Schröpft uns! Warum der Staat bei der Mittelschicht sparen sollte
Man soll als Betroffener keine Leitartikel schreiben. Stimmt. Ich werde hier allerdings gegen diese Regel verstoßen und verspüre dabei nicht einmal Gewissensbisse. Es geht um den hoch verschuldeten Staat, das Budgetdefizit und die Frage, wo man sparen kann. Sie kennen die üblichen Vorschläge: in der Verwaltung, im Föderalismus, in den Strukturen … All diese Ideen haben gemeinsam, dass sie vage sind wie ein Orakel. Bloß niemanden konkret nennen, um sich ja keine Prügel einzuhandeln. Die Verwaltungsföderalismusstrukturen haben kein Gesicht und keinen Namen. Der Schönheitsfehler ist allerdings, dass da nie was dabei rauskommt. Deshalb will ich präzise benennen, bei wem man sparen sollte, und zwar: bei mir. Respektive bei mir und meinesgleichen.
Wir sind die Mittelschicht. Wir wissen, was wir dem Staat verdanken. Das Schulsystem, das Gesundheitssystem (nein, ich habe keine Privatversicherung), den öffentlichen Verkehr, die öffentliche Sicherheit – und vor allem die Gewissheit, dass bei Schicksalsschlägen wie schwerer Krankheit oder Arbeitslosigkeit dafür gesorgt ist, dass wir nicht ins Nichts fallen. Dafür zahlen wir anteilsmäßig die meisten Steuern und Abgaben, und das ist nicht lustig, aber okay.
Weil Regierungen – keinesfalls uneigennützig – gern Geld verteilen, wenn sie welches haben, sammelten sich im Lauf der Jahrzehnte Unterstützungsleistungen an, die wir, wenn wir ehrlich sind, nicht dringend nötig haben. Meist werden diese Zuschüsse mit irgendwelchen gesellschaftspolitischen Absichten verknüpft, die gut klingen.
Wir, die Mittelschicht, sind nicht arm und nicht armutsgefährdet. Allen muss klar sein, dass Sparmaßnahmen irgendjemanden treffen müssen, und in der sozialen Pyramide sind das unausweichlich wir – und natürlich die viel kleinere Anzahl an Reichen über uns.
Ein Beispiel: der Familienbonus plus. Eingeführt von der Bundesregierung unter Sebastian Kurz im Jahr 2018, erfreut mich dieses Goodie alljährlich bei der Steuererklärung mit 2000 Euro pro Kind. So was hebt die Laune, und doch wirken solche Geldgeschenke als Boomerang. In Wahrheit nämlich zahlen wir, die Mittelschicht, uns diese Zuschüsse selbst. Wir bekommen vom Staat einen „Bonus“, den wir zuvor via Einkommensteuer und dergleichen finanziert haben. Der Familienbonus plus (Volumen insgesamt laut WIFO: 2,5 Milliarden Euro) hat weder einen Effekt auf die Geburtenrate noch auf die Erwerbsquote und schon gar nicht auf die Verteilung der Kinderbetreuungspflichten zwischen den Elternteilen.
Nehmt uns den Bonus weg und verwendet das Geld zur Budgetsanierung! Wir, die Mittelschicht, sind nicht arm und nicht armutsgefährdet. Allen muss klar sein, dass Sparmaßnahmen irgendjemanden treffen müssen, und in der sozialen Pyramide sind das unausweichlich wir – und natürlich die viel kleinere Anzahl an Reichen über uns.
Auch die Hilfen zum Schulanfang illustrieren das. Da gibt es ein Schulstartpaket mit Gutscheinen für Schulartikel, finanziert aus Mitteln des Sozialministeriums und des Europäischen Sozialfonds. Unterstützt werden damit Schülerinnen und Schüler aus Haushalten, die Mindestsicherung oder Sozialhilfe beziehen. Das ist höchst sinnvoll.
Die Gießkanne ist das Werkzeug zum Selbstbetrug. Sobald der Budgethaushalt halbwegs saniert ist, soll man mit dem eingesparten Geld besser die Steuern – und damit die Abgabenquote – senken.
Das „Schulstartgeld“ hingegen erhalten alle Eltern für jedes Kind im Alter zwischen sechs und 15 Jahren, egal wie hoch das Haushaltseinkommen ist. Das ist Sprühregen aus der Gießkanne, der jeden erfrischt, ob er ihn braucht oder nicht. Wir brauchen ihn nicht. Auch ohne die 121,40 Euro pro Kind könnten wir uns alle Schulsachen leisten.
Die Gießkanne ist das Werkzeug zum Selbstbetrug. Sobald der Budgethaushalt halbwegs saniert ist, soll man mit dem eingesparten Geld besser die Steuern – und damit die Abgabenquote – senken.
Ich nehme einen Einwand vorweg: Es gibt auch Familien, die zwar mehr Geld haben als Mindesthilfebezieher, aber eben nicht so viel, dass sie auf Schulstartgeld und Ähnliches so einfach verzichten können. Gut, dann definieren wir eine sinnvolle Grenze. Stattdessen die ganze Mittel- und Oberschicht mit jeweils ein paar Hundert Euro zu versorgen, ist absurd.
Würde die Mittelschicht deshalb benachteiligt? Nein. Die Statistik belegt, dass Kinder der Mittel- und Oberschicht zum Beispiel viel eher eine öffentliche Universität besuchen. Damit nehmen sie eine sehr teure – und sehr sinnvolle – Leistung des Staates in höherem Maß in Anspruch als die finanziell schlechter Gestellten.
Übrigens: Wer einen besseren Vorschlag zur Budgetsanierung hat, der die Mittelschicht gänzlich verschont – her damit!