Eva Linsinger: Ist der Ruf erst ruiniert

Im Zeitraffertempo wiederholt die FPÖ die Muster von Schwarz-Blau I: Nehmerqualitäten, Umfärbungen – und eine höchst aufklärungswürdige Affäre im Innenministerium.

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Schwarz-Blau I war auch großes FPÖ-Kino. Eine zusammengewürfelte Truppe aus schillernden Yuppie-Glücksrittern (Prototyp: Karl-Heinz Grasser), knorrigen Industrie-Haudegen (Prototyp: Thomas Prinzhorn), überforderten Polit-Dilettanten (Prototyp: Elisabeth Sickl) und gewieften Pragmatikerinnen (Protoptyp: Susanne Riess-Passer) rang in immer dramatischeren Szenen mit dem bärbeißigen Übervater Jörg Haider darum, was denn freiheitliche Regierungspolitik sein solle: Sozialreformen? Wirtschaftsliberalismus? Umfärbung? Dritte Republik? Die Geheimdienst-Thriller-Garnitur lieferte der Spitzelskandal, der Missbrauch von Polizeidaten.

Wie jede Neuverfilmung ist auch die Neuauflage von Schwarz-Blau ein weniger gelungenes Werk – vor allem, weil die FPÖ in atemberaubendem Tempo so nonchalant wie ungeniert ihre Prinzipien entsorgt. Robin-Hood-Attitüde? Kampf gegen Parteibuchwirtschaft oder Postenschacher? Wen kümmert das Geschwätz von gestern!

Das Volk mitreden zu lassen, direkte Demokratie hochzuhalten, darauf legt die FPÖ seit Regierungseintritt keinen Wert mehr – und bemüht sich nach Kräften, die mehr als 500.000 Unterschriften für das Anti-Raucher-Volksbegehren zu ignorieren. Früher, als Protestpartei, hätte sie das wohl zumindest „abgehoben“ genannt. Auch andere jahrelang vertretenen Parolen werden nicht einmal alibihalber hochgehalten: In Oppositionszeiten geißelte FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache die Parteienförderung als „unverschämt“ hoch und forderte Halbierung – inzwischen reicht schon die Nicht-Anpassung an die Inflationsrate. Forderungen sind auch nur Töchter der Zeit, wenn es aus den Futtertrögen der Macht gerade so lecker riecht: Im Turbo-Tempo werden Parteigänger in staatsnahe Unternehmen gehievt. Gewiss: Damit ist die FPÖ nicht allein, SPÖ und ÖVP praktizierten das über Jahrzehnte genauso. Bloß: Genau diese Praktiken hat die FPÖ immer besonders heftig gegeißelt.

Im Gegensatz zu Schwarz-Blau I fallen die Nehmerqualitäten der Ex-Anti-Privilegienritter diesmal noch deutlicher auf.

Selbst schuld, wer ihr geglaubt hat. Viel wichtiger, dass etliche blaue Chefchen ins Trockene gebracht werden. Frei nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ werkt selbst die Ehefrau von Parteichef Strache als Mitarbeiterin der FPÖ und begleitete ihn auf Parteikosten zu den Olympischen Spielen. Das wäre der Stoff gewesen, den die Oppositions-FPÖ seinerzeit genüsslich ausgeschlachtet hätte.

Im Gegensatz zu Schwarz-Blau I fallen die Nehmerqualitäten der Ex-Anti-Privilegienritter diesmal noch deutlicher auf, weil die FPÖ zu einer anderen Partei mutiert ist. Wirtschaftsliberale oder Aufsteiger zieht es dort schon länger nicht mehr hin, im Grunde sind die Freiheitlichen auf ihren erweiterten Burschenschafter-Kern reduziert. Das zeitigt Folgen. Gefühlt jeden zweiten Tag dringt ein neuer „Einzelfall“ aus dieser seltsamen Parallelgesellschaft nach außen: Hitlerbilder auf Handys. Fotos von Hendelhaxn, in Hakenkreuz-Form angeordnet. Widerwärtige Nazi-Liederbücher.

Die Charakteristik der FPÖ tritt diesmal recht unmittelbar zutage, wie im Zeitraffer-Tempo bündelt und überzeichnet sie schon in den ersten Koalitionswochen Affären, für die Schwarz-Blau I Jahre brauchte. Damals war es der Spitzelskandal, diesmal ein Kampf zwischen ÖVP und FPÖ um Einfluss an den heikelsten Schalthebeln der Republik und die Kontrolle über die Geheimdienste. Martialische Hausdurchsuchungen in Kampfmontur bei Verfassungsschützern, Geheimdossiers, Intrigen, Zwangsurlaube: Je mehr beklemmende Details aus Verfassungsschutz und Innenministerium zutage gefördert werden (siehe auch die aktuelle profil-Titelgeschichte), desto zwingender erscheint ein Untersuchungsausschuss.

Sebastian Kurz kommt wie einst Wolfgang Schüssel manchmal mit dem Schweigen nicht nach.

Vom Bundespräsidenten abwärts wird dringend „Aufklärung“ verlangt. Alexander Van der Bellens Intervention in den Koalitionsverhandlungen ist es zu verdanken, dass immerhin das Justizressort, das nun für Aufklärung sorgen will, nicht in FPÖ-Hand ging – aber mit Innen- und Verteidigungsministerium beide Nachrichtendienste. Eine Machtkonzentration, die schon in Routinezeiten zumindest bedenklich, im Lichte der BVT-Affäre aber nachgerade gruselig erscheint. Entsteht hier ein Staat im Staat? Wird brutal umgefärbt? Gab es politischen Druck? Den Versuch, Ermittlungen zu lenken – ausgerechnet im wichtigsten Sicherheitsorgan der Republik?

Es wäre recht tröstlich, zu wissen, dass das Innenministerium selbst Interesse hat, der Affäre auf den Grund zu gehen. Die erste Reaktion deutet auf das krasse Gegenteil hin: „Fake News“, trompetete das Ministerium. Auch eine Methode, mit Kritik umzugehen – aber keine, die des Rechtsstaates und der Dimension der Affäre würdig wäre.

Auch hier wiederholt sich die Geschichte von Schwarz-Blau I im Zeitraffertempo: Die FPÖ sorgt in derart rasantem Tempo für Aufregung, dass Sebastian Kurz wie einst Wolfgang Schüssel manchmal mit dem Schweigen nicht nachkommt.

[email protected] Twitter: @evalinsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin