Warum das Kopftuchverbot an Schulen trotz breiter Zustimmung wieder kippen könnte
Nicht schon wieder, mögen sich manche gedacht haben, als ÖVP-Integrationsministerin Claudia Plakolm das Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 Jahren am Mittwoch nach dem Ministerrat präsentierte. Wir erinnern uns: 2019 hatte die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Verbot schon einmal beschlossen. Nur ein Jahr später wurde es vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) gekippt. Weil es nicht alle religiösen Symbole gleich behandelte, sondern eine Religion – den Islam – herausgriff. Ein klassischer Verstoß gegen das Neutralitätsgebot und den Gleichheitsgrundsatz, befanden die Höchstrichter. Nun soll stärker auf das Kindeswohl der Mädchen abgestellt werden. „Kein anderes religiöses Symbol schränkt die Sichtbarkeit und Freiheit von Mädchen ein“, verteidigt Plakolm die Sonderrolle des Islam.
Auch im zweiten Anlauf zielt das Verbot somit nur auf den muslimischen Hijab, und nicht auf das christliche Kreuz, die jüdische Kippa oder die Patka (Mini-Turban) von Sikh-Burschen ab. „Ich kann mir nicht vorstellen, warum der Verfassungsgerichtshof dieses Mal grundsätzlich anders entscheiden sollte“, räumen allerdings Verfassungsexperten wie Peter Bußjäger Klagen gegen das Kopftuchverbot gute Chancen ein – und diese liegen bei Islam-Vertretern bereits in der Schublade.
Regierung verzichtet auf FPÖ-Hilfe
Politisch wären die Karten dieses Mal neu gemischt. Als Regierungsparteien ziehen SPÖ und Neos – anders als 2019 – beim Verbot mit. Zusammen mit der FPÖ, aber auch den Grünen, hätten sie eine Verfassungsmehrheit. In den Verfassungsrang gehoben, wäre das Kopftuchverbot gegen den Einspruch der österreichischen Höchstrichter immunisiert. Plakolm lud die FPÖ in der Vergangenheit ein, mitzustimmen, sobald das Gesetz da ist, um eine Verfassungsmehrheit zu erzielen. In einer ersten Reaktion nach der Präsentation des Gesetzesentwurfs hieß es aus der FPÖ, es könne nur ein erster Schritt sein. Das klingt nicht nach Fundamentalopposition.
Doch wie aus Regierungskreisen zu vernehmen ist, will sich die SPÖ nicht von der FPÖ unterstützen lassen. Deswegen ist das Kopftuchverbot als einfaches Gesetz angelegt und nicht als Verfassungsgesetz, wie Plakolm gehofft hatte. Somit könnte es der VfGH erneut kippen.
„Mittlerweile ein echtes Problem in Schulen“
Doch selbst ohne Verfassungsrang wird das Verbot sechs Jahre nach dem ersten Anlauf von einem viel breiteren politischen Konsens getragen. Denn sogar die Grünen signalisieren Zustimmung. „Kein Kind in unserem Land darf dazu gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen. Es ist inakzeptabel, wenn Väter kleinen Mädchen vorschreiben, was sie anziehen müssen. Und es ist auch notwendig, ehrlich zu sagen: Das ist mittlerweile ein echtes Problem in unserer Schulen. Es ist die Aufgabe der Politik, solchen Fehlentwicklungen entgegenzutreten und dafür stehen wir Grüne bereit. Ich halte die Diskussion über ein Verbot für notwendig", sagt die stellvertretende Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer.
Zusatz: „Ob der neue Vorschlag verfassungskonform ist, müssen jetzt die Jurist:innen prüfen.“ Die erste Einschätzung von Verfassungsjuristen wie Heinz Mayer, denen die Grünen vertrauen, fiel tendenziell negativ aus. Im VfGH soll die Entscheidung 2020 nicht einstimmig gewesen sein. Und in einzelnen Punkten, wie der Ausweitung des Verbots auf Privatschulen, damit Mädchen nicht verhüllt dorthin ausweichen müssen, ist die Regierung auf die frühere Kritik des VfGH eingegangen. Am grundlegend skeptischen Befund von Verfassungsjuristen wie Bußjäger ändert das jedoch wenig.
Bis zu den ersten Klagen und zur Prüfung durch Höchstrichter wird das Gesetz jedenfalls gelten. Und so manche Direktoren in Schulen mit vielen verschleierten Mädchen unter 14 vor eine Sonderprüfung stellen. Denn die sollen zuerst mit den Mädchen und dann mit den Eltern reden. Und wenn das nichts hilft, die Eltern bei den Behörden und beim Jugendamt melden. Dann drohen Strafen von 150 bis 1000 Euro.