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Pas de deux! Meg Stuart & Francisco Camacho beim Wiener ImpulsTanz-Fest

Die US-Choreografin Meg Stuart und ihr portugiesischer Kollege Francisco Camacho werden beim vielstimmigen ImpulsTanz-Festival demnächst ihr jüngstes Werk präsentieren. Besuch in Braga, im Norden Portugals, wo das Stück vorab zu besichtigen und das Duo zu befragen war.

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Am Ende liegen sie beide auf der Bühne und unterhalten sich, als wäre kein Publikum im Raum. Sie habe peinlicherweise erst unlängst herausgefunden, sagt die Amerikanerin Meg Stuart dann zu dem Portugiesen Francisco Camacho, dass sie seinen Vornamen über all die Jahre falsch ausgesprochen habe: „Francisco“, wie in „San Francisco“ – und das „s“ eben nicht als „sch“, das „o“ nicht wie ein „u“. Camacho winkt ab, das sei nicht wichtig, in Freundschaften zähle anderes.

Im nordportugiesischen Braga spielt man an diesem Frühlingsabend das Stück „steal you for a moment“ im imposanten Theatro Circo, das an der Avenida da Liberdade liegt, der Prachtstraße der Stadt. Meg Stuart und Francisco Camacho sind seit dreieinhalb Jahrzehnten eng befreundet, einander seit den Anfängen ihrer choreografischen Praxis verbunden: Schon 1991, in Meg Stuarts Trio „Disfigure Study“, ihrem allerersten abendfüllenden Werk, trat Camacho als Tänzer auf. 2007 frischte man das gemeinsame Schaffen auf: „Blessed“ gestaltete Camacho bereits mit. In „steal you for a moment“ steht er mit Stuart, die den beiden früheren Werken nur die Form gab, nicht selbst tanzte, erstmals für einen avantgardistischen Pas de deux auf der Bühne.

Meg Stuart, geboren 1965 in New Orleans, gilt als eine der avanciertesten Stimmen im Gegenwartstanz. Schon deshalb gehört sie zu den Stammgästen des Wiener ImpulsTanz-Festivals, das am Donnerstag kommender Woche eröffnet wird und die Stadt einen ganzen Monat lang (bis 10. August) mit einem prominent besetzten Performance-Programm, mit Workshops, Installationen und allnächtlichen Partys überziehen wird. Mit „Can I steal you for a moment (or a month)“ hat ImpulsTanz-Chef Karl Regensburger sein Vorwort im diesjährigen Katalog überschrieben, damit nicht nur auf Stuarts und Camachos Stück anspielend, sondern auch auf seine eigene ironisch-kriminelle Energie als Publikumsdieb.

Als Duett gestaltet, geht „steal you for a moment“ von der sardischen Nuraghenkultur der Bronzezeit aus, einer einzigartigen Turmbau-Methode. Man merkt das allenfalls an den kleinen Holzpyramiden, die als Sandformen dienen und auf der Bühne stehen. Francisco Camacho lebt seit 2011 in Lissabon und Sardinien. Er hatte die ursprüngliche Recherche initiiert. Als man anfing, über das Projekt nachzudenken, sagt er, sei es zunächst sein Wunsch gewesen, „diesen Ort mit Meg zu teilen“.

Camacho spaziert aus der Garderobe des Theaters. Im alten Café Benamor, unweit des Theaters, wartet Meg Stuart bereits. Ursprünglich hatte sie Camacho gebeten, ein Solo für sie zu kreieren. Und noch als sie das erste Mal nach Sardinien reisten, sei es genau darum gegangen. „Aber nach ein paar Proben wurde klar: Wir mussten gemeinsam tanzen!“ So entstand ein Duett, das eine vier Jahrtausende alte Kultur choreografisch verwandelt und allegorisiert. Camacho habe sich mit Dingen befassen wollen, die seiner choreografischen Praxis fremd waren. „Meg und ich saßen somit im selben Boot.“

In Ihrem neuen Werk scheint es auch um die Unzugänglichkeit der Geschichte zu gehen: wie schwer es ist, eine Zivilisation zu begreifen, die Tausende von Jahren alt ist.

Meg Stuart

Es ist die Begegnung mit einer unbekannten antiken Kultur. Und mit uns beiden selbst, denn wir wissen auch nicht alles übereinander. Ich arbeite mit Erinnerungen – realen und fiktiven Erinnerungen. Ich denke auch über diese Denkmäler nach, die scheinbar für die Ewigkeit gebaut wurden. Was hat sich erhalten? Was können wir uns vorstellen? Was lassen wir zurück? Wie haben wir uns verändert, seit wir uns kennengelernt haben? Es ist eine Untersuchung; wir begeben uns gemeinsam ins Ungewisse.

Ist das Choreografieren für Sie auch so etwas wie eine archäologische Praxis? Eine Studie der menschlichen Vergangenheit und Gegenwart?

Stuart

Ich habe nichts gegen diese Sichtweise.

Francisco Camacho

Ja, wir gehen in die Tiefe, beobachten und studieren jeden einzelnen Teil, den wir finden.

Sie gehen von steinernen Monumenten aus, verwenden auf der Bühne aber andere Materialien, vor allem Holz und Sand. Warum?

Stuart

Na ja, wir sind in Sardinien, auf einer Insel. Der Sand ist dort sehr wertvoll. Es ist sogar illegal, den Sand mitzunehmen! Nicht, dass das irgendjemand täte. Wir sprachen im Vorfeld viel über Geometrie, über Formen und Gestalten. Wir wollten mit Bewegung arbeiten, die zu einer emotionalen Geometrie wird. Einer Geometrie, die nicht kalt und abstrakt ist, sondern mit Schwingungen und Spannungsmodulationen arbeitet. Und das alles verwandeln wir, über unseren Dialog, in eine choreografische Komposition. Je mehr wir tanzen, desto mehr finden wir heraus.

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Sie erarbeiteten Ihr Stück stark improvisatorisch. Aber am Ende steht dann doch ein in hohem Maß festgelegter Ablauf?

Stuart

Es ist strikt komponiert, hat aber einen gewissen Atem. Nicht jede einzelne Bewegung ist festgelegt. Aber das Stück hat Timing und eine Form. Es gibt Stichwörter, Übereinkünfte und Präferenzen.

Camacho

Ursprünglich dachten wir daran, es offener zu gestalten. Aber dann haben wir beschlossen, dass es interessanter wäre, bestimmte Themen durchzuspielen. Wir wiederholen und proben sehr viel. Durch die Wiederholungen fügen sich manche Dinge von selbst. Wir lassen aber einen kleinen Spielraum für all jene Anpassungen, die an einem bestimmten Tag eben nötig sind.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.