profil-Kolumnist Franz Schellhorn

Franz Schellhorn: Österreichs Absturz

Die heimische Wirtschaft ist im vierten Quartal deutlich stärker eingebrochen als andere in Europa. Die Abhängigkeit vom Tourismus reicht als Erklärung aber nicht aus.

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Es kommt nicht wirklich oft vor, dass „Der Spiegel“ mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz seine helle Freude hat. „Nirgends in Europa sei die Wirtschaft zuletzt so stark geschrumpft wie in Österreich“, war dem deutschen Nachrichtenmagazin jüngst zu entnehmen. An Schadenfreude fehlte es nicht. So sei es doch Bundeskanzler Kurz selbst gewesen, der noch im Mai des Vorjahres via Twitter selbstlobend verkündet habe: „Österreich steht wirtschaftlich besser da als die meisten betroffenen Länder. Weil wir schnell und entschlossen reagiert haben und die Infektionskurve damit rascher als in den meisten Ländern Europas gesunken ist, haben wir auch weniger wirtschaftlichen Schaden genommen.“

Neun Monate danach stehe Österreich schlechter da als fast alle anderen europäischen Länder, so der „Spiegel“. Um 4,3 Prozent ist die nationale Wirtschaft im vierten Quartal 2020 gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. „Kein anderer EU-Staat hat bislang annähernd so desaströse Zahlen für das Jahresende vermeldet. Im Vergleich zu 2019 lief es nur in Spanien noch schlechter.“ Das lässt sich zwar so nicht sagen, weil vorerst nur Daten von elf EU-Ländern verfügbar sind – und unter diesen rangiert Österreich an vorletzter Stelle. Gut sieht die Bilanz tatsächlich nicht aus.

Österreichs Bundesregierung erklärt den wirtschaftlichen Absturz mit der starken Abhängigkeit vom Tourismus. Und damit, dass das dritte Quartal 2020 mit einem Wachstum von zwölf Prozent ein überaus starkes war. Weshalb der Rückgang im schwachen vierten Quartal eben stärker sichtbar werde. Gekauft. Aber das allein reicht als Erklärung nicht aus. Auch andere Länder wie Frankreich, Italien und Spanien verzeichneten von Juli bis September einen kräftigen Aufschwung, lagen im vierten Quartal aber deutlich vor Österreich.

Der große Unterschied: Hierzulande folgte auf den zunächst recht lockeren Lockdown ein überaus strenger. Da wurde jede Menge Zeit verspielt – und genau in diesem Punkt sticht das Tourismusargument. Die heimische Wirtschaft hängt nämlich nicht nur vom Tourismus ab, sondern besonders stark vom Wintergeschäft. Weil die Wertschöpfung deutlich höher ist als im Rest des Jahres. Aber auch knapp die Hälfte aller Nächtigungen wird im Winter erzielt. Besonders wichtig ist der Dezember, nicht nur in Tirol und Salzburg. In Wien ist der Dezember nach dem August der zweitstärkste Nächtigungsmonat des Jahres. Und dieser ist heuer komplett ausgefallen.Aber auch das erklärt den starken Absturz nicht zur Gänze. Nach unten gedrückt wurde die Wirtschaftsleistung durch die (konsumnahen) Dienstleistungen. Sie sind im Zuge des harten Lockdowns um knapp ein Viertel eingebrochen. Darunter fallen unter anderem Friseure, der gesamte Kunst- und Kulturbetrieb sowie die Unterhaltungsindustrie. Erschwerend kam hinzu, dass Österreichs Infektionszahlen zu den höchsten weltweit zählten. Das drückte auf den Konsum und sorgte mit der ausgeweiteten Kurzarbeit für steigende Arbeitsausfälle.

Nicht mehr zu übersehen ist aber ein ganz anderer Erklärungsansatz, über den nicht so gerne gesprochen wird: die Schattenseiten der großzügigen Staatshilfen. Sie werden zwar weitgehend als alternativlos angesehen, haben aber eine ganze Reihe unerwünschter Nebenwirkungen. So wird mit dem generösen Kurzarbeitsmodell zwar die Kaufkraft jener Arbeitnehmer gesichert, deren Arbeitgeber hart von den Lockdowns getroffen werden. Solange es für Arbeitnehmer einkommensmäßig keinen Unterschied macht, ob sie zu zehn, 50 oder 80 Prozent in Kurzarbeit sind, haben sie aber auch einen starken Anreiz, weniger statt mehr zu arbeiten. Sie verdienen in allen Fällen dasselbe. So wie Unternehmen nicht aufsperren werden, wenn sie die entgangenen Umsätze einfach ersetzt bekommen.

Die hohen wirtschaftlichen Schäden der Lockdowns ließen sich generell rechtfertigen, wenn Österreich nicht so viele verlorene Menschenleben zu beklagen hätte. Die Jungen und Gesunden wurden ja in die ökonomische Quarantäne geschickt, um die Alten und Kranken zu schützen. Gerade in Alten- und Pflegeheimen ist das nicht geglückt. Angesichts dieser Bilanz wäre es hoch an der Zeit, über neue Strategien nachzudenken, als weite Teile des Landes im Abstand von mehreren Monaten runterzufahren. Das Münchner ifo-Institut etwa propagiert „smart lockdowns“ mit starker regionaler Differenzierung. In Teilen des Landes mit niedrigen Infektionswerten sollte es mehr Freiheiten geben als in den Hotspots. Die im ersten Versuch gescheiterte Idee der Corona-Ampel würde also eine zweite Chance bekommen.

Zu verhindern wären flächendeckende Lockdowns mit regelmäßigen und großflächigen Tests der Bevölkerung, um Infizierte und deren engste Kontaktpersonen rasch in Quarantäne zu schicken. Damit nicht die Gesunden isoliert werden, sondern die Erkrankten. Genau das zu erreichen, liegt in der Verantwortung der Bundesregierung. Für die starke Abhängigkeit der Wirtschaft vom Tourismus kann sie nichts.