Ordentliches Brett: Die Ärzte veröffentlichen ihr neues Album „Hell“

Nach acht langen Jahren erscheint diesen Freitag endlich Neues von der legendären Berliner Band Die Ärzte. Warum das so lange gedauert hat, erzählen die Rockstars Bela B, Farin Urlaub und Rodrigo González im profil-Interview.

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Glaubt man „Morgens Pauken“, der ersten Single aus „Hell“, dann ist es um den Punk anno 2020 nicht gut bestellt. Denn inzwischen sei, so die Bestandsaufnahme der Berliner Band Die Ärzte, ohnehin alles Subkultur und Nonkonformismus – oder was man dafür hält. „Du betrügst bei Blinde Kuh / Und du likest die CDU / Hast 'nen Pelzmantel im Schrank / Du bist Punk!“, heißt es im Song. Bela B, Farin Urlaub und Rodrigo González antworten darauf mit einem ordentlichen Brett Punkrock; die insgesamt 18 neuen Lieder gehen jedoch fröhlich assoziierend in viele Richtungen: von Flamenco-Spielereien („True Romance“) und Mitsing-Gitarrengeschrammel („Ich, am Strand“) zu Gassenhauer-Rock („Einmal ein Bier“) und Dark-Wave-Versatzstücken („Polyester“). „Hell“, das entweder die Hölle oder als Gegenteil von dunkel meint, bleibt aber bei aller musikalischen Vielschichtigkeit ein durchaus homogenes Album.

 

profil: In den letzten Jahren dachten viele, dass Die Ärzte als Band bereits abgedankt hatten. Überrascht es Sie selbst, dass Sie noch einmal zusammengefunden haben?

Bela B: Je erfolgreicher wir sind, desto anstrengender wird es. Irgendwann geht es fast jeder Band so, dass sie nur noch im Kreislauf aus Albumaufnahmen, Tournee und Promotion existiert. Nach dem letzten Album war es zu viel müssen und zu wenig wollen. Es gab Animositäten – und unterschiedliche Sichtweisen, wie wir als Band weitermachen wollen.

Farin Urlaub: Nach der großen Tour 2013 brauchten wir dringend Abstand. Dazu kam die Unfähigkeit, wie erwachsene Männer zu kommunizieren. Nach einem Jahr Funkstille haben wir ein gemeinsames Essen veranstaltet und uns wieder zusammengerauft. Das wiederholen wir jetzt jedes Jahr.

Rodrigo González: Mein Problem waren diese großen Stadionkonzerte. Irgendwann spulst du nur noch ein fertiges Programm ab, spielst die Hits und kannst die Uhr danach stellen, wann wieder die La-Ola-Welle durch die Arena geht.

profil: Inmitten der großen Flüchtlingsbewegung 2015 stieg Ihr alter Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“ aus den frühen 1990er-Jahren in Deutschland und Österreich auf Platz eins, in der Schweiz auf Platz zwei der Charts. War das ein Antrieb, als Band weiter zu machen?

Bela B: Auf diese Fanaktion sind wir sehr stolz. Der Song hat uns zumindest wieder gemeinsam auf eine Bühne gebracht. Das war 2016 bei einem kleinen Festival in Jamel in Mecklenburg, in dem hauptsächlich Neonazis leben. Ich hab Farin und Rod dann überredet, dort gemeinsam dieses Lied zu spielen.

Urlaub: Der Song ist ohnehin viel größer als die Band. Die Tantiemen haben wir an verschiedene NGOs gespendet, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

 

profil: „Hell“ ist allerdings kein dezidiert politisches Album geworden.

 

Bela B: Wir sind keine Journalisten und keine Nachrichtensendung. Wir sind Musiker, die in drei Minuten Geschichten erzählen, manchmal schlagwortartig, manchmal dadaistisch, gelegentlich ausufernd oder lyrisch. Die politischen Themen, die wir auf dem Album verhandeln – von Wutbürgern, Verschwörungstheorien bis zum Krieg in Syrien –, werden als Teil unserer Lebenswirklichkeit erzählt. Selbst so albern klingende Songs wie „Thor“ sind Teil unserer Selbstreflexion. Unpolitisch sind wir definitiv nicht – das ist für mich als Künstler auch keine Option.

Urlaub: Die Positionierung von „Schrei nach Liebe“ war 1993 wichtig. Die Misere hat sich ja seither nicht verändert, auch die Nazis sind geblieben. Sie sind immer noch gegen Empathie, Nächstenliebe und Fairness. Heute lassen wir uns über andere Facetten aus – oder machen uns darüber lustig.

Bela B: Wir wollten nie mit dem erhobenen Zeigefinger herumrennen, Parolen skandieren und Polithymnen schreiben.

Das ausführliche Interview mit Die Ärzte lesen Sie im kommenden profil, das am 23. Oktober erscheint.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.