Michael Köhlmeier: "Der Kanzler soll uns nicht für dumm verkaufen"

Der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier sorgte im Mai dieses Jahres mit seiner Rede in der Wiener Hofburg für heftige Debatten. Ein Gespräch über Sebastian Kurz als Wiedergänger von Kaiser Franz Joseph und den Umbruch als Konstante der Weltgeschichte.

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profil: Ihre Rede im Mai hob an mit den Worten: "Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle." Wäre es besser gewesen, Sie hätten sich dumm gestellt? Köhlmeier: Ich würde keinen Beistrich ändern. Die positiven Reaktionen waren überwältigend. Ein einziger Leser schickte mir zwei meiner Bücher zurück, weil er mit der Rede nicht einverstanden war. Zwar teilte er meine Kritik an der FPÖ, aber nicht jene an Kanzler Kurz.

profil: Viele lobten Ihren Mut. Köhlmeier: Das war doch kein Mut! Das habe ich damals schon nicht verstanden. In Österreich gilt es als mutig, wenn man seine Meinung öffentlich artikuliert. Mut setzt aber ein gewisses Risiko voraus. Mir war zuvor nicht zu Ohren gekommen, dass Burschenschafter außerhalb des Saals mit ihren Säbeln mein Gesicht zerschlagen wollten. Ich hoffe, dass ich nie in die Situation kommen werde, Mut zeigen zu müssen. Ich bin kein Held. Man kann von niemandem verlangen, einer zu sein.

profil: Eine Passage Ihrer Rede lautete: "Sie wissen doch, dass es auch damals solche gegeben hat, die sich damit brüsteten, Fluchtrouten geschlossen zu haben." Sebastian Kurz sah darin einen unzulässigen Vergleich mit dem Nationalsozialismus. Köhlmeier: Man darf vom Bundeskanzler erwarten, dass er in der Geschichte blättert. Hätte Kurz das getan, wüsste er um die Konferenz von Évian: 1938 diskutierte die Staatengemeinschaft die Verteilung der ansteigenden Flüchtlingszahlen von Juden aus Deutschland und Österreich. Sämtliche Delegierte brüsteten sich anschließend in ihren jeweiligen Ländern damit, dass kein einziger Flüchtling aufgenommen werde. Ein Blatt der Schande - nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt!

Der Kanzler soll uns gefälligst nicht für dumm verkaufen. Und wir sollen uns nicht dumm stellen.

profil: Hat Kurz das Gespräch mit Ihnen gesucht? Köhlmeier: Nie. Er hätte sich früher überlegen müssen, während des Wahlkampfs einen einzigen Slogan vor sich herzutragen: "Ich habe die Westbalkanroute geschlossen!" Kurz weiß selbst, jeder in der ÖVP und ganz Österreich weiß, dass damit nur Ressentiments geschürt wurden. Der Kanzler soll uns gefälligst nicht für dumm verkaufen. Und wir sollen uns nicht dumm stellen.

profil: Die Rede im Mai dauerte sechs Minuten. Die Nachbeben waren noch Wochen später spürbar. Köhlmeier: An Breitenwirkung habe ich beim Schreiben keine Sekunde lang gedacht. Dass die Rede ein Schlag ins Gesicht vieler FPÖ-Spitzenfunktionäre sein werde, die im Podium saßen, war mir dagegen früh bewusst. Im Rahmen einer solchen Gedenkfeier erwartet man von einem Redner den habituellen "Wehret den Anfängen!"-Sermon. Es hat aber schon fast etwas Zynisches, wenn man unaufhörlich das ewig Gute wiederholt, wenn man sich in solch einem Rahmen hinstellt und deklamiert: "Nie wieder Auschwitz!" Genauso könnte ich rufen: "Ich bin der Meinung, der Mensch ist gut. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!" Nur Shakespeares Richard III. beschließt, ein böser Mensch zu werden.

profil: Ein letztes Zitat aus Ihrer Rede im Mai: "Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan." Seitdem kursierte ein unsägliches FPÖ-Video, in dem Muslime verächtlich gemacht wurden, und Strache freute sich in einem Facebook-Eintrag, dass auf einem Wiener Weihnachtsmarkt statt Plastikzelten, die im Vorjahr einer "muslimischen Zeltstadt" geglichen hätten, wieder Holzhütten zum Einsatz kämen. Sind das jene kleinen Schritte, von denen Sie sprachen? Köhlmeier: Ja. Wegen Holzhütten auf einem Weihnachtsmarkt aber die große Empörung führen? Dann wird man zu Don Quijote und irgendwann zu einer lächerlichen Figur. Wenn man aber nichts sagt, pflanzt sich das Verunglimpfen und Verleumden immer weiter fort. Zehn kleine Schritte addiert sind ein großer. Auf diesen Mechanismus kann sich Strache seit Jahren verlassen: Man steckt in der Quijote-Falle. Das ist zugleich das Teuflische daran, weil man sich natürlich jedes Mal hätte mit Nachdruck empören müssen - sei es über Holzhütten-Einträge oder Videos, in denen Menschen islamischer Herkunft kollektiv herabgewürdigt werden.

profil: Vizekanzler Strache hatte mit dem Video "keine Freude". Reicht das nicht als Entschuldigung? Köhlmeier: Man kennt das Wortarsenal: Offene rassistische Ausrutscher in Wahlkämpfen werden damit erklärt, dass man eben Ecken und Kanten zeigen müsse. In der Tagespolitik wird ein rassistisches Video zu einem lässlichen Fehler deklariert und damit entschuldigt, dass eben der Narrensaum der Partei hier am Werk gewesen sei. Das Ritual der scheinbaren Distanzierung läuft ab und beginnt anderntags von vorne.

profil: Was bezweckt die Regierung mit dem geplanten Kopftuchverbot? Köhlmeier: Schon wieder Don Quijote! Soll ich wegen eines Stück Stoffs den Panzer der Empörung auffahren? In Wahrheit will man uns zwingen, uns dumm zu stellen: Wir sollen glauben, es gehe Türkis und Blau tatsächlich um die Rechte der Frauen. Tatsächlich zielt diese Gesetzgebung, die notfalls über eine Verfassungsänderung erfolgt, auf den Islam und sonst nichts.

profil: In Niederösterreich versuchte unlängst ein FPÖ-Funktionär, das Schächten einzuschränken. Ein weiterer Versuch, den Islam zu schmähen? Köhlmeier: Kurz und Strache würden nie öffentlich bekennen, gegen den Islam zu sein. Deshalb verstecken sie ihre wahren Gründe hinter Forderungen, die eine Mehrheit unhinterfragt für richtig und gut halten kann. Kein Mensch ist für Tierquälerei. Einem Tier den Hals aufzuschneiden und es zum Ausbluten verkehrt herum aufzuhängen, wie es beim Schächten passiert, empfinden viele als empörend. Dass das Tier jedoch mit einem scharf geschliffenen und schartenlosen Messer im Augenblick des Schlachtens nahezu schmerzfrei getötet wird, wollen sie nicht wissen. Es reicht, wenn das Schächten wie Tierquälerei wirkt.

profil: Wo verstecken sich in diesem Fall die wahren politischen Absichten? Köhlmeier: Man schreit nach Tierschutz und will das Schächten einschränken. In Wahrheit handelt es sich dabei aber um Lüge. Man greift ins Herz des islamischen Glaubens, wenn man das Schächten radikal eingrenzen will. Die scheinheilige Frage dazu lautet: "Bist du etwa dafür, dass einem Tier der Hals durchgeschnitten wird?" Es geht aber weder um Tier- noch um Frauenrechte, sondern immer nur darum, Misstrauen und Schonungslosigkeit gegen das Feindbild Islam zu schüren. Nach vielen kleinen Schritten kommt vielleicht irgendwann der Punkt, an dem islamische Symbole ohne viel Federlesens verboten werden können.

Kurz verlässt sich darauf, dass der Widerstand bei den Wiener Donnerstagsdemonstrationen und den Vorarlberger Sonntagsdemos bald wegen Ermüdung in sich zusammenfallen wird.

profil: In Ihrer Heimatgemeinde Hohenems wird seit Wochen gegen die Asylpolitik der Bundesregierung demonstriert. Beeindruckt der Aufstand im Westen den Kanzler im Osten? Köhlmeier: Die ÖVP hat aus ihrer Geschichte heraus Angst vor der Straße: Wolfgang Schüssel schlich anno 2000 unterirdisch zur Angelobung, auch wenn niemand auf dem Ballhausplatz ein Ei nach ihm geworfen hätte. Die FPÖ dagegen kommt gleichsam aus außerparlamentarischer Richtung: Bei der extremen Rechten - wie der extremen Linken - liegen Stärke und Gefahr auf der Straße. Kurz verlässt sich darauf, dass der Widerstand bei den Wiener Donnerstagsdemonstrationen und den Vorarlberger Sonntagsdemos bald wegen Ermüdung in sich zusammenfallen wird.

