Die Nerven

Neue Alben: Die Nerven - "Fake"

profil unerhört bespricht die wichtigsten Alben der Woche.

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Die Nerven: Fake (Glitterhouse)

„Lass alles los / Gib alles frei / Nichts bleibt“, singen Die Nerven und erkämpfen sich ein wenig Luft im täglichen Wettstreit um die besten Alternativen Fakten. Die gesellschaftliche und politische Desorientierung, resultierend aus einem 24/7/365-Propaganda-Trump-PornHub-4Chan-Newsfeed, ist der große rote Faden, der sich durch die zwölf neuen Die-Nerven-Songs zieht.

Nach „Fluidum“, „Fun“ und „Out“ kommt nun „Fake“. Seit Jahren gehören die Stuttgarter Postpunk-Zerstreuer neben Isolation Berlin zu den spannendsten deutschsprachigen Rockbands. Musik, die nicht nur aus einer Rockstar-Laune heraus entsteht, sondern von Menschen gemacht wird, die einfach keine andere Wahl haben. „Wo willst du hingehen / Wenn du überall schon warst“, fragen sie in der Singleauskopplung „Niemals“. „Wo gehst du hin / Wenn dich überall was stört“. Der Noise spendet hier Trost, der Lärm gibt Kraft und beruhigt die schwachen Nerven.

Wie die Freunde aus Berlin entwickeln Die Nerven ihre wütende Alltagskunst stetig weiter, laufen vor allem im Livekonzert zur ungebremsten Höchstform auf. Das Stuttgarter Trio legt nun mit ihrem vierten Album ihr Meisterstück vor. Die zwölf neuen „Fake“-Perlen werden hier ausgehend von krachendem Noiserock klug Richtung eingängiger Gitarrenmusik gedreht. Das klingt plötzlich nach Tocotronic, wie die „Süddeutsche Zeitung“ richtig schreibt, aber auch nach Hüsker Dü und den traurigen Fehlfarben. „Fake“ ist in seiner Trostlosigkeit wunderbar erbauend.

„Her mit euren Lügen, her mit eurem Leid“, singt Max Rieger im namensgebenden Schlussstück „Fake“. Ein Album zum Facebook-Datenskandal, zu Donald Trump und Stormy Daniels? Nein, mit solch Banalitäten will sich die Band Die Nerven nicht aufhalten. Hier geht es um das große Ganze. Ein Leben der Algorithmen. Multiplikatoren, die alles erklären, verfälschen, zerstören. Ein Funken im System. Und alles ist aus.

Die Nerven gastieren am 29. April live im Wiener Fluc.

Diese Woche in der unerhört-Playlist:

Ufo361: 808 Deafheaven: Honeycomb (Song) Mavi Phoenix: Yellow (Song) Ament: Heaven/Hell Primordial: Exile Amongst The Ruins Haley Heynderickx: I Need to Start a Garden Lucy Dacus: Historian Birgit Liedtke: Im Zwischenraum

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.