme, verängstigte Wesen ohne festen Grund unter den Füßen“, schreibt die Autorin Lili Körber (1897–1982) in ihrem nun erstmals veröffentlichten, in New York angesiedelten Exilroman „Abschied von gestern“, der kurz nach Kriegsende entstand. Körber selbst berichtete in einem mit „Amerika, Amerika“ überschriebenen Gedicht vom Ohnmachtsgefühl und der Zerrissenheit der Exilanten: „Ich sitze zwischen zwei Stühlen, / Der alten und neuen Welt, / Dort bin ich mit meinen Gefühlen, / Und hier verdien ich mein Geld.“

„Abschied von gestern“ begleitet das Ehepaar Schicht – und viele andere in der 76. Straße zwischen Columbus und Amsterdam Avenue kriegsbedingt Gestrandete – von 1941 bis Sommer 1943. „Abschied von gestern“ ist eine Entdeckung, in vielerlei Hinsicht: Das Buch erinnert an eine nahezu vergessene Autorin – und gewährt als literarische Zeitkapsel und bemerkenswertes Prosakammerspiel fesselnde Einblicke in den beschwerlichen Alltag der damals in New York unfreiwillig Exilierten. „Dazu dokumentieren die im Nachlass von Körber erhaltenen Lebensdokumente, Korrespondenzen und Selbstaussagen, dass viel von dem, was im Roman geschieht und beschrieben wird, was für seinen Plot und seine Dramaturgie entscheidend ist, tatsächlich so gewesen ist“, ergänzt der Verleger und „Abschied von gestern“-Herausgeber Peter Graf. Körber schrieb den Roman ursprünglich auf Englisch. „Man merkt ,Farewell to Yesterday‘ an, dass Körber keine Muttersprachlerin war“, bemerkt Übersetzerin Beate Swoboda: „Mit ihrer faszinierenden, fast kinematografischen Erzählkraft machte sie das spielend wett.“

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.