Peter Handke
Literatur

Neues von Peter Handke: Es raschelt im Blättergebälk

Alter Text in neuer Aufmachung: Peter Handke umkreist in einer kleinen Fabel einen Baum in München.

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Für ungeschulte Beobachter ist es ein beliebiger Baum im Jahreszeitenwechsel. Peter Handke, der in seinen Büchern gern die Stunde der wahren Empfindung ausruft und anhält, besingt die Esche von München, die in einem Garten in der Schackstraße, Ecke Ludwigsstraße seit Dekaden ihre Blätter im Wind rascheln lässt, dagegen lieber in hohem Baumbänkelgesang. Anfang Dezember wird Handke 80 werden. Das Büchlein „Kleine Fabel der Esche von München“ könnte insofern auch als Vorabgeburtstagsgeschenk verstanden werden: Handkes Text zu Wurzelwerk und Zweiggeflecht erschien erstmals 1990 in dem Band „Noch einmal für Thukydides“. In „Kleine Fabel“ wird die Baumbeschreibung gleich um drei Bonustracks erweitert: Die Fotografin Isolde Ohlbaum hat die Münchener Esche in kontrastreichem Schwarzweiß porträtiert, flankiert vom Faksimile des Originalmanuskripts.

Schließlich erweist sich der ehemalige Verleger und Autor Michael Krüger in seinem klugen Nachwort als Kenner und Connaisseur von Laubbaum- und Literaturgeschichte: „Einen guten Boden und viel Licht braucht die Esche.“ Wer ganz genau wissen wolle, wie hart und elastisch zugleich das Holz dieses Baumes sei, der kaufe sich eine Sense aus Eschenholz.
Handke geht es in „Kleine Fabel“ selbstredend keineswegs ums Kleinholzmachen. Die Vorgarten-Vignette lässt sich auch als Abenteuernachmittag lesen: Der Eschen-Beobachter wird angesichts der Karawanen von Kleinstgetier entlang des Baumstamms bald von imaginierten (Hör-)Bildern übermannt: „Schaukelnde Affenhorden“ schnattern ihm die Ohren voll, Schalmeien-Musik erschallt. „Warum, zum Teufel, kam mir beim Anblick des kugeligen, glänzenden Hinterleibs der Ameise da, dessen Rot in ein durchscheinendes Gelb hinüberspielte, ein jahrtausendalter Bernsteintropfen in den Sinn?“ Die Stunde des jähen Erlebens unterm Blättersaum. Wer sagt, dass die Welt schon entdeckt sei, fragte Handke vor Jahrzehnten. Das galt und gilt natürlich auch für den Münchner Blättertraum.

Peter Handke: Kleine Fabel der Esche von München. Wallstein. 79 S., EUR 20,60

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.