Sängerin und Songwriterin Sophie Löw alias Sophia Blenda im Wiener Café Jelinek
Pop

Musikerin Sophia Blenda: Die Furchtlose

Düster aufwühlende Popminiaturen: „Die neue Heiterkeit“ heißt das wichtigste heimische Album dieses Sommers. Eine Begegnung mit der jungen Musikerin Sophia Blenda.

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In Sophia Blendas Welt dient Popmusik vor allem als Befreiungsschlag. Als Maßnahme gegen Besserwisser und patriarchale Strukturen, für Gleichberechtigung und Inklusion. Denn als junge Frau in einem von Männern dominierten Musikbusiness ist es immer noch schwierig, nicht ständig mit Ressentiments konfrontiert zu werden. Für die Wiener Sängerin und Multiinstrumentalistin ist die Rechnung einfach: Für ihr Songwriting und die Musik möchte sie mindestens gleich viel Respekt und Anerkennung wie ihre männlichen Kollegen üblicherweise erhalten. Blöde Sprüche und Anspielungen bei Konzerten und im Backstage-Bereich? Nichts davon mehr! Ihre Konsequenz: Aus Sophie Löw, wie die Musikerin eigentlich heißt, wurde Sophia Blenda – eine neue Superheldin der heimischen Popmusik. Der Künstlerinnenname dient der 26-Jährigen als Pseudonym und als Schutzschild.

Verschwende keine Jugend

An einem Hitzesommertag Mitte Juli sitzt Sophia Blenda im schattig-begrünten Hinterhof ihres Managements und Plattenlabels in Wien-Brigittenau, trinkt Wasser und lässt sich vom einsetzenden Rummel um ihre Person gar nicht erst anstecken. Sie ist hier, um über ihr Solodebüt „Die neue Heiterkeit“ zu sprechen; um die Rockband Culk, als dessen Sängerin sie ab 2019 in der heimischen Musikszene bekannt wurde, soll es diesmal nur am Rande gehen. Ihre Antworten wählt sie mit Bedacht. Sophia Blenda sieht man die große Bühne, die After-Show-Party, das wilde Leben ohne Schlaf und das grelle Scheinwerferlicht nicht an. Weil aber das Hier und Jetzt mit dem Leben damals, vor Corona, nicht mehr vergleichbar scheint, ist sie vielleicht genau die richtige Identifikationsfigur einer Zeit, die aus den Fugen ist.

In ihren düster aufwühlenden Pop-Miniaturen bricht sie mit alten Gewissheiten, hier zählen ironiefreie Wokeness, Respekt, Inklusion und Feminismus mehr als verstaubte (Rock-)Klischees und überholte Popstar-Glorifizierungen. Verschwende deine Jugend? Das scheint in Zeiten von Klimakatastrophe, Pandemien und alternativen Lebensentwürfen kaum mehr vorstellbar.

Es gehe ihr nun als Solokünstlerin darum, Musik zu machen, für die sie ganz allein verantwortlich sei: „Ich musste 100 Prozent geben, damit mir das zugetraut wird“, sagt Blenda über ihre Arbeit. Für sie heißt das: keine anderen Musiker im Hintergrund, kein Co-Autor, kein doppelter Boden. Sie habe das Gefühl, sagt sie, dass sie alles selbst machen müsse, „die Texte, die Instrumente, die Produktion, selbst das Artwork und die Musikvideo-Konzepte“. 

Hedonismus und Zukunftsangst

Jetzt also „Die neue Heiterkeit“. Sophia Blenda ist ein Generationenalbum geglückt, mit dem sie das Leben der Twentysomethings ein Stück weit greif- und hörbar macht und davon erzählt, welche Spuren die Pandemie und die #MeToo-Bewegung bei einer jungen Frau hinterlassen haben. Beim Schreiben ihrer Songs, erzählt sie, hatte sie eine noch jüngere Hörerinnenschaft im Kopf, also Menschen, die in all die Konflikte und Herausforderungen, mit denen wir aktuell zu kämpfen haben, erst hineinwachsen. „Man hat das Gefühl, man wird von den ganzen Problematiken, die wir in der Zukunft noch lösen müssen, regelrecht erschlagen“, sagt sie. Für dieses Spannungsfeld interessiert sie sich: ein Leben, das zwischen hedonistischen Lifestyles, dem Gefühl, die Welt stehe einem offen, und der vollen Wucht der Zukunftsängste (Kriege, Klimawandel, Altersarmut) unauflösbar erscheint. 

Man hat das Gefühl, von all dem, was wir in Zukunft noch lösen müssen, erschlagen zu werden.

