Die blaue Existenzfrage: Kickl-Nihilismus oder Politikfähigkeit?

Will die FPÖ nach den nächsten Wahlen den Kanzler stellen, muss sie Herbert Kickl zur Seite rempeln.

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Herbert Kickl träumt bekanntlich von der „Festung Österreich“, einer Trutzburg gegen böse äußere Einflüsse. Am Samstag, dem 27. September, hält die FPÖ ihren 35. Ordentlichen Bundesparteitag in Salzburg ab. Es ist damit zu rechnen, dass Kalauer-Kickl in seiner Rede auf die Festung Hohensalzburg Bezug nehmen wird. Diese wurde in ihrer tausendjährigen Geschichte nie erobert – was ganz nach dem Geschmack des historisch interessierten, für Heldensagen schwärmenden FPÖ-Obmanns sein dürfte.

Beim letzten Parteitag, im September 2022 in St. Pölten, erhielt Kickl 91 Prozent der Delegiertenstimmen. In Salzburg werden es mehr sein. Kickl verdient sich ein ordentliches Ergebnis: Wer als Spitzenkandidat seine Partei bei einer Nationalratswahl erstmals auf Platz 1 führt, hat Anspruch auf Huldigungen.

Allerdings: Tief im Herzen werden Delegierte – und nicht zu wenige – der verpassten Chance vom Februar auf Kanzlerschaft, Regierungsbeteiligung, Ministerämter und jede Menge Posten im staatsnahen Bereich nachtrauern. Die offizielle blaue Lesart lautet: ÖVP-Obmann Christian Stocker hätte nie ernsthaft verhandelt, sondern es von Anfang an auf ein Scheitern der blau-schwarzen Gespräche angelegt, um seiner Partei das Kanzleramt zu sichern. Tatsächlich war die ÖVP am Ende wohl heilfroh, dass Kickl den Regierungsbildungsauftrag von sich aus zurücklegte.

Dahinter steckte allerdings kein schwarzer Masterplan, sondern Kickls eigenes Versagen. Der FPÖ-Obmann hat die Wahlen gewonnen, die Verhandlungen aber in den Sand gesetzt. Eigenschaften wie Unerbittlichkeit und Aggressivität, die ihn zu einem erfolgreichen rechtspopulistischen Wahlkämpfer machen, stehen der Eignung zum Verhandler entgegen.

Er sei eben prinzipientreu und lasse sich durch die Aussicht auf Macht und Ämter nicht korrumpieren, sagt er. Tatsächlich ist Kickl nicht politikfähig.

Wer Blau wählte, bekam Schwarz-Rot-Pink

Was denken sich angesichts der verpassten Chance eigentlich blaue Wähler aus Unternehmer- und Freiberuflerkreisen? Vor allem jene, die diesmal nicht ÖVP, sondern FPÖ wählten und nun, statt einer wirtschaftsfreundlichen blau-schwarzen Regierung, eine schwarz-rot-pinke Koalition erhielten, die gerade semisozialistisch den freien Markt für Mietwohnungen reguliert?

Und müssten nicht jene Wähler ihre Stimme für die FPÖ bereuen, die von Kickls „Volkskanzlerschaft“ mit strammer „Remigrations“-Politik und einer blau-schwarzen Anti-Wokeness träumten – und nun, trotz des FPÖ-Wahlsiegs, mit gesellschaftsliberalen und genderaffinen SPÖ-Ministerinnen für Justiz und Frauen konfrontiert sind?

Kickl ist der Geist, der stets verneint. Sein eigentliches Element ist die Zerstörung.

Die Umfragedaten legen anderes nahe. Die FPÖ übertrifft ihr Ergebnis der Nationalratswahl (28,8 Prozent) und liegt über 30 Prozent. Doch das beste Resultat wird nichts nützen, wenn auch in Zukunft niemand mit Herbert Kickl koalieren will. Nach Goethes „Faust I“: Kickl ist der Geist, der stets verneint. Sein eigentliches Element ist die Zerstörung.

In der FPÖ gibt es personelle Alternativen: Norbert Hofer, Marlene Svazek in Salzburg, Manfred Haimbuchner in Oberösterreich, Mario Kunasek in der Steiermark, allesamt Rechtspopulisten, die nicht für ein offenes, liberal verfasstes Österreich mit Westbindung stehen. Allerdings: Wenn die Bürgerinnen und Bürger die Freiheitlichen bei der nächsten Wahl mit deutlicher Mehrheit auf Platz 1 wählen und mit einer Zwei-Drittel-Verfassungsmehrheit ausstatten, wird den Blauen der Anspruch auf das Kanzleramt nicht abzusprechen sein.

Politikfähigkeit bedeutet, in der Lage zu sein, die Geschicke eines Landes zu gestalten. Dies setzt Kompromissfähigkeit, Verhandlungsgeschick und Kommunikationsbereitschaft voraus. Sollte Herbert Kickl nach dem nächsten Wahlsieg nicht von sich aus zur Seite treten und auf den Kanzlerposten zugunsten eines anderen Freiheitlichen verzichten, müsste ihn die FPÖ wegrempeln.

Also, liebe FPÖ, irgendwann musst du dich entscheiden: Kickl’scher Nihilismus oder freiheitliche Politikfähigkeit?

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und seit 2025 Leiter des Innenpolitik-Ressorts. Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl.