Der Countertenor JJ gewann für Österreich zum dritten Mal den Eurovision Song Contest. Seitdem geht zwischen Wien, Innsbruck, Linz, Graz, Wels und Oberwart ein skurriler Wettbewerb um die Austragung des ESC 2026 über die Bühne. Zwei Ortstermine im Burgenland und in Oberösterreich.
Seit vergangenem Sonntag erlebt Georg Rosner, wovon Politiker träumen. Rosner, dunkelblaue Brille und Strahler-80-Lächeln, ist seit über zehn Jahren ÖVP-Bürgermeister von Oberwart, 8000 Einwohner, drittgrößte Stadt des Burgenlands. Man tritt Oberwart nicht zu nahe, wenn man behauptet, dass die Stadt kein funkelndes Architekturjuwel und auch nicht Burgenlands Epizentrum sei. Es ist nicht so klein, dass es auf große Kreisverkehre verzichten würde. Es gibt eine Hauptstraße, ein Kulturhaus und viele freundliche Menschen.
Am Sonntag war Rosner in seinem Garten beschäftigt, als sein Handy läutete. Ob auch Oberwart, wollte die Austria Presse Agentur von ihm wissen, an der Austragung des Eurovision Song Contest 2026 interessiert sei, da die kommende Ausgabe durch den Basler Triumph des Countertenors JJ bekanntlich in Österreich stattfinden werde. „Selbstverständlich!“, brummte Rosner ins Telefon.
Seit damals kann der Bürgermeister sein Glück kaum fassen. Er genießt die Bühne, belauert von Kameras und Mikrofonen. „Wir haben bereits gewonnen“, sagt er Tage später in der größten Halle des Messezentrums Oberwart. Groß bedeutet hier: wirklich sehr groß. Insgesamt 12.500 Quadratmeter Hallenfläche, 30.000 Quadratmeter Außenfläche, 5000 Parkplätze. „Wir sind längst die Sieger der Herzen“, jubiliert er in der leeren Halle. Zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand, dass sich JJ in einem Interview gegen die Teilnahme Israels beim nächsten ESC aussprechen wird.
„Du hast keine Chance, aber nutze sie!“, ließe sich mit dem bayerischen Provokateur Herbert Achternbusch entgegnen. Es müssten etliche Wunder, viele große und noch mehr kleine, geschehen, damit Oberwart im Mai 2026 tatsächlich Austragungsort des weltweit größten Musikwettbewerbs wird. Eher würde in Unterstinkenbrunn der Opernball stattfinden. Das weiß auch Georg Rosner. Träumen wird man aber wohl noch dürfen. „Wer keine Visionen hat, kann mit Politik aufhören“, variiert er ein berühmtes Zitat mit bis heute nicht ganz geklärter Urheberschaft – und lächelte das fröhliche Lachen eines Mannes, der den Bogen zwischen Minimalaufwand und Gratiswerbung für seine Stadt bravourös gemeistert hat. Von Oberwart aus einmal um die ganze Welt.
„Wer keine Visionen hat, kann mit Politik aufhören.“
Georg Rosner, ÖVP-Bürgermeister von Oberwart
Hoffen auf den Lucky Punch
Politische Posse kann Österreich seit je. Realsatire ebenso. Das Griss um die ESC-Vergabe 2026 zwischen Wien, Innsbruck, Linz, Graz, Wels und Oberwart ist auch ein kleines Lehrstück darüber, wie Politik hierzulande zuweilen funktioniert. Es gab und gibt, erstens, schon immer eine verborgene Verwandtschaft von Showbusiness und Staatsführung, von Augenzwinkern und Gremienarbeit, Komödie und Tragödie. Sportlich sind, zweitens, Sieg und Niederlage zu nehmen. Anruf bei Roland Poiger, Amtsleiter und Geschäftsführer des Messezentrums Oberwart. „Ich bin ein leidenschaftlicher Puzzler“, sagt Poiger. „Der ESC wäre gewissermaßen ein Puzzle mit 1000 Teilen. Zuerst würden wir den Rand legen, anschließend von dort aus nach innen bauen.“
Kurze Pause. „Ich bin optimistisch, dass es mit dem ESC in Oberwart klappen könnte. Realistischerweise sollten wir aber eher von einem Puzzle mit 300.000 Teilen ausgehen.“ Poiger ist zudem passionierter Judoka. „Judo heißt aus dem Japanischen übersetzt ‚sanfter Weg‘. Aber auch hier gibt es den Lucky Punch. Wenn man nicht an sich selbst glaubt, darf man gar nicht auf die Matte treten.“ Wenn nicht kommendes Jahr, mutmaßt Poiger, werde Oberwart den ESC spätestens in zehn Jahren ausrichten. „Den Schas“, sagt er und meint es als Kompliment.
Wer den Eurovision Song Contest veranstalten will, benötigt mehr als nur große Hallen. Die Liste an Anforderungen für den Austragungsort der Europäischen Rundfunkunion (EBU), ein Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher Medien und ESC-Veranstalter, ist lang: Die Eventhalle muss Platz für 10.000 Besucherinnen und Besucher bieten, schall- und lichtgedämmt sowie klimatisiert sein. Die Hallendecke muss mindestens 15 Meter hoch sein, mehrere Tonnen Technik tragen können und eine Bühne mit einem Durchmesser von wenigstens 15 Metern ausweisen. Folgt man diesen Kriterien, kommen in Österreich drei Hallen infrage: die Innsbrucker Olympiahalle, die Grazer und die Wiener Stadthalle.
Weiter ins oberösterreichische Wels, der nächste ESC-Mitbewerber in der Provinz-Liga. Harry Styles hat die Stadt für das „MusikfestiWels“ vergangenes Jahr nicht bekommen. Kurzerhand wurde ein Imitator des britischen Megastars auf die Bühne gestellt, mit Glitzeranzug und allem Drumherum; die Teenies haben dennoch gekreischt. Vielleicht hat Wels, 65.000 Einwohner, in diesem Moment Blut geleckt: Wieder mal so eine XXL-Veranstaltung, das wär’s.
Neuland sind Großevents für die Stadt nicht. Jährlich findet das Welser Volksfest auf dem lokalen Messegelände statt, Gaudi, Bier, Wein und Tracht. 2010 pilgerten rund 100.000 AC/DC-Fans auf den Flugplatz. Die Welserinnen und Welser nutzen die Gunst der Stunde, um ihre Gärten in „Snackbars“ umzuwandeln, musikalisch wie finanziell zu profitieren.
Gaudi, Bier und Tracht
Im Verbund mit Linz, so ist in Wels derzeit öfter zu hören, sei also auch das ESC-Spektakel zu stemmen. Hotellerie, Gastronomie und Kultur auf der einen, Messegelände, Lederwaren-Museum und Tierpark mit rotem Rattenkänguru auf der anderen Seite. Der Welser FPÖ-Bürgermeister Andreas Rabl sagt auf Nachfrage: „Bilder sagen mehr als 1000 Worte. Und wir wissen, dass die Bilder, die im Rahmen eines Song Contests entstehen, in die ganze Welt übertragen werden. Das hätte für Wels und Linz, für ganz Oberösterreich, touristisch eine sehr große Bedeutung.“
Ende des Jahres soll die neue Messehalle in Wels fertig werden.
Das Problem an Rabls überfliegerischen Plänen: Die Messehalle, in der sich das ESC-Spektakel abspielen sollte, ist längst nicht fertiggestellt. Laut Rabl kein Grund zur Sorge: „Mit Jahreswechsel ist die Messehalle fertig. Und im Mai, wenn der Song Contest stattfinden wird, ist sie bereits erprobt. Im März findet die Energiesparmesse, die größte Welser Messe und damit die Feuerprobe, statt.“
United By Music? Ausgerechnet in Wels? Die Freiheitlichen hatten in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit dem Song Contest. Im Wahlprogramm für die Nationalratswahl 2024 wollte man die „Ausgaben für Kulturschaffende“ noch evaluieren; es sei nicht einzusehen, dass „woke Events“ wie der „sogenannte ‚Song Contest‘ mit Zwangsabgaben finanziert“ würden. FPÖ-Kultursprecher Wendelin Mölzer legte erst kürzlich in einer Presseaussendung nach: „Zu befürchten ist, dass es wieder ein queeres, links-wokes Spektakel in Wien werden wird.“
Im März findet die Energiesparmesse und damit die Feuerprobe statt.
Andreas Rabl
FPÖ-Bürgermeister von Wels
Erlebt das freiheitliche Wels also gerade den ESC-Honeymoon? „Ich kann Ihnen nur eines sagen“, versichert Bürgermeister Rabl: „Musik verbindet. Es geht ja bei einem Song Contest nicht um irgendwelche ideologischen Streitigkeiten, sondern die Kandidaten treten im Wettbewerb um das beste Lied an. Insofern möchte ich mich nicht an ideologischen Auseinandersetzungen beteiligen, sondern allein über ein musikalisches Vergnügen diskutieren.“ Mit ein wenig Glück kommt irgendwann vielleicht der echte Harry Styles nach Wels oder Oberwart. Good Evening, Europe! Oberwart calling!