Es wundert mich, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine solche Unmenschlichkeit möglich ist.

profil: Der Protest in Vorarlberg entzündete sich auch daran, dass ein bestens integriertes Kind samt Familie überfallsartig abgeschoben wurde. Köhlmeier: Es wundert mich, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine solche Unmenschlichkeit möglich ist. Menschen gehen auf die Straße, weil sie solche menschliche Kälte als beschämend empfinden - weil sie sich für Kurz und seine Regierung schämen.

profil: Die Regierung beging kürzlich mit viel Eigenlob ihren ersten Jahrestag. Welche Lehren ziehen Sie aus der noch jungen Kanzlerschaft von Kurz? Köhlmeier: Seit 2000 habe ich nicht mehr so viel über Politik geredet wie in diesem Jahr. Lange Zeit drehten sich viele Gespräche um eine Frage: Wer ist Sebastian Kurz? Er war für mich nicht zu fassen, was zweifellos eine seiner großen Stärken ist. Kürzlich jedoch hatte ich ein Aha-Erlebnis: Kurz war im Fernsehen vor einem Gemälde mit Kaiser Franz Joseph zu sehen. Kurz ähnelte auf frappierende Weise dem damals noch jungen Kaiser, mit demselben Ausdruck der Geistesabwesenheit im Blick.

profil: Eine böse Unterstellung. Köhlmeier: Ich kann nur aus dem schließen, was er sagt. Ich hörte Kurz noch nie anders reden als in Phrasen. Nie ein Stolpern beim Sprechen, das darauf schließen ließe, dass er während des Redens am Denken ist. Kurz spricht in einer Abfolge vorgefasster Formeln. Zugleich scheint er, wie weiland der Kaiser, vollkommen die Situation zu verkennen, in der er steckt. Ein Inbild vollkommener Überforderung.

Kurz weiß nicht im Geringsten, was er anrichtet, wenn Österreichs Regierung den UN-Migrationspakt ablehnt

profil: Kurz ist als Kanzler überlastet? Köhlmeier: Kurz weiß nicht im Geringsten, was er anrichtet, wenn Österreichs Regierung den UN-Migrationspakt ablehnt - den Kurz selbst eingestandenermaßen nicht ausgeschlagen hätte, sondern nur deshalb vereitelte, um die FPÖ im Zaum zu halten. Der Kaiser kleidete das Gefühl permanenter Überforderung in die nichtssagende Floskel "Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut." Kurz rechtfertigte seine Ablehnung des Migrationspakts mit Sätzen aus dem überschaubaren Feld vorgefertigter Formeln. Aus der Wahl der Worte, aus dem, was Gesicht und Gesten des Kanzlers aussenden, kann man auf eine fast schon kataklystische Überforderung schließen. Er weiß nicht, was er im Nachgeben der FPÖ gegenüber europamäßig aufs Spiel setzt. Europa aufs Spiel zu setzen, wäre aber die größte Katastrophe des 21. Jahrhunderts.

profil: Kann eine gewisse Unbekümmertheit in der Politik nicht auch von Vorteil sein? Köhlmeier: Der Mann, der über den gefrorenen Bodensee reitet, ist fröhlichen Mutes, weil er nicht weiß, dass er auf Eis dahinjagt. Wieder auf sicherem Boden, fällt er vor Schreck tot vom Pferd. Man traut sich mehr und ist offener, wenn man sich der Gefahr nicht bewusst ist. Das mag sein. Ob das aber eine gute Voraussetzung in Zeiten ist, in denen Europa auf dem Spiel steht, wage ich zu bezweifeln.

Für die Rechten ist die EU als Vehikel ideal, weil sie in der Staatengemeinschaft einen Sündenbock haben

profil: Kurz hat sich wiederholt zur Europäischen Union bekannt. Köhlmeier: Für die Rechten ist die EU als Vehikel ideal, weil sie in der Staatengemeinschaft einen Sündenbock haben, auf den sie alle ihre Fehler abschieben können. Kurz weiß nicht, was alles zur Disposition steht, wenn er auf der Klaviatur der rechten Populisten munter mitspielt. Um Kanzler zu bleiben, packelt er mit der Schmuddelpartie von der FPÖ. Er lässt seinem Koalitionspartner so gut wie alles durchgehen, kritisiert diesen selten mit eisigem Blick - und hat angeordnet, dass nach außen hin in der Koalition nicht mehr gestritten wird.

profil: Die Bevölkerung wünsche keinen Streit, argumentiert die Regierung. Köhlmeier: Was heißt denn das? Haben Rot und Schwarz im Parlament miteinander gerauft? Wurden Ohrfeigen verteilt? Parlament kommt vom italienischen parlare: reden. Die einen vertraten diese, die anderen jene Meinung im Streit unterschiedlicher Absichten. Parlamentarismus heißt, sich auseinanderzusetzen. Nicht einig zu sein, aber einen Kompromiss zu finden, ist eine der größten Erfindungen der Menschheit überhaupt. Wenn wir dagegen sind, dass in der Politik geredet und gestritten wird, schaffen wir zwangsläufig das Parlament ab. Dann driften wir in Richtung Diktatur, in der scheinbar viel gearbeitet und wenig geredet wird.

profil: Die Regierung spricht vom "rotweiß-roten Reformzug". Köhlmeier: Dahinter steckt die Sehnsucht nach dem guten Diktator: Wenn Chinas Staatspräsident Xi Jinping heute Umweltschutz beschließt, fängt der Umweltschutz morgen an - und wer könnte gegen Umweltschutz sein? Wenn China allerdings heute beschließt, die Todesstrafe auszudehnen, rollen morgen Köpfe. Den in Österreich seit Jahrzehnten gewachsenen Prozess, Politik mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft abzustimmen, will diese Regierung fahrlässig verkürzen.

Die US-Demokratie hält Donald Trump aus, und die unsere hält Blau-Türkis aus.

profil: Eine Frage aus dem Gedenkredenbaukasten: "Ist unsere Demokratie in Gefahr?" Köhlmeier: Die US-Demokratie hält Donald Trump aus, und die unsere hält Blau-Türkis aus. Demokratie stellt man sich offenbar als ein Haus vor, in dem wüste Partys gefeiert werden -bis dieses windschiefe Gebäude völlig auseinanderbricht. In Österreich herrscht jedoch ein reifes demokratisches Bewusstsein, das via parlamentarische und zivilgesellschaftliche Opposition gegen jede antidemokratische Maßnahme von Blau-Türkis aufsteht. Unsere Demokratie ist nicht deshalb gefestigt, weil an der Spitze gute Demokraten stünden, sondern allein deshalb, weil die Zivilgesellschaft den illiberalen Demokraten auf die Finger schaut.

profil: Dennoch beklagen Beobachter den schleichenden Demokratieabbau im Land. Köhlmeier: Gesetze werden nicht mehr lang und streitend diskutiert, sondern von Machern am Parlament vorbei manövriert. Tag für Tag werden, in feinen Schnitten, demokratische Rechte und Gepflogenheiten eliminiert. Wenn man bestimmten Kräften innerhalb der FPÖ freien Lauf ließe, sähe die Sache tatsächlich zappenduster aus. Dann wäre es vorbei mit jeder Form von liberaler Demokratie, wenn nicht gar jeder Form von Demokratie. Es wäre dann auch nicht ausgeschlossen, dass wir in fünf Jahren dastünden und bass erstaunt feststellten: Wir haben die Demokratie auf dem Weg verloren und gar nicht gemerkt, wo und wann es passiert ist.

profil: Wie erklären Sie sich die überwältigenden Beliebtheitswerte des Kanzlers in sämtlichen Umfragen? Köhlmeier: Offensichtlich spricht Kurz sehr viele an. Er muss also ein wohliges, warmes Gefühl vermitteln. Wer das bezweifelt, verschließt die Augen. In Österreich gibt es die lange Tradition des Untertanenbewusstseins - verkörpert aber nicht von jenem Untertan, der die Faust in der Hosentasche ballt, sondern von jenem, der ein angenehmes Gefühl dabei empfindet, Untertan zu sein. Dieses Gefühl hat in Österreich schon lange kein Politiker mehr ausgelöst. Menschen, die im Untertanensein geübt sind, müssen daher zwangsläufig das Gefühl entwickeln, Kurz sei begnadet. Er ist auf dem Weg der Demokratie Kanzler geworden, hinter ihm steckt aber mehr als nur die Abgabe einer Stimme in der Wahlkabine.

profil: Er kann also doch übers Wasser wandeln, wie viele seiner Parteigänger zu versichern scheinen? Köhlmeier: In der Monarchie war es gleichgültig, ob ein Monarch simplen Gemüts war. Ferdinand der Gütige erhielt diesen Namen, weil er eher einfach gestrickt schien. Wie er persönlich und charakterlich beschaffen war, darüber sah der liebe Gott gnädig hinweg. Bei Kurz schleicht sich ebenfalls der Verdacht ein, er müsse nicht allzu viel mitbringen, weil auch bei ihm die Gnade von oben komme.

profil: Brecht dichtete, dass der "Hass gegen die Niedrigkeit" auch die eigenen "Züge" verzerre. Kann zu viel Beschäftigung mit der Politik schaden? Köhlmeier: Hass schädigt und verursacht am Abend Muskelkater im Kiefer. Hass hat immer einen Selbstlauf, weil er sich vom Objekt des Hasses emanzipiert. Ich hasse weder Kurz noch Strache - im Gegenteil: Ein Abend ohne Politik am Wirtshaustisch könnte mit Strache eine Gaudi sein, im Fall von Kurz wäre das Zusammensitzen wohl eher langweilig. Als Schriftsteller lasse ich mich von den Widrigkeiten der Welt nie so weit ablenken, dass die schiere Freude, die mir das Schreiben vermittelt, verloren gehen könnte. Da müsste sich all die Niedrigkeit sehr aufbäumen, um zu obsiegen.

Umbrüche machen bange. Wahrhaft furchteinflößend ist jedoch das Gegenteil davon: die Langeweile.

profil: Die Chinesen kennen den Fluch "Mögest du in interessanten Zeiten leben". Klimawandel, Trump, Brexit, die Erosion des Wahrheitsbegriffs, der grassierende Rechtspopulismus: "Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang", wusste schon Nestroy. Köhlmeier: Umbrüche machen bange. Wahrhaft furchteinflößend ist jedoch das Gegenteil davon: die Langeweile. Zur Zeit des sogenannten Waldsterbens herrschte düstere Katastrophenstimmung. Im Kalten Krieg war das Bewusstsein dauerpräsent, man könne die Welt mit dem Atombombenarsenal mindestens 14 Mal in Schutt und Asche legen. Der erste Satz in Grimmelshausens "Simplicius Simplicissimus" von 1668 lautet: "Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubt, dass es die letzte sei) " Soweit ich mich zurückerinnern kann, herrschte Umbruchszeit. Vor Jahrzehnten führte mich ein Bekannter in seinen Hobbykeller, den er sich als Mittzwanziger bereits für die anstehende Pension eingerichtet hatte - für die lange Weile bis zum Ruhestand. Das ist der wahre Horror.

An Michael Köhlmeier, 69, war in diesem Jahr kein Vorbeikommen. Neben seinem neuen Roman "Bruder und Schwester Lenobel" (Hanser), einem Buch über "das Wunder des Lesens und Erzählens" ("Die Zeit"), hallte eine Rede des Schriftstellers im Mai durch das ganze Land: In der Wiener Hofburg führte der Autor anlässlich des Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus die regierende FPÖ vor und kritisierte Bundeskanzler Sebastian Kurz scharf für dessen restriktive Asylpolitik. In dem soeben publizierten Bändchen "Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle" (dtv) sind neben der Hofburg-Rede die gesammelten öffentlichen Interventionen des Schriftstellers aus den vergangenen Jahren versammelt. Ein Gespräch in dem mit Büchern vollgestopften Arbeitszimmer Köhlmeiers in Hohenems, der mit seiner Frau, der Schriftstellerin Monika Helfer, in Vorarlberg und Wien lebt und arbeitet.

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Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.