Paulus Hochgatterer
Krieg in der Ukraine

Wie steht es psychisch um Wladimir Putin? "Seht her, ich bin der neue Zar!"

Paulus Hochgatterer, Schriftsteller, Kinder und Jugendpsychiater, hält den russischen Staatschef vor allem für einen Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstruktur.

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profil: Wladimir Putin ist 69 und wahrscheinlich der reichste Mann der Welt. Warum fällt es Politikern wie ihm so schwer, in Pension zu gehen und das Leben zu genießen?
Hochgatterer: Ob Putin etwas genießen kann, ist mir, ehrlich gesagt, ziemlich egal. Zuletzt konnte man bei Donald Trump beobachten, wie narzisstische Mechanismen völlig aus dem Ruder laufen können. So scheint es jetzt auch bei Putin zu sein. Krieg ist allerdings ein komplexes Phänomen, es bedarf mit Sicherheit eines Bündels an Persönlichkeitsmerkmalen, um etwas loszutreten, von dem klar ist, dass es Leid und Tod von Hunderttausenden mit sich bringt: Selbstsucht, Gewaltbereitschaft, emotionale Kälte, Hass-manche sagen "das Böse" dazu.

profil: Was ist entwicklungspsychologisch dafür notwendig?
Hochgatterer: Man muss die Dinge mit großer Vorsicht behandeln, die über Putins Herkunft und Lebensgeschichte bekannt sind, weil ja nie klar ist, wer die jeweilige Biografie in welchem Interesse verfasst hat. Nach allem, was man weiß, dürfte er eine belastete Kindheit gehabt haben. Andererseits durchleben unzählige Menschen eine belastete Kindheit und werden später keine Diktatoren, die Kriege vom Zaun brechen.
profil: Adolf Hitler wurde von seinem Vater geschlagen, von Putin heißt es, seine Mutter hätte ihn verzogen.
Hochgatterer: Das greift unter Garantie zu kurz. Seine Mutter hat während des Zweiten Weltkrieges mehrere Jahre im belagerten St. Petersburg, damals Leningrad, zugebracht. Man weiß, dass das furchtbar gewesen sein muss. Sie hatte vor Putin zwei Söhne, beide starben, der zweite in diesen Leningrader Jahren. Sie war 41, als sie ihn bekommen hat, und jeder versteht, dass diese mit Sicherheit schwer traumatisierte Frau alles daransetzte, um ihr drittes Kind nicht auch noch zu verlieren. Ich würde mich allerdings hüten, für so ein Kind den Begriff "verzogen" zu verwenden.
 
profil: Auf Putin lastete schon als Kind immenser Druck?
Hochgatterer: Das darf man vermuten. Möglicherweise hat seine Mutter einen Teil ihrer Angst auf ihn übertragen. Oder ihre Trauer. Aber das ist alles Spekulation und nur ein Aspekt. In Wahrheit wissen wir nichts darüber, wie die reale Beziehung dieser Frau zu ihrem Kind ausgesehen hat.
profil: Man liest oft, Putin sei ein Psychopath. Was würde das aus ärztlicher Sicht bedeuten?Hochgatterer: Ein Psychopath ist ein Mensch, der Lust aus dem Elend anderer bezieht. Das erfordert aber die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich das Elend der anderen zumindest vorzustellen. Putin nimmt das maximale Elend anderer in Kauf, aber sein Lustgewinn scheint eher aus der Wahrnehmung der eigenen Grandiosität zu kommen. Ich lasse das alte Russland auferstehen! Seht her, ich bin der neue Zar!

profil: Gerade in Bezug auf Atomwaffen wird spekuliert, ob Putin verrückt geworden sei oder diese Rolle nur annehme, um die Welt in Schrecken zu versetzen. Wie sehen Sie das?
Hochgatterer: Der Begriff des "Verrückten" ist hier wenig hilfreich. Mad or bad? Im Resultat jedenfalls katastrophal! Putins Agieren hat vor allem Methode. Es wirkt impulsiv, ist in Wahrheit aber bis ins Detail kalkuliert, von langer Hand geplant und in der Logistik der Durchführung hochkomplex.
profil: Wie geht man mit Narzissten um, die in Konflikten nicht verlieren können?
Hochgatterer: Momentan stellt sich eher die Frage: Wie gehen wir mit der Katastrophe um, dass so viele Menschen mit einem Schlag alles verlieren? Viele aus meiner Generation erleben gerade Flashbacks, plötzlich findet das, wovon die Eltern erzählt haben-Bomben, zerstörte Städte, Flucht-vor unseren Augen statt. Dabei haben wir in dem Gefühl gelebt, die Kriegserfahrungen der Eltern, die unsere Kindheit bestimmt hatten, seien vorbei. Jetzt haben wir Angst.

profil: Wie weit muss man Wladimir Putin verstehen, um einen Weg zu finden, den Krieg zu beenden? Oder reichen harte Sanktionen aus?
Hochgatterer: Da gibt es kein Entweder-oder. Es schadet nie, wenn man das Handeln von Menschen verstehen möchte, auch wenn sie böse sind. Ein Narzisst ist ein Nichts, wenn er keine glänzende Fläche hat, in der er sich spiegeln kann. Er braucht Leute, die ihn ständig bestätigen. Daher das Wichtigste, was man verstehen sollte: Ein Narzisst allein macht noch keinen Krieg.

profil: Trifft es Putin, wenn auch in Russland kritische Stimmen laut werden?
Hochgatterer: Kritische Stimmen stören ihn, das mit Sicherheit. Dass sie ihn wirklich treffen, bezweifle ich. Das wahre Elend des Narzissten ist ja, dass er im Spiegel nur sich selbst sieht und nicht das, was ihn tatsächlich verändern könnte, nämlich die anderen.

Paulus Hochgatterer, 60, leitet die Klinische Abteilung für Kinderund Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Tulln. Er gehört zu den renommiertesten Schriftstellern des Landes; in seinen Büchern verarbeitet er berufliche Erfahrungen. Zuletzt erschienen: "Fliege fort, fliege fort" (2019) bei Hanser.

Karin   Cerny

Karin Cerny