#MeToo in der heimischen Filmbranche: „Diese Schweine stellen“

Sind Veranstaltungen wie der Österreichische Filmpreis „ein Jagdgrund für manche Männer“? Immer neue Beschuldigungen heizen die Debatte an.

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20 Jahre sei sie alt, erklärte die Berliner Schauspielerin Luna Jordan von der Bühne aus, als sie am Donnerstagabend bei der Filmpreis-Gala in Grafenegg als beste Nebendarstellerin (für ihre wütende Performance in dem Wiener Jugendgefängnisfilm „Fuchs im Bau“) ausgezeichnet wurde – und bereits viermal sei sie zum Opfer sexualisierter Gewalt an Filmsets und Theaterbühnen geworden. Der letzte Vorfall liege wenige Wochen zurück. „Das sollte nicht normal sein, ist es aber. Lasst uns gemeinsam das Schweigen brechen und diese Schweine stellen.“ Mit Standing Ovations bekundete das Publikum seine Solidarität.

Der Mut einer jungen Künstlerin, sich selbst als von sexuellen Übergriffen mehrfach Betroffene zu outen, ist umso bemerkenswerter, als die meisten Opfer, die sich in dieser Debatte neuerdings zu Wort gemeldet haben, den sicheren Raum der Anonymität vorziehen. Seit zwei Wochen sieht sich die Filmbranche von einem schnell hochkochenden Eklat aufgestört: Der Vorwurf des systematischen und normalisierten Machtmissbrauchs steht im Raum. Die Regisseurin Katharina Mückstein brachte den Stein am 18. Juni mit einem lakonischen Instagram-Posting ins Rollen: „Ein Täter“ werde „heute Abend auf der Bühne stehen und bejubelt werden“, schrieb sie und wies damit offenbar auf einen – aus rechtlichen Gründen – namenlos bleibenden Mitwirkenden an einer künstlerischen Produktion hin, der sexueller Übergriffe beschuldigt werde.

Weite Teile der Branche bezogen dieses von Mückstein bewusst vage gehaltene Posting dann aber auf jene Filmpremiere, die am Abend des 18. Juni im Wiener Gartenbaukino stattfand: Marie Kreutzer, Regisseurin von „Corsage“, stellt auf profil-Anfrage fest, dass es „schwer“ sei, auf solche Anschuldigungen adäquat zu reagieren, „da es sich am Ende des Tages ja um Gerüchte handelt. Ich würde niemals auf Basis von Gerüchten einen Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin der Bühne verweisen oder ausladen, das wäre letztklassig; wir leben in einem Rechtsstaat, und wenn es gegen jemanden weder konkrete Vorwürfe noch ein Verfahren gibt, würde ich mich, wenn ich darauf mit Konsequenzen reagierte, als Richterin aufspielen. Aber die bin ich nicht, ebenso wenig wie Katharina.“

Die Gerüchte über einen ihrer Schauspieler habe Kreutzer „von ihm selbst schon vor langer Zeit erfahren“ – allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem an „Corsage“ bereits gearbeitet wurde. „Es gibt weder konkrete Vorwürfe noch Betroffene, die sich an Stellen gewandt haben, um dort etwas Konkretes zu artikulieren. Das macht den Fall so problematisch. Auch wenn ich sehr gut mit ihm gearbeitet habe und ihn gerne mag, kann ich für ihn nicht die Hand ins Feuer legen. Ich überprüfe nicht den Leumund meiner DarstellerInnen oder meines Teams. Was in deren Vergangenheit liegt, kann und will ich nicht lückenlos recherchieren. Ich kann nur darauf drängen, offizielle Anlaufstellen miteinzubinden und das alles eben nicht nur unter KollegInnen und Gleichgesinnten auszutragen. Man muss Schritte einleiten, nicht nur hinter vorgehaltener Hand darüber reden.“ Sie wisse etwa, „dass es bei Anlauf- und Beratungsstellen wie #we_do! durchaus Meldungen über diesen Mann gab“, so Kreutzer, „die aber wieder nur von Leuten kamen, die weder selbst Betroffene waren noch etwas direkt zu bezeugen hatten.“

Sie selbst habe während ihrer Ausbildung an der Wiener Filmakademie Sexismus ebenfalls „massiv erlebt“. Man sollte bei den Fakten bleiben, sagt Marie Kreutzer noch, denn man kann mit der Weitergabe von Gerüchten Menschen schwer beschädigen; ich schätze Katharina Mückstein extrem für ihre Haltung und ihr filmpolitisches Engagement, wir stehen sicher auf der gleichen Seite. Ich hätte aber bestimmt einen anderen Weg gewählt.“

Mückstein hatte jedoch nicht nur einen Einzelfall im Visier, sondern das ganze vergiftete System: In der hiesigen Filmszene finden Machtmissbrauch, Grenzüberschreitung und Belästigung offenbar immer noch in großem Stil statt. Mit fünf Jahren Verspätung hat #MeToo also auch Österreich erreicht. Denn Mücksteins offene Schilderungen ihrer eigenen Sexismus-Erfahrungen beantworteten Hunderte Frauen mit grauenerregenden Erlebnisberichten aus der Branche: Von Stalking, Körperanspielungen, entwürdigenden Castings und versuchter Vergewaltigung ist darin die Rede. Einige dieser Schilderungen, natürlich anonymisiert, veröffentlichte Mückstein auf ihrem Instagram-Konto. Seither hat sich der mediale Aufschrei gegen den ganz alltäglichen Frauenhass zu einem regelrechten Orkan entwickelt.

Um den Elefanten im Raum kam man daher beim Österreichischen Filmpreis 2022, der mit dem Triumphzug eines zweiten Gefängnisfilms, Sebastian Meises „Große Freiheit“ endete, nicht herum. Mit einem Statement hatte das Präsidentschafts-Duo der Akademie des Österreichischen Films den Abend eingeleitet: „Sexualisierter Machtmissbrauch ist nicht nur ein Problem unserer Branche, sondern ein Problem unserer Gesellschaft. (…) Der Arbeitsplatz Film und auch die Ausbildungsstätten müssen endlich für alle angstfrei werden. Nur gemeinsam können wir Machtmissbrauch, Sexismus und Diskriminierung beenden. Dazu gehören auch, wenn es nötig ist, arbeitsrechtliche und juristische Schritte.“

„All Together Now“ lautete das Motto der Veranstaltung, aber nicht alle waren da. Mückstein selbst ließ via Social Media wissen, dass sie vorgehabt hatte, im Rahmen des Filmpreises zu #MeToo eine Rede zu halten, „aber man wollte mir die Bühne nicht geben“. Der Vorstand der Akademie verteidigte diese Entscheidung so: Man habe „beschlossen, das #MeToo-Thema nicht durch eine Person, die nicht Teil der Akademie ist, ansprechen zu lassen, sondern hier proaktiv eine eigene klare Haltung zu deklarieren.“ Man schweige nichts tot, sei „nur der Ansicht, dass dieses für alle relevante Thema nicht nur von einer Person in der Öffentlichkeit vertreten werden kann“.

Man könne jedoch, postete Mückstein noch, „angesichts der Geschehnisse der letzten Tage nicht zu Business as usual übergehen und ,mit allen‘ einen netten Abend haben“. Sie schloss eine Warnung an: Wer den Filmpreis besuche, möge aufpassen – „auf euch und eure Freund*innen“. Denn wie jede Veranstaltung „in unserer ,Szene‘“ sei dies kein „safe Space, ganz im Gegenteil“: Es sei „ein Jagdgrund für manche Männer“.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.