Christian Rainer: Jetzt nicht mehr regierungsfähig?

Schnell haben sich die Freiheitlichen wieder dort eingefunden, von wo man sie sich wegdenken wollte. Vor Schadenfreude sei gewarnt.

Drucken

Schriftgröße

Als Sebastian Kurz vor eineinhalb Jahren seine Koalition mit der Freiheitlichen Partei zusammenfügte, wurde im Umfeld des späteren Kanzlers weniger die moralische Dimension dieser Entscheidung diskutiert als das dem künftigen Partner innewohnende Risiko. Mit einem Rückblick auf die Erfahrungen, die Wolfgang Schüssel ab dem Jahr 2000 gemacht hatte, sah man drei mögliche Brandherde: Die Freiheitlichen könnten sich bei der Regierungsarbeit als Dilettanten entpuppen. Sie könnten einen Hang zur Kriminalität entwickeln. Sie könnten als ein von Rechtsextremismus und Xenophobie durchsetzter Haufen ausapern. Das letzte Szenario präziser beschrieben: Es könnte sich als unmöglich erweisen, dass die FPÖ aus jener zum damaligen Zeitpunkt zweifellos passenden Beschreibung herauswachsen würde.

Hundert Einzelfälle später – in den vergangenen vier Wochen die zynisch zelebrierte Nähe zu den Identitären, das Rattenlied des Braunauer Vizebürgermeisters und die Drohungen des EU-Spitzenkandidaten gegen den ORF-Anchorman – ist einigermaßen gewiss, dass diese Emanzipation nicht stattgefunden hat, nicht stattfinden konnte und auch nicht stattfinden sollte.

In der jüngsten Ausgabe der ORF3-Sendung „Runde der Chefredakteure“ gaben die Redaktionsleiter von „Presse“ und „Kleine Zeitung“ ohne Umschweife zu, dass sie sich bezüglich des Charakters der FPÖ und bei deren Reformfähigkeit geirrt hatten. Nur wenige Tage zuvor hatte der Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“ konstatiert, dass sich der Bundeskanzler angesichts der moralischen Integrität seines Koalitionspartners überlegen müsse, wann er sich von diesem trennt, um nicht selbst Schaden zu nehmen. Und eine Glosse von Claus Pándi, des politischen Großkommentators der „Kronen Zeitung“, veranlasste mich auf Twitter zu der Vermutung, dass ebendiese nun Blattlinie des Kleinformats werden könnte. Pandi: „Die Freiheitlichen sind nicht regierungsfähig. Das gilt mit den Ereignissen über die Osterfeiertage nun als hinlänglich bewiesen.“ Kurz solle mangels tragfähiger Alternativen eine Minderheitsregierung bilden.

Mit einiger Genugtuung versuche ich mir vorzustellen, was die FPÖ, aber auch die Volkspartei, nun mit ihrem Standardargument anfangen: dass kritische Journalisten linke Journalisten sind. Ich scheitere nämlich daran, mir die Herren Rainer Nowak, Hubert Patterer, Manfred Perterer und Claus Pándi im blauen Maoanzug bei einem subversiven Treffen der linksradikalen Splittergruppe „Rote Tinte“ vorzustellen. Und meine Kollegin Rosemarie Schwaiger, die an dieser Stelle vor zwei Wochen geschrieben hat, „der ‚Kampf gegen Rechts‘“ sei „zu einem Ritual erstarrt, das den Großteil des Publikums eher ermüdet als wachrüttelt“, wird diesen vier Spitzen-Journalisten erklären müssen, dass sie die Leser mit ihrer Meinung narkotisieren.

Man möge nicht vergessen, dass die Freiheitlichen ohne das Antreten von Kurz postwendend zur größten Partei in Österreich geworden wären.

Der querbeet veröffentlichte Befund über den Aggregatzustand der FPÖ hat Folgen: Das Bewusstsein verstärkt das Sein. Die Kritik wirkt als Katalysator der politischen Prozesse. Erstens: Die Freiheitlichen werden nicht voller Scham in sich gehen und ihr Haupt mit Kippa und Takke bedecken; vielmehr werden sie ihr Recht auf rechten Umtrieb erst recht wahrnehmen. Zweitens: Der Bundeskanzler wird Dosis und Frequenz der Zurechtweisungen des Partners, mit dem er nicht streiten wollte, erhöhen müssen. Beide, FPÖ und ÖVP, handeln dabei zu gleichen Teilen aus Überzeugung und aus Kalkül. Die Freiheitlichen sind einerseits vom Xenophobie-Keim geflutet; andererseits wissen sie um die Ausländerfeindlichkeit als Basis ihrer Popularität. Die Volkspartei ist einerseits im Grunde humanistisch geerdet und muss daher eingreifen, wenn sie diesen Grund nicht verlassen will; andererseits muss der Kanzler auch aus Kalkül gegenhalten – als Demonstration seiner Macht und um die Mitte der Bevölkerung nicht zu verlieren.

Es wäre leicht, ob dieser Entwicklungen Genugtuung zu empfinden: Man habe es ja immer schon gewusst. Die Freiheitlichen zeigten nun ihr wahres Gesicht. Sebastian Kurz spüre nun den Schmerz von dem, was er sich da eingetreten hat.

Doch Besserwisserei und Schadenfreude sind nicht angebracht. Man möge nicht vergessen, dass die Freiheitlichen ohne das Antreten von Kurz postwendend zur größten Partei in Österreich geworden wären. Man sollte sich auch in Erinnerung rufen, dass die Sozialdemokraten unter dem Deckmantel eines verlogenen Maßnahmenkatalogs auch eine Koalition mit dieser FPÖ geschlossen hätten (und ebenso verlogen auf Landesebene haben). Man darf schließlich darauf hinweisen, dass die ÖVP keine Alternative bei der Wahl eines Koalitionspartners hatte.

Österreich geht wieder einmal unruhigen Zeiten entgegen. Der EU-Wahlkampf wird nahtlos in eine noch heftigere Schlacht um Wien übergehen. Und zur aktuellen Regierungskoalition gibt es mangels eines Kniefalls der Sozialdemokratie keine Alternative.

[email protected] Twitter: @chr_rai