"Mal richtig abhitlern"

"Mal richtig abhitlern": In Mailand traf sich die neonazistische Black-Metal-Szene

In Mailand traf sich die neonazistische Black-Metal-Szene

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M. fährt sich durch seine langen braunen Haare. Der groß gewachsene Mann mit schwarzer Lederjacke blickt seiner Freundin tief in die Augen und küsst sie. Neben ihnen grölen Dutzende Männer "Sieg Heil!" und strecken ihre rechten Arme in Richtung der Bühne. Das turtelnde Pärchen scheint sich daran nicht zu stören -zufällig gelandet sind sie hier nämlich nicht.

Da in vielen europäischen Ländern (im Unterschied zu Österreich) die Verherrlichung des Nationalsozialismus nicht strafrechtlich verfolgt wird, pilgern heimische Rechtsextremisten gern ins angrenzende Ausland. Am 13. April 2019 gaben sich wieder Hunderte rechtsextreme Metal-Fans in Mailand ein Stelldichein, huldigten dem "Dritten Reich" und verspotteten die Morde des Holocaust. Darunter waren auch einige Österreicher - ein Wiener stand sogar auf der Bühne.

Die Design-Week prägt dieser Tage das Stadtbild Mailands. In der ganzen Stadt werden Möbel und Interieur ausgestellt, die Straßen der Innenstadt sind dem schlechten Wetter zum Trotz voll mit Touristen. Kaum zu erahnen, was sich nur wenige U-Bahn-Stationen vom Zentrum entfernt abspielt. Seit Jahren organisiert die rechtsextreme Szene hier völlig unbehelligt neonazistische Events. Oft bleiben die italienischen Nazis unter sich. Nicht so am vergangenen Wochenende: Aus ganz Europa waren rechtsradikale Metal-Freunde nach Italien gereist, um lustvoll auszuleben, was sie zu Hause nicht dürfen: "mal richtig abhitlern".

Wer politisch bewusst Metal hört, bekommt regelmäßig Auseinandersetzungen über den rechten Rand des Genres mit, über Bands wie die Böhsen Onkelz oder Frei.Wild. Die deutsche Band Rammstein, die mit NS-Andeutungen nur gern provoziert, sorgte mit einem Holocaust-Fantasy-Video erst unlängst für Diskussionsstoff. Im breiten Spektrum des Metal mag Rechtsextremismus ein Randphänomen sein, im Black Metal jedoch sind Antisemitismus und Rassismus ein kaum mehr zu ignorierendes Problem.

Black Metal entstand in den 1980er- Jahren in Skandinavien, provozierte mit Satanismus und Nihilismus, die rechtsradikale Variante dazu Anfang der 1990er- Jahre (siehe Kasten S. 78). Der kreischende Gesang, die polternden Drums und der scheppernde Gitarrensound sind kaum massentauglich. Die dem Black Metal innewohnende Misanthropie und Gewaltverherrlichung bilden einen idealen Nährboden für rechtsextremes Gedankengut. Laut Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) hat sich das musikalische Angebot für die Rechten in den vergangenen Jahrzehnten stark diversifiziert. "Gab es früher vor allem den klassischen Rechtsrock, findet der Neonazi von heute in nahezu jedem Musikgenre entsprechende Produkte vor." Dies diene einerseits zur Rekrutierung von Nachwuchs, andererseits zur Finanzierung neonazistischer Strukturen.

Eine Veranstaltung, bei der dies regelmäßig zelebriert wird, ist das "Hot Shower Festival" in Mailand. Der Titel weckt bewusst Assoziationen mit den nationalsozialistischen Gaskammern. Die Bewerbung des Festivals strotzt nur so vor süffisanten Anspielungen auf den einstigen Naziterror, sei es eine Collage mit einem schwarzen Sportler, der, einem Hinweisschild folgend, in Richtung "Hot Shower" joggt, seien es Comicfiguren, die ihre rechte Hand zum Hitlergruß erheben oder Zeichnungen von Ku-Klux-Klan-Männern in weißem Gewand.

An diesem Festival teilzunehmen, ist nicht besonders schwierig. Über Facebook wird die Veranstaltung offiziell beworben, der konkrete Ort bleibt vorerst geheim. Erst wenige Stunden vor Beginn wird über einen verschlüsselten Chat die Adresse der Veranstaltung bekannt gegeben. Schon Tage zuvor posten die Veranstalter auf ihrem Kanal Bilder mit Hakenkreuzen und antisemitische Sujets. Vor allem die relative Niederschwelligkeit ist das Erfolgsrezept der Neonazi-Veranstaltungen, wie Moritz Eluek, Beobachter der rechten Szene, weiß. Da das "Hot Shower Fest" weniger konspirativ organisiert werde als Konzerte dieser Art in Deutschland oder Österreich, ergebe sich eine Art Eventcharakter, sagt der Korrespondent des "Antifaschistischen Infoblatts". So finden auch Nicht-Insider Zugang zur Szene. Am Eingang zur Via Vincenzo Toffetti Nummer 75, in einem Industrieviertel im Süden Mailands, muss man den Inhalt seiner Tasche zeigen und wird nach Kameras gefragt, denn Fotos oder Filme zu machen, ist hier streng verboten.

Im Inneren der Veranstaltungshalle wird deutlich, warum keine Bilder nach draußen dringen sollen: Hunderte Rechtsextreme zelebrieren zu ohrenbetäubend lautem Black Metal nationalsozialistische Wiederbetätigung. Auf dem Programm stehen acht einschlägige Bands, sie tragen unzweideutige Namen wie "Sturmführer", "Blutkult" und "Gestapo666". Auch "Rostorchester", das Musikprojekt des Wieners Vedran M., ist in der Szene wohlbekannt. M.s Fertigkeit an der Gitarre wird hochgelobt, seine Fähigkeit, Texte zu verfassen, aber selbst von den eigenen Bandkollegen in Zweifel gezogen. Bereits vor Jahren sorgte M. mit seinem Black-Metal-Soloprojekt "Totale Vernichtung" für Aufmerksamkeit - nicht wegen der Musik, sondern allein aufgrund der Texte. Kostprobe: "Bald ist die Zeit gekommen, wenn eure Atmung wieder rasch versagt und ihr bereits in Kürze den Schornstein emporjagt. Dem reinigenden Zyklon folgt ein verkohlter Wind." Damit landete M.s Tonträger 2015 auf dem Index für jugendgefährdende Musik in Deutschland. Laut Szenekenner Eluek ist M.s Band klar positioniert: "Jeder in der Szene weiß, dass da Neonazis an den Instrumenten stehen." Tatsächlich nennt sich Vedran M. selbst "der Stacheldrahtzieher". Werbesujets für seine Alben sind die Baracken und Zäune eines Konzentrationslagers.

Kurz vor 20 Uhr ist es so weit: M. betritt mit hochgeschnürten Stiefeln die Bühne. Seine Haare verdecken den Großteil des Gesichts, konzentriert spielt er die Gitarre. Neben ihm steht Bandkollege Sven B., Sänger von "Rostorchester" und amtsbekannter Neonazi aus der Schweiz. Der deutlich kleinere und ältere Mann hat die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Die Musik ist laut, der Sound schlecht. Mit ihren Bandkollegen heizen M. und B. das Publikum an, das seine Begeisterung weniger mit Applaus als mit schallenden "Sieg Heil!"-Rufen honoriert. Geklatscht wird kaum. Vedran M. verzieht keine Miene. Was ihn hier erwartet, muss der Musiker schon gewusst haben, 2016 war er selbst Besucher des "Hot Shower Festivals". Wie es dort zuging, ließ sich danach auf YouTube verfolgen -bis die Videos, wohl wegen NS-Wiederbetätigung, vom Netz gingen. Unlängst, bei M.s erstem Auftritt in der Schweiz, soll in ähnlichem Stil "gefeiert" worden sein, wie Insider berichten. Links und rechts der Bühne sorgen Securities, die man "Hammerskins" nennt, für Recht und Ordnung - oder was sie dafür halten. Die "Hammerskins Italia" sind erkennbar an ihren einheitlichen Schulteraufnähern: zwei gekreuzte Hämmer vor einem Zahnrad in den Farben Schwarz-Weiß-Rot -die Fahne des "Deutschen Reichs". Die "Hammerskins" sind eine weltweit agierende neonazistische Untergrundorganisation, streng hierarchisch organisiert, und haben sich der "Reinheit der weißen Rasse" verschrieben. Bernhard Weidinger vom DÖW nennt die "Hammerskins" eine Vereinigung mit "extrem hoher Gewaltbereitschaft und vielfach kriminellem Aktivitätenspektrum".

Das Foto-und Filmverbot wird von den Anwesenden unnachgiebig exekutiert. Laut Moritz Eluek kommen Veranstalter von Neonazi-Konzerten in Italien nicht an den "Hammerskins" vorbei. "Das läuft wie bei Schutzgelderpressungen: Wenn du vom Kuchen nichts abgibst, wirst du bedrängt und attackiert." Somit würden die Organisatoren des "Hot Shower Festivals" nicht nur in die eigene Tasche, sondern auch in die einer militanten Neonaziorganisation wirtschaften.

Nur wenige Meter von der Bühne entfernt finden sich Merchandisestände. Hier gibt es neben Tonträgern und bedruckter Kleidung auch Aufnäher und Schmuck. Auffällig daran: Fast jeder Tisch hat seine eigenen Artikel mit Hakenkreuzen. Ein T-Shirt ist, neben der Ansicht des Eingangs zum KZ Auschwitz-Birkenau, mit dem Spruch "Refugees welcome" bedruckt. Hier kann man Bilder von Adolf Hitler und anderen Nazigrößen erwerben, genauso wie neofaschistische Magazine, Fahnen und CDs mit Titeln wie "Rassenhass" oder "Antisemitex". Eine Flagge wird nach dem Auftritt von Vedran M.s Band im Publikum gehisst. Es ist die rote Fahne mit dem Hakenkreuz. Gut 15 Minuten lang tragen Konzertteilnehmer die Fahne durchs Publikum und motivieren die mittlerweile angetrunkene Meute, sich den "Sieg Heil"-Parolen anzuschließen. Die "Hammerskins" schauen zu.

Während solches Verhalten in Österreich empfindliche Strafen nach sich ziehen würde, gibt es in Italien keinerlei Repressalien durch die Behörden. Dem DÖW zufolge wären auch einschlägige Handlungen, die österreichische Staatsbürger im Ausland setzen, von den österreichischen Behörden zu verfolgen, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Vedran M. aber hat mit juristischen Nachspielen nicht zu rechnen. Er selbst wollte, kontaktiert von profil, zu seinen neonazistischen Aktivitäten keine Stellungnahme abgeben.

Unser Autor beschäftigt sich bereits seit Jugendjahren mit extremen Formen des Metal. Nach Mailand reiste er nur im Wissen um das Datum. Der genaue Schauplatz wurde den online registrierten Teilnahmewilligen, auch um Demonstranten fernzuhalten, sehr kurzfristig mitgeteilt.

Weitere Infos:

Überzeugungstäter

Das Netzwerk neonazistischer Black-Metal-Bands ist europaweit aktiv. Verurteilte Mörder spielen darin zentrale Rollen.

In ganz Europa existieren mittlerweile Black-Metal-Bands, die dem Rechtsextremismus respektive einem neonazistischen Umfeld zugeschrieben werden müssen. Am aktivsten ist die Szene in Griechenland, Frankreich und der Ukraine, in Deutschland, Finnland und Italien.

Der Begründer des NSBM ("National Socialist Black Metal") heißt Kristian Vikernes, 46, er ist Mastermind der Band "Burzum". Nach zahlreichen Brandstiftungen und einem Mord, den er 1993 an einem Musikerkollegen verübte, saß Vikernes bis 2009 in Norwegen in Haft. Dort radikalisierte er sich politisch, was seinen Kultstatus in der Szene weiter beförderte. Im Zentrum der aktuellen rechtextremen Szene im europäischen Black Metal steht allerdings ein Deutscher, Hendrik Möbus, 43. Er beging in seinen Jugendjahren im deutschen Thüringen ebenfalls einen Mord, bekannt geworden als der "Satansmord von Sondershausen". Über seine Tätigkeit als Chef eines Plattenlabels sowie als Sänger der Band "Absurd" pflegt Möbus weltweite Kontakte. So wurde etwa der Ticketverkauf des "Hot Shower Festivals" über Möbus' Plattenlabel abgewickelt. Beim "Hot Shower" werden nicht zufällig viele jener Bands, die bei Möbus unter Vertrag stehen, eingeladen - insofern ist er nicht nur Überzeugungstäter, sondern auch Geschäftsmann. Darüber hinaus pflegt er politische Kontakte von der ultranationalistischen NPD bis hin zum paramilitärisch-neonazistischen "Regiment Asow" in die Ukraine.

Dort findet sich das zweite Zentrum des NSBM-Netzwerks: Unter dem Schutz des - dem ukrainischen Innenminister unterstellten -"Bataillon Asow" findet alljährlich "Åsgårdsrei" statt, das größte neofaschistische Black-Metal-Festival Europas im Herzen Kiews. Kopf und Sprachrohr der ukrainischen Szene ist der 34-jährige russische Staatsbürger Alexey Levkin, der wegen des Verdachts des Doppelmordes ebenfalls bereits in Haft saß. Levkin ist Sänger der Black-Metal-Band "M8l8th". Die Zahlenkombination "88" im Bandnamen steht für "Heil Hitler". Mit seinem Laden in der Kiewer Innenstadt, einem Label samt Onlinehandel und den Einnahmen am "Åsgårdsrei" hat Levkin auch wirtschaftlich Anteil an der europaweit vernetzten NS-Metal-Szene.