Neun Millionen Sieger, Österreich-Verweigerung und Kickls Leugnen

Sieben politische Lehren aus dem Bosnien-Spiel und der WM-Qualifikation der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft.

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+ Ralf Rangnick ist das Gegenteil des österreichischen Charakters, wie man ihn gerne aus dem bekannten Zitat aus Grillparzers „Ein Bruderzwist in Habsburg“ ableitet: „Das ist der Fluch von unserm edeln Haus / Auf halben Wegen und zu halber Tat / Mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.“ Für Rangnick gibt es keine halben Sachen und keinen Mittelweg. Als Teamchef zwang er dem ÖFB – zum Unmut einiger Spitzenfunktionäre – seinen Willen auf. Vergangenen Dienstag bekam er mit der erfolgreichen WM-Qualifikation der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft recht. Lange musste man im Match gegen Bosnien und Herzegowina ein Klischee-typisches österreichisches Schicksal befürchten. Am Ende erzwang das Nationalteam dank Willensstärke und Michael Gregoritschs Karate-Kick-Tor in der 77. Minute das Unentschieden.

+ Siegeswille, Kampfgeist und Aggressivität, die im Fußball als Tugenden gelten, widersprechen dem vorherrschenden Weltbild einer auf Rücksichtnahme und Achtsamkeit programmierten Gesellschaft. Schlechte Gewinner zählen im Fußball mehr als gute Verlierer. Zurückhaltung gilt als Schwäche. All das macht den Fußball aber auch egalitär. Wenn allein die eigene Leistung zählt, können sowohl der Sprössling einer Wiener Kaffeehaus-Dynastie wie Leopold Querfeld als auch ein Migra-Kid aus einer Hochhaussiedlung in Floridsdorf wie Marko Arnautović Teamspieler werden.

+ Der Rekordtorschütze sagt von sich, Österreich und Serbien gleichermaßen zu lieben. Er ist eine Art Doppelpatriot, der für sein Geburtsland spielt. Allerdings verdeutlicht der Fußball auch die Österreich-Verweigerung von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund. Viele hier geborene Fußballfans mit türkischen, kroatischen, serbischen oder bosnischen Wurzeln unterstützen nicht ihr Heimatland, sondern das ihrer Ahnen. Österreich-Verweigerung betreiben auch Profi-Fußballer, die hier geboren und bei Rapid, beim LASK oder in Salzburg ausgebildet wurden, dann aber lieber für die Herkunftsländer ihrer Eltern spielen. Offenbar gelingt es nicht, vielen in Österreich aufgewachsenen Menschen mit Migrationshintergrund ein ausreichendes Identitätsangebot zu machen. Dennoch: Dass Österreich auch im Fußballsport ein Einwanderungsland ist, leugnen nur noch die FPÖ und Herbert Kickl.

+ Sicherlich war einem intelligenten Mann wie dem FPÖ-Chef die eigene Widersprüchlichkeit bewusst, als er dem Nationalteam zur WM-Qualifikation gratulierte. Die Eltern der Teamkicker stammen unter anderem aus Ghana, Nigeria, Kenia und den Philippinen. Hätte der „Volkskanzler“ das Sagen, gäbe es es keine Einwanderung aus diesen Ländern nach Österreich.

Fußball ist egalitär. Wenn allein die eigene Leistung zählt, können sowohl der Sprössling einer Wiener Kaffeehaus-Dynastie wie Leopold Querfeld als auch ein Migra-Kid aus einer Hochhaussiedlung in Floridsdorf wie Marko Arnautović Teamspieler werden.

+ Die FPÖ hat die Kunst perfektioniert, Ängste, Sorgen, Frust und Zorn in der Bevölkerung politisch zu verwerten. Laut einer Analyse des Foresight-Instituts gaben 42 Prozent jener, die die Entwicklung Österreichs negativ beurteilen, bei der Nationalratswahl 2024 ihre Stimme der FPÖ. Man sollte die massenpsychologische Wirkung der erfolgreichen WM-Qualifikation nicht unterschätzen. Wirtschaft ist Psychologie, der Konsum ebenfalls. Wird die Stimmung im Land besser, geben die Bürgerinnen und Bürger wieder mehr Geld aus. Und gutgelaunte Menschen wählen eher Parteien der Mitte. „Wenn wir das Match verloren hätten, wäre die FPÖ in den Umfragen gleich wieder um ein Prozent gestiegen“, meinte dieser Tage nicht nur im Spaß ein Abgeordneter einer Regierungspartei.  

+ Am Tag des Spiels gegen Bosnien und Herzegowina präsentierte die zuletzt eher schläfrige Regierung in einem Energieanfall Marke Konrad Laimer ein neues Strommarktgesetz, ein Gesetz gegen die „Shrinkflation“, ein Steuerbetrugspaket und einen Gesundheitsreformfonds im Ausmaß von 500 Millionen Euro. Sobald der Schuldenhaushalt wieder halbwegs im Griff ist, werden zur Konjunkturbelebung die öffentlichen Investitionen hochgefahren. Wenn 2,5 Milliarden Euro für den Lobautunnel vorhanden sind, müsste auch Geld für den Neubau des Ernst-Happel-Stadions in Wien aufzutreiben sein.

+ Dank Donald Trump wissen wir, dass Größenwahn eine politische Kategorie ist. Für den 19. Juli 2026 sollten Sie sich nichts vornehmen. An diesem Tag wird Österreich Fußball-Weltmeister – und die Regierung wird ihn auf Vorschlag von Marko Arnautović zum neuen Nationalfeiertag erklären. 

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und seit 2025 Leiter des Innenpolitik-Ressorts. Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl.