
Der ungarische Schriftsteller Laszlo Krasznahorkai
ABD0017_20251009 - SALZBURG - ÖSTERREICH: ++ ARCHIVBILD ++ Der ungarische Schriftsteller Laszlo Krasznahorkai am 26. Juli 2021, anlässlich der Überreichung des "Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur 2021" in Salzburg. Der Literaturnobelpreis 2025 geht an den 71-jährigen Autor László Krasznahorkai. (ARCHIVBILD VOM 26.7.2021) - FOTO: APA/NEUMAYR/LEO
Literaturnobelpreisträger László Krasznahorkai: Er ist einer der besten. Punktum.
Gut möglich, dass sich die Schwedische Nobelpreisakademie nach Lektüre von „Herscht 07769“ für László Krasznahorkai als Nobelpreisträger für Literatur des Jahres 2025 entschieden hat. Der 71-Jährige werde, urteilten die skandinavischen Literaturrichter, für sein „überwältigendes und visionäres Werk“ geehrt, das inmitten eines „apokalyptischen Terrors die Macht der Kunst“ bekräftige. Überwältigend und visionär ist, um beim Beispiel „Herscht 07769“ zu bleiben, Krasznahorkais Prosa uneingeschränkt: Der im ostdeutschen Thüringen im fiktiven Dorf Kana mit der Postleitzahl 07769 angesiedelte Roman rund um den freundlichen Muskelprotz Florian Herscht kommt über 400 Seiten hinweg ohne Punkt und Komma aus. Eine bezwingende Prosaachterbahnfahrt, losgelöst von jedweder Bremswirkung, in der Herscht Bettelbriefe an die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel schreibt (ohne je eine Antwort zu erhalten), in denen er vergeblich vor den Neonazis in seinem Heimatkaff warnt. Krasznahorkais oft zitierter Satz, der Schalk und radikalen Eigensinn verbindet, lautet: „Nur Gott macht Punkte.“ Krasznahorkai als Nobelpreis-Laureat ist die perfekte Wahl. Punktum. „Mein Ehrgeiz ist es, wenigstens einen perfekten Satz zu schreiben“, sagte er einmal der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Ich habe es wieder und wieder probiert, und mit der Zeit wurden die Sätze immer länger … weil ja auch unser Denken ein endloser stürmischer Prozess ist.“
Noch ein längst klassischer Krasznahorkai-Satz: „Jedes meiner Bücher soll die literarische Landkarte verschieben.“ Er hat etliche Bücher in die Literaturlandschaft entsandt, die mittelschwere tektonische Verwerfungen zur Folge hatten. Krasznahorkai, 2015 mit dem renommierten International Man Booker Prize ausgezeichnet und nach Imre Kertész 2002 der zweite ungarische Literaturnobelpreisträger, hat die Dämonie des allmählichen (dörflichen) Untergehens in grellen Farben an die Wand gemalt: Der Roman „Satanstango“ wurde 1994 nach Krasznahorkais Drehbuch von Regisseur Béla Tarr verfilmt. In „Krieg und Krieg“ schickte der Autor den Archivar und Privatgelehrten Korim aus einer ungarischen Provinzstadt zum Sterben nach New York; im Roman „Baron Wenckheims Rückkehr“ reist der titelgebende Adelige in das Ungarn von heute zurück, eine heruntergekommene, verlassene Welt voller Verlierer. Verrottende Dörfer, Versager, der Wunsch nach dem Exitus, die Monsterschau in „Melancholie des Widerstands“: Krasznahorkais Literatur, dessen Werke in deutscher Übersetzung seit 2010 beim Verlag S. Fischer erscheinen, hinterlässt Spuren, tiefe Risse in den Oberflächen sonstiger Formatprosa-Gefilde. Krasznahorkai sei, heißt es oft, ein „Meister der Apokalypse“. Mitnichten. Er nimmt nur die Gegenwart als Aufmarschgebiet zugleich abstoßender und anziehender Kräfte ernst.
Es hängt, alte Lebensweisheit, irgendwie alles mit allem auf fatale Weise zusammen: Politik, Prosa, Soziales, Asoziales. László Krasznahorkai, der große Autor aus dem kleinen Ort Gyula, der lange in Berlin lebte und inzwischen auch einen deutschen Pass besitzt, hat dafür in seiner Literatur einen so idealen wie radikalen Tummelplatz gefunden.