Ein gnädiger Tod
Als unsere alte Freundin T. beschloss, dem Krebs nicht länger zu trotzen, gelang es mir, ihr einen Platz in einem Hospiz zu verschaffen. Vorher hatte T. noch gefragt: Glaubst du, ist es in Ordnung, wenn ich jetzt keine weitere Chemo mehr möchte?
Sie war eine wohlerzogene Frau und gewöhnt, Autoritäten nicht zu übergehen. Die Autorität Zeitgeist verlangt, dass man gegen den Krebs kämpft. Für ihren nicht nachlassenden Kampfgeist werden Menschen gelobt und bewundert. Was aber, wenn sie nicht mehr kämpfen wollen?
T. war 85, sie hatte keine kleinen Kinder mehr, für die sie unbedingt so lange wie möglich am Leben hätte bleiben sollen, und ihre Aussichten auf Heilung waren gleich null. Sie hatte sich ein friedliches Ende ohne belastende Therapien verdient. Hospiz also.
Dort wurde sie liebevoll umsorgt und blühte auf trotz schwerer Krankheit. Drei Wochen später war sie noch
immer am Leben. Das war nicht vorgesehen. Hospiz bedeutet finale Pflege, aber die war mit drei Wochen terminisiert, und T. hatte ihr vorgesehenes Ende gerade überlebt. Deswegen wurde sie wieder heimgeschickt. In häusliche Pflege entlassen, wie es heißt. Denn Palliativversorgung bedeutet auch Stabilisierung, bis der oder die Kranke wieder daheim gepflegt werden kann, nur dass es daheim oft unmöglich ist, die Qualität der Pflege zu bieten, die eigentlich nötig wäre, wenn es dem todkranken Menschen gut gehen soll. T. starb ein paar Tage später zu Hause, unglücklich und unzureichend versorgt von einem unfähigen Angehörigen.
Das heißt: Die Palliativpflege gibt es, und sie vermag viel, aber wer sie kriegt und wie lange, ist eine Frage von Glück, Zufall und, ja, auch das, Beziehungen. Zu wenig Geld, zu wenig Personal. Wird ausgebaut – aber wann sie jemals ausreichend verfügbar sein wird, steht in den Sternen.
Fatalerweise wird die Palliativversorgung immer dann beschworen, wenn über ein selbst bestimmtes Ende debattiert wird, sodass der Eindruck entsteht, es gehe um alternative Methoden, aus dem Leben zu scheiden. Das ist falsch. Der Entschluss zum assistierten Suizid ist etwas anderes als der Wunsch, sein Lebensende – betreut und umsorgt – auf sich zukommen zu lassen. Beides ist zu respektieren. Nur dass der Wunsch nach Fürsorge und kompetenter Betreuung in der Realität nicht so selbstverständlich erfüllt wird, wie das der Fall sein sollte. Deshalb kommt es mehr und mehr zu einem schrecklichen Missverständnis, demzufolge der assistierte Suizid als Möglichkeit erscheint, einer unzureichenden Palliativversorgung zu entgehen. Das darf er nicht sein. Denn dann würde er zum kostengünstigen Regelfall, mit dem man die aufwendige Behandlung Sterbenskranker einspart.
Am Ende ist alles eine Geldfrage. Wir müssen entscheiden, wie viel wir für kranke Mitmenschen ausgeben wollen, für ihre Gesundung, für Therapien, egal wie günstig deren Erfolgsaussichten sind, für ihre Behandlung am Lebensende. Von Palliativpflege zu reden und nicht genug in sie zu investieren, ist Augenauswischerei.
Leider lässt sich nicht übersehen, dass überall dort, wo Sterbehilfe schon länger erlaubt ist, genau das auch passiert. Menschen werden unter Umständen sehr bald darauf hingewiesen, dass sie in Anbetracht ihrer Erkrankung über die Option Euthanasie nachdenken sollten.
Um das zu verhindern, hat man sich hierzulande lange dagegen gewehrt, Todkranken die Selbsttötung zu ermöglichen. In gewisser Weise wurde dabei der falsche Feind bekämpft. Denn die Möglichkeit, assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen, macht den Ausbau palliativer Einrichtungen ja keineswegs überflüssig. Es geht daher darum, für diesen Ausbau zu kämpfen statt gegen diejenigen, denen es eine beruhigende Aussicht ist, den Prozess ihres Ablebens im Falle des Falles selbst beenden zu können.
Am Ende ist alles eine Geldfrage. Wir müssen entscheiden, wie viel wir für kranke Mitmenschen ausgeben wollen, für ihre Gesundung, für Therapien, egal wie günstig deren Erfolgsaussichten sind, für ihre Behandlung am Lebensende. Von Palliativpflege zu reden und nicht genug in sie zu investieren, ist Augenauswischerei. Den Suizid zu verurteilen und insgeheim zu hoffen, dass er das Problem der finalen Betreuung lösen wird, ist Heuchelei der schlimmsten Art.
Wir, das sind wir alle. Und wir alle werden früher oder später vor der Frage stehen, wie wir uns von dieser Welt verabschieden. Mit rüstigen 90 nach einem Sektfrühstück vom Pferd zu fallen, wird nicht vielen beschieden sein.