Harald Mahrer: Wasser predigen, Sprudel trinken
Harald Mahrer ist Präsident der Wirtschaftskammer (WKO), verantwortlich für Gehälter von rund 6000 Mitarbeitern, ÖVP-Wirtschaftsbundobmann – und Sinnbild dafür, wie weit sich eine Institution von ihrer Basis entfernt hat. Während viele Unternehmer ums Überleben kämpfen, klirren in der Kammer die Gläser: So wird sich etwa die Fachgruppe Metalltechnik bei ihrer Weihnachtsfeier Ende November Mousse von der Entenleber mit Orangen-Preiselbeer-Confit und Schaumwein gönnen. Harald Mahrer wiederum steht für eine Standesvertretung, die satt, selbstzufrieden und abgehoben wirkt – und für eine Partei, die ihren Markenkern verliert: Wirtschaftskompetenz.
Anfang der Woche wurde bekannt, dass die WKO die Gehälter ihrer Mitarbeiter um 4,2 Prozent erhöhen will. Und das in einer Zeit, in der die Wirtschaft kracht, Arbeitslosigkeit und Insolvenzen steigen – unter anderem wegen der hohen Lohnstückkosten. Die WKO kennt derartige Probleme nur vom Hörensagen: Sie muss weder um Mitglieder noch um Einkünfte kämpfen. Propagierte Sparsamkeit? Offenbar nur etwas für andere. Die Kammer ist mit ihren Tausenden Mitarbeitern aufgeblasen – die Chefebene im Besonderen: Mahrer allein hat vier Generalsekretäre (mehr als andere vor ihm). Vielleicht, weil er nicht genug Zeit für die Kammer hat – immerhin hat er noch einige weitere Jobs teils mit hohen Bezügen (etwa als Präsident des Generalrates der Nationalbank) zu erledigen. Der Rechnungshof will das nun prüfen. Es besteht der Verdacht, dass die gesetzlich zulässigen Zuverdienst-Obergrenzen überschritten worden sein könnten.
Die Kammer selbst sitzt auf mehr als zwei Milliarden Euro Rücklagen. Warum nicht einmal diese Reserven nutzen, um die Kammerbeiträge zu senken oder auszusetzen?
Auch die Kammer selbst ist nicht arm: Sie sitzt auf mehr als zwei Milliarden Euro Rücklagen. Warum nicht einmal diese Reserven nutzen, um die Kammerbeiträge zu senken oder auszusetzen? Das würde der Wirtschaft nützen – ein Lohnabschluss von 4,2 Prozent als Steilvorlage aber nicht.
Die Gewerkschaft gratulierte Mahrer höhnisch zu seinem Plan. Spätestens da hätte ihm auffallen müssen, dass er auf dem falschen Dampfer unterwegs ist. Es dämmerte ihm wohl spätestens, als er wütende Anrufe von Unternehmern, Funktionären und Parteifreunden erhielt.
Der ÖVP-Wirtschaftsbund, dessen Obmann Mahrer ist, war einst der wirtschaftspolitische Motor des Landes. Heute ist davon kaum etwas übrig, die Performance in der aktuellen Krise schwach: kein Gestaltungswille, keine Ideen, keine Führung. Die ÖVP-Regierungsmitglieder sind auf Mahrer sauer. Da versucht man mit gutem Vorbild voranzugehen, indem man die schon paktierten Beamtengehälter wieder aufschnürt. Und was macht er? Statt Reformen und Deregulierung gibt es in der Kammer automatische Gehaltserhöhungsformeln – und einen Präsidenten, der behauptet, von alldem „nichts gewusst“ zu haben. Glauben muss man ihm das nicht. Immerhin wurden in der Kammer schon Informationszettel ausgeteilt. Aber nehmen wir an, es würde stimmen: Diesfalls wäre es noch schlimmer. Wer seine eigenen Beschlüsse nicht kennt, hat den Laden nicht im Griff. Und wer dann behauptet, das sei ein „Missverständnis“ oder von „Neos und FPÖ rausgespielt“ worden, verwechselt Realität mit Verschwörung.
Am Mittwoch dann die Rolle rückwärts: Nun sollen es doch nur 2,1 Prozent werden (zeitlich begrenzt, ein Etikettenschwindel). Ein „Machtwort“, wie Mahrer sagt. Ein Präsident, der sich als Macher inszenieren will, indem er im Nachhinein, wenn der Hut bereits brennt, Entscheidungen seines eigenen Hauses kassiert, erinnert an den Kaiser ohne Kleider, der den Schneider zur Schnecke macht. Während Mahrer versucht, seinen eigenen Schaden gering zu halten, bemüht sich derweil sein ehemaliger Generalsekretär, der jetzige Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer, als Mitglied einer Delegation in Abu Dhabi bei einer globalen Wirtschaftskonferenz, die Unternehmen des Landes zu bewerben. Wo war eigentlich Harald Maher?
Nun kann man sich zurecht über ihn aufregen. Sein Fall steht aber für ein größeres Problem: Eine Politik, die sich zu oft um sich selbst dreht. An die Stelle von Verantwortung tritt Selbsterhaltung, an die Stelle von Haltung das Ritual. Es geht um Wirkung, nicht um Wirkungskraft.
Wer Wasser predigt, sollte keinen Perlwein trinken – doch genau das geschieht: nach außen moralischer Anspruch, nach innen Selbstgefälligkeit. Das Ergebnis ist Vertrauensverlust. Nicht, weil Menschen Politik an sich hassen, sondern weil sie spüren, dass zu oft das eigene Fortkommen wichtiger ist als das gemeinsame Weiterkommen.