Sophia Blenda

Den Umstand, dass aktuell die Looks und Klänge der 1990er- und die Nullerjahre wieder im Trend liegen, in Popkultur und Mode rezipiert und gefeiert werden, führt sie auf diese Zeitenwende zurück: „Vielleicht wünschen sich die Menschen, die damals Kinder oder Jugendliche waren, die alte Leichtigkeit und Unbeschwertheit zurück“, erklärt sie sich die Vergangenheitsliebe. Man halte sich eben an seiner Nostalgie fest.

Musik als Rückzugsort

Aufgewachsen ist Blenda im Weinviertel, so richtig am Land, ohne Kontakt zu Subkulturen oder alternative Bands. Zu hören gab es Mainstream-Pop aus dem Radio oder eben die CDs, die es beim örtlichen Libro gab. Später ist sie dann nach Wien in die Schule gependelt, für sie ein richtiger culture clash, wie sie heute sagt. Die Liebe zur Musik war indes immer da, ihr Kinderzimmer ein Rückzugsort, an dem stets Musik lief. Das Singen hat sie sich dann einfach selbst beigebracht, erzählt sie, hat die Hits ihrer Kindheitsheldinnen mitgesungen („Ich habe Christina Aguilera oder Avril Lavigne nachgemacht.“) Und irgendwann finde man dann eben seinen eigenen Stil.

Das Klavier, das im Zentrum ihres Schaffens steht, spielt sie seit ihrer Kindheit. Bisher hat sie es eher dafür verwendet, sich selbst beim Singen zu begleiten. Virtuos gespielt habe sie nie, meint sie mit einem Lachen: „Mein Hauptinstrument ist meine Stimme.“ Bei den Indierockern Culk, die sie 2017 mit Freunden gegründet hat, bedient sie zudem Synthesizer und Gitarre. Für ihr Soloalbum hat sie ihr Repertoire noch einmal erweitert, spielte mit elektronischer Musik, bastelte einfache Beats mit der Software Garage Band, die es dann, obwohl nicht perfekt ausgearbeitet, doch auf das Album geschafft haben. Dieser ganz besondere Vibe, erzählt sie, den sie beim Songwriting gespürt habe, ließ sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren. Ergebnis: ein Album, das organisch und warm klingt, als hätte sie die Songs live eingespielt. 

Kein Anfang und kein Ende

Das Album ist ein stilles Meisterwerk zwischen Kammerpop, entrückten Ambient-Flächen und dieser eindringlichen Stimme geworden, das gerade durch seine Unaufgeregtheit Dringlichkeit entwickelt. Man merkt das daran, dass man beim Hören nicht nervös von Track zu Track springen will, sondern lieber von Anfang bis Ende den leisen und lauteren Tönen lauschen möchte und irgendwann nicht mehr weiß, welches Lied da gerade von einem Besitz ergriffen hat. Es gibt, und das ist das Paradoxe an diesem Stück Popkunst, hier eigentlich keinen Anfang und kein Ende – alles ist in Bewegung, alles fließt. Für Blenda funktioniert das Werk wie ein Tagebuch, in dem sie zwischen Ernst und Spaß, zwischen deutschen und englischen Lyrics wechseln kann. Thematisch geht es um die schier unmöglichen Erwartungen an eine Mutterschaft („Hysteria“), um Vertrauen („Schwester“) und die unerträgliche Leichtigkeit des Seins („Fun“). Sophia Blenda schafft es, aus schwierigen Themen eingängige Popmusik zu machen; sie singt über ein Stück Stoff („BH“), das immer noch als Machtinstrument benutzt wird, und über die Frage, warum der weibliche Körper ein Politikum darstelle. Als Heranwachsende müsse man lernen, sich von den eigenen Ängsten nicht lähmen zu lassen. Eine typische Sophia-Blenda-Textzeile: „Fear don’t lead me anymore“, die Angst wird mich nicht mehr leiten, „I’m fearless, I’m fierce“ und: „Die Heiterkeit hol ich mir selbst.“

Ein zweites Treffen im Wiener Café Jelinek. Fotos werden gemacht, man spricht weiter, über die Musik, das Leben, die Gegenwart. Ihr Album „Die neue Heiterkeit“ wird sie am 17. September in der Roten Bar im Wiener Volkstheater gemeinsam mit ihrer Begleitband präsentieren. Bleibt die Frage, ob sie nie Angst hatte, mit ihrer Kunst zu viel von sich selbst, von ihren Ängsten, Gefühlen und Geheimnissen preiszugeben? Es sei nicht leicht, diese Themen immer wieder zu wiederholen, meint sie. Als Künstlerin sei es andererseits ihre Aufgabe, Geschichten zu objektivieren, sie an ihr Publikum freizugeben, den Songs auch ein Eigenleben zu verschaffen. „Die Interpretation überlasse ich dann anderen.“

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.