Das Kopftuchverbot für Kinder ist richtig

Das Kopftuchverbot ist mehr als Symbolpolitik - aber gefährlich leicht zu instrumentalisieren

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Jetzt soll es also wirklich kommen: das seit Jahren heißt diskutierte Kopftuchverbot. Die ÖVP will es im zweiten Vorstoß beschließen lassen, dieses Mal soll es verfassungsrechtlich halten. Die aktuelle Version des Verbots: Mädchen unter 14 Jahren sollen es an Schulen nicht mehr tragen dürfen. Das ist völlig richtig. Nicht, weil es sich gegen eine Religion richtet – sondern weil es für etwas eintritt: die Freiheit junger Mädchen, sich zu entwickeln, ohne frühzeitig in ein religiös-kulturelles Korsett gezwängt zu werden, das sie selbst in diesem Alter kaum hinterfragen können. Der Staat darf nicht wegschauen, wenn aus Religion Erziehung zur Unterordnung wird.

Dieser Schritt ist also bedeutend – aber auch gleichermaßen gefährlich, denn die Debatte um das Kopftuch ist eine elende, längst entgleiste. Was argumentativ als Schutzmaßnahme beginnt, endet oft in dumpfen Ressentiments gegenüber ganzen Volksgruppen. Der politische Diskurs um das Kopftuchverbot ist eben kein nüchterner, sondern ein hochexplosiver Schauplatz von Identitätspolitik, Kulturkampf und scharfer Rhetorik – mit enormer Sprengkraft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Versuchen wir es also noch einmal mit einer Differenzierung, eine schwierige Übung in dieser polarisierten Welt. Die Wahrheit ist: Ein Volksschulmädchen trägt kein Kopftuch aus freier Entscheidung. Es trägt es, weil es dazu angehalten oder sozial unter Druck gesetzt wird – von der Familie, vom Umfeld, durch subtile und offene Zwänge. Wer behauptet, das Kopftuch sei in diesem Alter Ausdruck individueller Religionsfreiheit, ignoriert die Realität. Kinder sind keine Träger von tief reflektierten religiösen Überzeugungen. Sie sind verletzbar. Und sie haben ein Recht darauf, ohne ideologische Überformung aufzuwachsen – egal ob von islamischer, christlicher oder sonstiger Seite.

Das Verbot ist daher ein Schutzmechanismus – nicht gegen den Islam, sondern gegen die Frühsexualisierung von Mädchen durch religiöse Symbole, gegen die Degradierung weiblicher Körper zur potenziellen Quelle der Versuchung. Wer behauptet, das Kopftuch sei nur „ein Stück Stoff“, verharmlost dessen Funktion in konservativ-religiösen Kontexten: Es markiert Abgrenzung, Gehorsam, Scham. Und es trifft fast ausschließlich Mädchen – was kein Zufall, sondern System ist. Ein oft gehörtes Argument: „Ja aber wie viele Mädchen betrifft das schon?“ Das ist völlig unerheblich – es geht ums Prinzip.

Während es also im Sinne des Kinderschutzes und einer freien liberalen Welt gute Argumente für das Verbot gibt, lauert der politische Missbrauch leider an jeder Ecke. Denn rechte und rechtspopulistische Parteien nutzen das Thema nicht, um Mädchen zu schützen – generell sind ihnen Frauenrechte ja auch sonst eher fern. Ihnen geht es in erster Linie darum, Stimmung zu machen. Das Kopftuchverbot wird zum Symbol einer „Verteidigung des Abendlandes“ stilisiert, zur Projektionsfläche für eine pauschale Islamkritik, die sich kaum noch von blankem Rassismus unterscheidet.

Das eigentliche Ziel – die Selbstbestimmung von Mädchen – gerät dabei schnell unter die Räder. Wer das Kopftuchverbot ausschließlich als kulturpolitische Waffe nutzt, zementiert genau das Problem, das er vorgibt, zu bekämpfen: die Spaltung. Statt Integration entstehen neue Gräben. Muslimische Familien, selbst liberale, fühlen sich pauschal verurteilt. Kinder stehen zwischen den Fronten – stigmatisiert statt geschützt.

Deshalb muss ein Kopftuchverbot immer in etwas Größeres eingebettet sein: in eine Bildungs- und Sozialpolitik, die Mädchen stärkt und nicht nur etwas verbietet. Es braucht Sprachförderung, soziale Durchmischung, klare Regeln – aber auch Verständnis und Geduld. Strafen sollen erst eine letzte Konsequenz sein. Und es braucht den Mut, diese Regeln zu verteidigen, ohne in platte Feindbilder zu verfallen.

Ein Staat, der das Kopftuch bei Kindern in Schulen verbietet, schützt damit keine christliche Leitkultur. Er schützt – im besten Fall – die Freiheit von jungen Menschen in ihrer Entwicklung. Aber er muss drauf achten, dass diese Freiheit nicht zur Floskel verkommt, während im Hintergrund die Ressentiments regieren.

Ja, das Kopftuchverbot ist richtig. Aber nur dann, wenn es mit Verstand, Augenmaß und ohne ideologische Brille durchgesetzt wird.

Anna Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil und seit 2025 auch Herausgeberin des Magazins. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.