Die Eliten sollten die Politik nicht nur den Parteien überlassen

Die Republik braucht eine Runderneuerung. Frisches Personal würde langfristig auch nicht schaden.

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Man muss Gerechtigkeit für Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger einfordern. An der aktuellen Krise der Republik trifft den Bundeskanzler, den Vizekanzler und die Außenministerin keine Schuld – sie sind erst seit März im Amt. Fairerweise soll man sie daher an den Ergebnissen des nun vorgestellten Konjunkturpakets und der Maßnahmen gegen die Teuerung messen. Schon klar: Auf Knopfdruck wird die Inflation nicht hinunter und das Wachstum nicht hinauf gehen.

profil-Kolumnist Franz Schellhorn, Direktor des Thinktanks Agenda Austria, hält nicht viel vom Rettungsplan der Regierung. Preiseingriffe und Konjunktur-Milliarde würden die Probleme noch vergrößern. Österreich sei „ein zunehmend dysfunktionaler Staat“. Die Ratingagentur Moody’s sieht es offenbar wie Schellhorn. Im August senkte sie den Ausblick für Österreich von „stabil“ auf „negativ“.

Stimmt das? Leben wir in einem dysfunktionalen Staat mit negativen Zukunftsaussichten? Und falls ja, was kann man dagegen machen?

Bereits Mitte der 1980er-Jahre dachten steirische ÖVP-Politiker über eine neue Verfasstheit Österreichs nach. Einer von ihnen, Bernd Schilcher, forderte, „den Aufbruch in die Dritte Republik zu wagen“. Die schwarzen Steirer schlugen eine „Verschweizerung“ Österreichs mit einer Stärkung der Länder vor. In den 1990er-Jahren kaperte FPÖ-Obmann Jörg Haider den Begriff. Seine „Dritte Republik“ sah mehr Macht für den Bundespräsidenten und den Ausbau der direkten Demokratie vor. Von 2003 bis 2005 erarbeitete ein Österreich-Konvent mit 70 Mitgliedern Vorschläge zur Staatsreform, die aber versandeten.

Es hapert bei der Qualität des Politikpersonals, vor allem ganz oben. Die Fluktuation im Kanzleramt zeigt, dass die Amtsinhaber der vergangenen 20 Jahre ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren. 

Die neue Regierung strebt keine „Dritte Republik“ an, sondern eine runderneuerte zweite. Bis Ende 2026 wollen Bund, Länder und Gemeinden eine große Verwaltungsreform vorlegen. Selbst wenn sie klappt, wird es nicht reichen. Ebenso wesentlich wie Strukturreformen ist eine verbesserte Personalpolitik der Parteien, vor allem von ÖVP und SPÖ. Die Parteiakademien erhalten viel Geld vom Steuerzahler. Sie sollten es in die Nachwuchsarbeit investieren.

Es hapert bei der Qualität des Politikpersonals, vor allem ganz oben. Die Fluktuation im Kanzleramt zeigt, dass die Amtsinhaber der vergangenen 20 Jahre ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren. Die Batterien von Karl Nehammer waren zuletzt leer, im Amt wirkte er überfordert. Sebastian Kurz stieg rasant hoch und fiel tief. Christian Kern galt bei vielen als politisches Naturtalent – hielt sich aber gerade einmal eineinhalb Jahre im Amt. Werner Faymann war zwar fast acht Jahre Bundeskanzler, aber ebenso lang politisch willenlos. Die Strukturprobleme, unter denen Österreich heute leidet, ging er in seiner langen Amtszeit nicht an. Alfred Gusenbauer blieb auch nur zwei Jahre im Amt. Dienen Stocker, Babler und Meinl-Reisinger fünf Jahre durch, wäre das bereits ein Qualitätsnachweis.

In einem Gemeinwesen rekrutiert sich das politische Spitzenpersonal idealerweise nicht nur aus den gewählten Parteien, sondern aus der Gesellschaft – vor allem aus den Führungsetagen der Wirtschaft. Allerdings ist kaum noch ein Top-Manager oder Großunternehmer bereit, in die Politik zu wechseln. Umso lieber geben einige Generaldirektoren Ezzes von der Seitenlinie und betreiben Politiker-Bashing, statt selbst das Abenteuer zu wagen. Ex-Kanzler Kern, der den ÖBB-Chefsessel gegen den SPÖ-Vorsitz tauschte, war eine Ausnahme. Mag sein, dass sein Schicksal andere Spitzenmanager abschreckt.

Auch die Universitäten sind kein Personalpool für die Politik mehr. Vorbei die Zeiten, als in jedem Parlamentsklub Universitätsprofessoren saßen (einer von ihnen hieß Alexander Van der Bellen).

Die Zahl der hochrangigen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Interessensverbänden, die Angebote für Mandate, Ministerämter oder Staatssekretariate abgelehnt haben, ist Legion. Bei dieser Politik-Verweigerung handelt es sich um akutes Eliteversagen. Gewiss: Spitzenpolitik ist ein Menschenfresser-Job mit hohem Druck und kaum Privatsphäre. Wer sich aber zur Spitze der Gesellschaft zählt, sollte darüber nachdenken, sie mitzugestalten – auch in einem öffentlichen Amt.

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und seit 2025 Leiter des Innenpolitik-Ressorts. Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl.