#brodnig: Drei Erkenntnisse im Kampf gegen Hass im Netz
Am 9. Oktober wurde Sigrid Maurer in erster Instanz schuldig der üblen Nachrede gesprochen – das Urteil ist nicht rechtskräftig und schockiert einige. Maurer hatte obszöne Nachrichten auf Facebook erhalten und dies online kommuniziert. Der Mann, der diesen Facebook-Account betreibt, klagte sie darauf auf üble Nachrede und erhielt (zumindest in erster Instanz) recht. In diesem Kommentar fasst auch Michael Völker das Ganze gut zusammen. Doch was zeigt das heutige Urteil? Hier drei Erkenntnisse, die der aktuelle Fall bringt:
1) Die Rechtslage bietet vor sexistischen Postings wenig Schutz (und das könnte man ändern) Maurer legte die obszönen Nachrichten an sie offen, weil sie wenig juristische Verteidigungsmöglichkeiten hatte: Aus juristischer Sicht sind derbe und herabwürdigende Meldungen an Frauen am ehesten eine Beleidigung. Nur in Österreich muss eine solche Beleidigung vor einem Publikum passieren – es muss also mehrere Anwesende neben der Betroffenen und dem Täter geben. Konsequenz: Eine private Nachricht auf Facebook oder auch ein E-Mail an eine einzelne Person kann nicht den Tatbestand der Beleidigung erfüllen. Das ließe sich aber ändern – ein Vergleich dazu: In Deutschland kann eine Beleidigung auch per Email oder als private Nachricht erfolgen. Hier könnte der Gesetzgeber also durchaus Lehren aus dem Fall Maurer ziehen – und es belästigten Frauen leichter machen, wenn diese den schriftlichen Nachweis einer solchen Herabwürdigung haben.
2) Es fehlt eine Möglichkeit, für Frauen über sexuelle Erniedrigung zu sprechen – ohne angefeindet zu werden Das Ganze ist eine Lose-Lose-Situation: Wenn Frauen anonym Beispiele schildern, wo sie obszön angemacht oder sogar bedrängt wurden, kommen häufig Zweifel auf. Stimmt das wirklich? Warum wird der Täter nicht namentlich genannt? Oder warum hat man keine juristischen Schritte ergriffen? (Zu letzterer Frage: siehe voriger Punkt) Gleichzeitig ist es für Frauen aber auch eine Gefahr, wenn sie einen konkreten Namen nennen: Christine Blasey Ford kann bis heute nicht in ihr zuhause zurückkehren, weil sie dermaßen viele Morddrohungen erhält. In Österreich wiederum zeigt der Fall Maurer, dass der namentlich genannte Mann eine Klage wegen übler Nachrede einbringen kann – und obwohl selbst der Richter Zweifel an der Aussage des Mannes hat, wird Sigrid Maurer eine deftige Strafe aufgebrummt (4000 Euro an den Mann, 3000 Euro an den Staat, hinzu kommen noch Prozesskosten). Wie gesagt, das Ganze ist nicht rechtskräftig, Sigrid Maurer beruft dagegen: Ich bin gespannt, wie dies in der nächsten Instanz bewertet wird. Im schlimmsten Fall haben wir eine Situation, wo Frauen oftmals ziemlich wehrlos gegen verbale Entgleisungen und Herabwürdigung sind – und das Sichtbarmachen dieser Wortmeldung für sie riskant ist.
Diese Situation ist im Jahr 2018 nicht hinnehmbar: Wenn wir Gleichstellung wollen, bedeutet dass, dass für Frauen eine Möglichkeit existieren müssen, obszöne Botschaften zu thematisieren. Zum Beispiel heißt das für viele Online-Debatten: Wir brauchen Verständnis, wenn Frauen auch anonym etwas posten – weil sie womöglich gute Gründe für die Anonymität haben. Und außerdem: In Härtefällen kann es auch ein angemessener Selbstschutz sein, wenn Frauen sichtbar machen, wer sie belästigt. Meines Erachtens sollte das auch bei der juristischen (oder zumindest gesellschaftlichen) Beurteilung eine große Rolle spielen.
3) Es braucht auch finanzielle Solidarität – weil zunehmend private Userinnen und User auf sozialen Medien geklagt werden Ich glaube zunehmend, wir brauchen Solidaritätsfonds für Betroffene von manch einer Klage: Früher wurden viele juristischen Gefechte zwischen großen Medienhäusern oder Parteien ausgefochten. Zum Beispiel haben dann Rechtspopulisten Journalisten wegen unliebsamer Berichte geklagt – das gehört zum Job dazu und große Unternehmen haben für so etwas auch eine Kasse (und einen guten Anwalt). Im Netz haben wir zunehmend das Problem, dass es Einzelpersonen trifft – die wahrscheinlich keine Rücklagen für etwaige Klagen, geschweige denn einen direkten Draht zum Medienanwalt haben. Der Fall Maurer ist eines der prominentesten Beispiele, wo eine Person ohne großer Institution im Hintergrund geklagt wurde, aber es gibt noch viele andere Fälle: Zum Beispiel sind Vertreter aus der FPÖ oder rechte Medien auch bekannt dafür, sehr viele Kritiker zu klagen. Ich fände mittlerweile einen Solidaritätsfond für solche Fälle gut – wo Bürgerinnen und Bürger auch einzahlen können, wenn sie einzelnen den Rücken stärken wollen und zum Beispiel Medienanwälte dann basierend auf vordefinierte Kriterien einzelne Fälle ausfechten können. Wichtig: Im Fall Sigrid Maurer wollen derzeit viele spenden – Sigrid Maurer bittet derzeit dezidiert darum, dass einzelne bitte nicht so etwas schon starten sollen. Das Gute am Fall Maurer ist: Hier wird auch sehr viel Soldarität und Unterstützung sichtbar. Nur ist nicht jeder Fall so sichtbar. Sinnvoll wäre, auch einen Modus zu finden, wo weniger bekannte Personen oder weniger bekannte Fälle eine finanzielle Unterstützung bekommen. Das Problem ist nämlich, vieles wird nicht ausgefochten, weil Einzelpersonen ein zu hohes finanzielles Risiko befürchten müssen, wenn das Gericht doch anders entscheidet.
Dazu noch eine Ergänzung: Laut der Berichterstattung war eine der Argumentationen des Richters, Sigrid Maurer hätte juristisch bessere Karten gehabt, hätte sie vor Veröffentlichung ihres Tweets die journalistische Sorgfaltspflicht eingehalten – hier erklärt dies auch der Jurist Hans Peter Lehofer etwas genauer. Das Problem ist jedoch, eine solche Forderung erscheint mir unrealistisch: In diesem Fall ist Sigrid Maurer eine betroffene Frau, die derb belästigt wurde. Um journalistische Sorgfalt zu wahren, hätte sie bei dem Account, der sie belästigt hat, auch noch nachfragen soll – bitte mit Namensnennung – wer genau zu dem besagten Zeitpunkt am Computer saß. Eine solche „Recherche“ erscheint mir unzumutbar gegenüber der Betroffen und außerdem unrealistisch, dass eine Antwort auf die Frage geliefert wird.